Die Scham der Schwaigertun & lassen

Spruchdampfheizung, Volksbeglückungshemd und arme Sünder

Warum sind die psychisch Kranken in finanzieller Hinsicht so arm? Oder warum werden «sozial Schwache» psychisch krank? Ein Nachruf auf Brigitte Schwaiger, die sich in die Donau fallen ließ.«Vaterunser», schreibt August Walla auf der Rückseite des Bildes «Stift Klosterneuburg», «gib uns unser tägliches Brot und vergib uns unsere Schulden.» Und auch das alte Gebet von den «armen Sündern» erhält eine ganz neue Bedeutung, wenn gleich darunter steht: «Cocacolalight zum Mitnehmen Preis 18 Sch.» Es finden sich ganze Preislisten: «Krügerl dunkles Bier sein Preis 34!, Krügerl lichtes Bier 32! Halber Liter Coca Cola Preis 36. 2×17= 34! 2×16=32! 2×18=36! Gordonbläu + Erdäpfelsalat + Seiderl + Bier 130 der Preis ist.»

Im wunderschönen «Kulturzentrum Infeld» im Dorf Dobrinje auf der kroatischen Insel Krk ist das Bild gerade mit vielen anderen südosteuropäischen Art-Brut-Kunstwerken ausgestellt.

Auch in dem letzten Buch «Fallen lassen» der kürzlich verstorbenen Schriftstellerin Brigitte Schwaiger geht es oft ums Geld. Wobei es vielleicht nicht ganz die feine englische Art ist, die Rettung zu rufen und sich einweisen zu lassen, wenn man als letzte Stufe der Armut und als höchste der Depression keine Münzen für den Zigarettenautomat mehr hat. «Da, gnä Frau, Ihna Tax !», sagt denn auch mal ein Rettungsfahrer zu ihr. Warum sind die psychisch Kranken so arm? Oder warum werden «sozial Schwache» psychisch krank? Schwaiger beschreibt humorvoll die ständige Schnorrerei auf der Baumgartner Höhe, eine Szene im Raucherzimmer liest sich wie Kabarett.

Eine wiederholt angebettelte Mitpatientin zuckt aus, Schwaiger stimmt ihr zu: «Dass es nämlich nicht mehr zu ertragen war. Die Armut, die Bedüftigkeit, diese Menschen, die aus ihrer Familie ausgestoßen () und wegen psychischer Krankheit in der Psychiatrie. () Entschuldigen Sie bitte, hätten Sie einen Euro für mich? Ich möchte telefonieren. () Mein Sachwalter kommt heute Nachmittag, er gibt Ihnen die Zigaretten ganz bestimmt zurück.» Schwaiger borgt Profil und Spiegel her, wird schief angeschaut, weil sie Die Presse kauft, die anderen lesen Augustin oder Falter.

Schwaiger, die Ende der 70er Jahre mit ihrem feministischen Erstlingsroman «Wie kommt das Salz ins Meer» einen Bestseller landete, erhält monatlich 600 Euro vom Sozialamt und geniert sich sehr dafür. In einem Brief an ihre Mutter schreibt sie, dass der Auslöser für ihre erste Einweisung auf die Psych war, dass sie am Westbahnhof zwei polnische Obdachlose namens Witold und Waclaw mit zu sich nach Hause nahm, der eine einen Anfall erlitt, steif wurde und sie glaubte, er wäre tot. Der Rettungsfahrer regte sich auf, wie viele Kosten sie dem österreichischen Staat verursachen würde. Da reichte es ihr mit diesem boshaftigen Zustand der Welt.

Recht auf Leben und Tod

Schwaiger fühlt sich schuldig an der ganzen Welt, den vorherrschenden ausbeuterischen Strukturen und geniert sich gleichzeitig dafür. Typisch weiblich irgendwie, all diese Scham und Angst. Sie kämpft gegen die Klassifizierung als «unwertes Leben» an, die von ihrem Vater, einem Arzt und Nazi, stammt, die sie aber schon mit 13 Jahren verinnerlicht: «Mein Papa, der Doktor, darf alle unheilbar Kranken umbringen, und wenn mein Vater erfährt, dass ich nicht normal bin, und dann begann die Schwärze im Hirn. () Nur wer normal ist, hat ein Recht auf Leben. Ich wollte nicht am Leben sein und gleichzeitig suchte ich nach einer Berechtigung für mich. Nach einem Recht auf Leben.» Viele als Kinder verletzte Menschen finden sich später auf der Psychiatrie wieder: «Es sind so viele sexuell missbrauchte Kranke. Die sich nie wieder erholen, die immer Angst haben, Zweifel, Selbsthass.» Tödliche Abwertung, die nach innen schneidet: «Psychisch krank, von einer Sozialhilfe lebend, man fühlt sich minderwertig, die gehören ja alle umbracht, denke ich manchmal, wenn ich die Kollegen und Kolleginnen, die Mitpatientinnen ansehe, inklusive mich, ich bin aus einem Nazi-Elternhaus, ich hörte so viel über das lebensunwerte Leben.»

