Die Scheune des TeufelsDichter Innenteil

Aus der Niederschrift des Gefangenen Franz Schmidt (3)

Zur Erinnerung: Franz Schmidt verbüßt eine lebenslange Haftstrafe in Stein. Er hat dort seine Memoiren geschrieben, um der Nachwelt die volle Wahrheit über Schuld und Unschuld seines Handelns zu hinterlassen. Es ist ein Vermächtnis an seine Familie, die seit all den Jahrzehnten seiner Inhaftierung zu ihm hält.

Wegen der Armut seiner Mutter verbringt Franz Mayr, das uneheliche Kind einer Bauernmagd seine ersten beiden Lebensjahre an verschiedenen Pflegeplätzen. Den größten Teil dieser Zeit sogar als den Bauern aufgezwungenes Gemeindekind. Am Heiligen Abend des Jahres 1932 wird er zum Ehepaar Schmidt gebracht, das ihn adoptiert. Bis zum 9. Lebensjahr geht alles gut. Dann muss er die Oberstufe der einklassigen Volksschule mit den Kindern einer Familie teilen, die mit den Schmidts verfeindet sind. Von nun an wird er in jeder erdenklichen Weise bedrängt und verprügelt. Um die Konflikte zu unterbinden, sperrt ihn der Lehrer nach Unterrichtsschluss ein, bis die Streit suchenden daheim angelangt sind. Da er nicht einsehen kann, dass er allein für eine Kontroverse büßen soll, zu der er nicht das Geringste beigetragen hat, wird er zum waghalsigen Ausbrecherkönig und schließlich schwänzt er die Schule, was äußerst verhängnisvolle Folgen hat.

Nun hatte ich aber genug von den Einfällen des Herrn Lehrer. Ich schwänzte die Schule! Und weil ich wusste, dass mir der Vater auch den Hintern versohlen würde, ging ich auch nicht mehr nach Hause. Weil ich nicht heim kam, ging Vater zur Schule und fragte den Lehrer was mit mir ist? Der Lehrer antwortete, das weiß ich nicht, er kam heute nicht zur Schule. Was, fragte Vater, ja wo ist er denn hin? Heim ist er auch nicht gekommen. Vater ahnte Böses und er ging betrübt nach Hause.

Die Nacht brach herein von mir keine Spur! Bei unseren Haus ist ein großes Tennentor wo am unteren Eck ein Loch ausgeschnitten war, so dass der Hund aus und ein konnte. Als es finster war, kroch ich durch das Hundsloch und stieg die Stiege zum Heuboden hoch, verkroch mich im Heu und verbrachte dort die Nacht.

Am Morgen hörte ich, wie die Magd in den Kuhstall ging und das war die Zeit, wo ich mich wieder absetzen musste, wollte ich nicht ein Tragerl Hiebe vom Vater, der diesbezüglich recht freizügig war, einfangen. Ich kroch wieder durch das Hundsloch hinaus zum Wald und versteckte mich. Ich ging zum Bach hinunter und fing mir mit der Hand eine Forelle. Nun hatte ich aber kein Feuer, um diese Forelle zu braten. Ich versuchte sie roh zu verspeisen, dabei kotzte ich mich fast an. Mich plagte der Hunger! Auf den Feldern wuchs noch nichts, denn es war erst Frühjahr und sehen konnte ich mich nirgends lassen.

Am Nachmittag des gleichen Tages sah ich eine ältere Frau die Straße, die ins Freudental führte, herunterkommen. Ich sah, dass sie eine Netztasche trug, in der einige Knackwürste zu sehen waren. Der Hunger trieb mich zu einer Verzweiflungstat! Ich nahm einen Prügel, lief hinter der Frau her und schlug ihr den Prügel auf den Kopf. Sie ließ die Tasche fallen und lief schreiend davon.

Ich nahm aus der Tasche nur die Knackwürste, es waren fünf, die ich mit Heißhunger verzehrte. Ich habe dem Strafrecht nach im Alter von 10 Jahren einen Raub verübt, ganz einfach deshalb, weil ich mich nicht nach Hause getraute, weil ich Angst vor Vaters Schlägen und weil ich Hunger hatte.

Unbegreiflich Mein Vater schlug nicht zu


Von nun an wiederholt sich ein Verhaltensmuster in seinem Leben, etwa nach dem Grundsatz: Wenn du in Not bist, bleib unsichtbar, wenn es sein muss, mit Gewalt. Du gehörst zu den Menschen, die man bestraft, wenn sie Hilfe brauchen. Daran ändert auch die unerwartet besonnene Reaktion der Erziehungsbefassten nichts mehr, denn die Haltung der Dorfbewohner bleibt unversöhnlich.