Trotzdem an anderer Stelle: «Ich möchte Liebe geben. Aber weil ich psychisch krank bin, fürchtet man sich vor mir. Von Verrückten möchte sich niemand Liebe geben lassen.» Und liebevoll über einen Mitpatienten. «Herbert ist begabt. Herbert hat den Witz geprägt: Wir Milliardäre können uns dieses arme Volk nicht mehr leisten. Es wird viel Geist zerstört, wenn nieder gespritzt wird.» Für Außenstehende völlig verrückt wirkt der Umstand, dass die Menschen, die jemanden mit dem Umbringen bedroht haben, aggressiv und manisch sind, auf die gleiche Station eingeliefert werden wie die, die einen Selbstmordversuch hinter sich haben. Aggressive und Ängstliche treffen in den gleichen ver- und geschlossenen Räumen aufeinander. «Und wenn alle Feinfühligen und Gebildeten sich umbringen, weil sie es in dieser barbarischen und mittelalterlichen Welt nicht aushalten, dann werden wir nur noch Barbarische haben und das sind solche, die in einem Privatjet von Nizza nach Malta Mittagessen fahren», schreibt Schwaiger.

Märchenheizkünste als Selbstschutz

Der Mensch will nicht alleine in seiner Wohnung vor dem Fernseher hocken, aber auf die Psychiatrie müssen, um Gesellschaft zu haben, eine Gemeinschaft? Art-Brut- KünstlerInnen erfinden sich eigene Weltalle, Universen und bevölkern diese mit zahlreiche Gestalten. «Juckelche und Spuckelche, dreifache Märchenweltmeister aller freien und angewandten Spruchdampfheiz- und mathematischen Temperatur Märchenheizkünste wundervoller Art», schreibt Friedrich Schröder-Sonnenstein z. B. in dem Bild «Juckelche und Spuckelche Spruchdampfheizung 1950». Ihm ist die Hauptausstellung in Dobrinj gewidmet. Zu sehen sind Figuren mit hohen Ohren, Hüten, im Nachthemd und mit Ketten mit Mondanhängern, die sich amüsieren. Das renovierte, dreistöckige Kunst-Steinhaus mit freischwebender Holztreppe steht mitten auf dem Dorfplatz. Ein Mann schnitzt eine Holzleiter, ein Lkw bringt lauter orangene Propangasflaschen und kündigt sich mit einer hupenden Tonfolge wie ein Milchmann an. In Kennedys Bar erklärt eine deutsche Touristin dem Chef lautstark, wie sie sich verlaufen hat. Kennedy nickt freundlich. Menschen wollen unter Menschen sein, zumindest im Kopf.

«Also hat sie noch gar keinen Knacks, keine psychische Störung nötig, um sich vor der feindlichen Umwelt zu schützen», sagt mir Evi vom Augustin über meine Begegnung mit der obdachlosen Michaela, die ich am Ausgang des AKH mit einem Gibshaxen im Schnee stehend, kennen lernte und die völlig «normal» wirkte. In diesem schützenden Sinne scheint Brigitte Schwaiger nicht so in ihrer Form der «Psychose» angekommen und aufgenommen worden zu sein ihre Leiche wurde an der Jedleseerbrücke aus der Donau geborgen («Schriftstellerselbstmorde: Depressionen, Mittellosigkeit, Ausgeschriebensein, Verfolgung politischer oder anderer Art», schrieb sie). Friedrich Schröder-Sonnenstein hingegen, der wegen Landstreicherei und Diebstahl in Erziehungsanstalten lebte, die Nietzsche-Persiflage «Wenn du zum Ochsen gehst, vergiss das Futter nicht» erfand und Studien zu «Öde und blöde Kulturgüter», «Die Waage des Mondmoralgerichts» oder «Das Volksbeglückungshemd oder die moralische Vogelscheuche» zeichnete, wurde neunzig Jahre alt in seiner selbst geschaffenen Wunder-Welt. Doch ab dem Tod seiner langjährigen Lebensgefährtin «Tante Martha» begann er zu trinken, verwahrloste, und seine Schaffenskraft nahm zusehends ab.

Info:

Für Kroatien-UrlauberInnen: Die Art-Brut-Ausstellung in Dobrinj, Insel Krk, ist noch bis 26. September täglich geöffnet.

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