Am nächsten Tag kam die Gendarmerie zum Vater die nach mir fragte. Vater sagte ich weiß es nicht, wisst ihr es? Ich glaube ja antwortete der Gendarm, er hat gestern die Frau P. mit einem Prügel niedergeschlagen (!!) und ihr die Würste aus der Tasche geklaut! Darauf Vater: Das glaub ich nicht! Das wird sich ja klären, sobald wir den Buben haben. Ich aber hatte fürchterliche Gewissensbisse und wusste nicht mehr ein und aus. Der Gendarm sagte zu Vater, einsperren können wir ihn nicht, dazu ist er noch zu jung, aber pass auf, dass sie ihn nicht in ein Heim stecken. Ich aber war noch immer unauffindbar. Und bevor sie mich hatten, konnten sie nicht mir Sicherheit sagen, dass ich die Frau wegen der Würste überfallen habe.

Ich aber bin nach Frankenmarkt zu einer gewissen Familie B. gegangen, um etwas zum Essen zu bekommen. Die Familie B. hatte einen schlechten Ruf, weil der Mann des Öfteren beim Schwarzfischen ertappt wurde. Zu der Familie gehörten auch zwei Kinder namens Otto und Katherina und beide waren in meinem Alter.

Mein Vater wusste, dass ich mich des Öfteren bei den Baumanns aufhielt, und dort hat er mich dann auch gefunden. Ich war verwundert, dass er mich nicht gleich niederschlug, wie er es gewöhnlich tat, wenn ich was angestellt habe. Aber er nahm mich nur am Arm und ging mit mir zum Gendarmerieposten. Die erste Frage war, warum hast du das getan? Nicht etwa, hast du die Frau überfallen? Ich antwortete: Ich getraute mich nicht heim, weil ich Angst vor Vaters Schlägen hatte und ich hatte Hunger und ich hab die Schule geschwänzt, weil mich der Lehrer immer eingesperrt hat. Die Frau war nicht schwer verletzt, sie hatte nur eine kleine Beule. Trotzdem, Vater musste die Arztkosten und ein Schmerzensgeld bezahlen.

Für mich war die Haltung, die Vater nun zu Tage legte, unbegreiflich! Er schlug mich nicht! Er ging anderntags mit mir zur Schule, sprach mit dem Lehrer, und der schlug mich auch nicht! Ich verstand die Welt nicht mehr. Es ist mir nicht bekannt, was oder über was der Lehrer und mein Vater gesprochen haben. Was mir aber sehr wohl aufgefallen ist, ist das, dass ich von nun an weder vom Lehrer noch vom Vater gezüchtigt wurde.

Dieser Vorfall hat sich 1940 ereignet. So gut wie alle Dorfbewohner bejubeln das Nazi-Regime, und der Nachbar ist einer von den Zweihundertprozentigen, die es genießen, im Schutz des Nazi-Staates Grausamkeiten und Gewalt auszuüben. Bis 1944 geht das Leben den von der Hitler-Diktatur bestimmten Weg. Der Nachbar droht der Familie Schmidt wiederholt mit dem KZ und misshandelt die ihm zur Arbeit am Hof zugeteilten Kriegsgefangenen. Unter diesen befindet sich auch ein junges Mädchen Franz Schmidts erste, heftige, wenn auch platonisch bleibende Liebe. Wegen einer geringfügigen Ungeschicklichkeit beim Heuen wirft der Vorzeigenazi eine Heugabel nach dem Mädchen und durchbohrt ihre Wade. Franz muss hilflos dabei zusehen. Am Abend bemerkt der Ziehvater, diesem Teufel müsste man eigentlich das Dach über dem Kopf anzünden. Was der Ziehvater im Zorn gesagt hat, setzt Franz in die Tat um. Er zündet die Scheune des Teufels an, und bedenkt nicht, dass das Feuer auf das aus Holz gebaute Wohnhaus übergreifen könnte. Das Haus wird eingeäschert, Franz der Tat überführt. Am 30. Jänner 1945 wird er wegen Vernichtung deutschen Eigentums zu 8 Jahren Jugendgefängnis mit anschließenden Einzug in die Deutsche Wehrmacht verurteilt.

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