Die Sensibilität der ClochardsArtistin

Robert Hammerstiel im Leopold-Museum

Robert Hammerstiel, geboren 1933 in Werschetz (Vrfiac) im Banat, ist der erste zeitgenössische Künstler, dem eine Ausstellung im Leopold-Museum gewidmet ist. Sein Frühwerk ist von Kindheitserinnerungen in jugoslawischen Internierungslagern geprägt. Nach einem New-York-Aufenthalt 1988 entwickelte sich seine Malerei zu einer neuen Form der Pop-Art. Robert Hammerstiel erzählte Gerald Grassl von seiner Kindheit und seiner Kunst. Bis weit in die 80er-Jahre ist Ihr künstlerisches Werk vor allem von Ihrer Kindheit in Werschetz im Banat in Serbien geprägt.

Ich schätze, dass Werschetz damals rund 50.000 Einwohner hatte. Das Ortszentrum war zweigeteilt: Auf der einen Seite lebten die Bürgerlichen. Auf der anderen die Arbeiter usw. Die Mehrheit waren die Deutschen, etwa 16.000, dann gab es 14.000 Serben, 3000 Ungarn, 1000 Rumänen und ca. 1.500 Roma. Außerdem gab es noch Weißrussen, Spanier, Armenier und Leute anderer Herkunft. Das war für Österreich als Militärstelle eine ganz wichtige Stadt. Ab Karl den VI. konnten die Osmanen nicht mehr von dort aus nach Österreich eindringen. Da gab es die drei großen berühmten Schwabenzüge, die dort hin übersiedelt worden waren. Im Spätmittelalter hat man noch nicht von den Deutschen gesprochen, sondern von den Sachsen oder den Bayern. Das ist auch Teil meiner Identität und die meiner Familie. Die wurde von der Geschichte der österreichischen Monarchie geprägt. Wenn Sie so wollen, bin ich ein monarchistischer Sozialist.

Sie schrieben, dass im Alter von 11 Jahren und 8 Monaten Ihre Kindheit vorbei war, denn danach begann für Sie und Ihre Familie ein Leidensweg durch mehrere jugoslawische Lager. Ich kannte bzw. kenne sehr viele Menschen, die die KZs der Nazis überlebten. Mich wundert immer welche Fröhlichkeit viele von Ihnen nach diesen schrecklichen Jahren bewahren konnten. Auch Sie strahlen diesen Humor und Freiheit aus.



Das kam aber erst mit dem Alter. Man befindet sich immer in einem Korsett, sonst hält man es nicht aus. Man wird immer von seiner Umwelt vergewaltigt. Da muss man erst durch.

Ich kannte bis zu Ihrer derzeitigen Ausstellung hauptsächlich Ihre großformatigen Holzschnitte. Da vermittelten Sie den Eindruck, dass Sie sich stark der Arbeiterbewegung verbunden fühlen

Ich habe 25 Jahre lang im Stahlwerk gearbeitet. Ein Privatbetrieb ist die Katastrophe! Heute weiß ich, warum ich gegen die Privatisierung von verstaatlichten Betrieben bin.

Vor dem Abgrund wird jeder fromm

In Ihrer jetzigen Ausstellung ist jedoch die Arbeitswelt kaum mehr präsent. Da gibt es nur ein paar wenige Beispiele des Holzschnittzyklus Totentanz. Auffallend: Der Tod und der Arbeiter. Hier ist der Tod eher weiblich, geradezu mütterlich der (die) die Sense als Hilfe in ein von Sorgen befreites Jenseits anbietet.

Der Tod ist geschlechtslos. Es gibt von mir auch einen Holzschnittzyklus Arbeiterhochzeit, in dem ich die Biographie eines Arbeiters von Kindheit an aufgearbeitet habe. Aber mir scheint, das hat niemanden so richtig interessiert.

Durch die Arbeiterbewegung wurde Die Arbeit immer wie ein Mythos behandelt, dass der Arbeiter stolz auf die Arbeit sein sollte. Wie war das für Sie? Empfanden Sie Ihre Schwerarbeit nicht eher auch als Korsett? Haben Sie in Wahrheit nicht auch gezählt: Wie lange dauert es noch bis zur Pension?

Aber natürlich war das so! Wer tut das nicht? Ich spreche im 21. Jahrhundert noch von Ständen. Ich habe mein ganzes Leben immer mit vier Ständen zu tun gehabt.

Bürgertum, Großbürgertum, Arbeiter, Bauern?

Das Proletariat, die untere Bürgerschicht, die obere Bürgerschicht, und die Elite. Ich beobachtete, dass das Proletariat, das sich in dieser Skala ganz unten befindet, und die Elite sich in vielen Bereichen sehr ähnlich sind. Der untere und der obere Mittelstand haben für die gesellschaftliche Entwicklung immer eine Katastrophe bedeutet.

Ab Ihrem 12. Lebensjahr sind Sie durch die Hölle von Internierungslagern gegangen

Ja, aber da waren wir irgendwie auch selber schuld. Ich gehörte einem Volk an, das einen Goethe und Hölderlin hervorgebracht hatte. Es gab immer ein friedliches Zusammenleben der verschiedenen Volksgruppen. Und dann führten sich plötzlich ein paar Deutsche gegenüber ihren Mitbürgern wie Bestien auf. Da durfte es nicht wundern, dass darauf die Rache folgen musste.

Sie sind auch tief religiös. Die Arbeiterbewegung steht jedoch den Religionen eher skeptisch gegenüber.

Ich habe den Abgrund der Menschheit bereits als 12jähriger gesehen. Da habe ich mitbekommen, dass die Leute vor ihrem Tod alle, aber alle, religiös geworden sind. Da hat jeder eine Transzendenz gesucht.

Leider nur Maler

Sie hatten als Künstler Anfangserfolge mit Ausstellungen und Publikationen. Gleichzeitig waren Sie Stahlarbeiter. Gab es nie die Verlockung, die Arbeit in der Fabrik aufzugeben und frei schaffender Künstler zu werden?

Ich hatte schließlich auch eine Verantwortung gegenüber meiner Familie. Natürlich hatte ich immer die Sehnsucht einmal frei schaffend arbeiten zu können. Aber immer wenn es einen kleinen Erfolg gegeben hat, kam ein Monat später wieder ein unerwartetes Ereignis, das mich runter gezogen hat. Immer wieder geschah es, dass ich Malerei ausstellte, und dann hieß es: Er macht so großartige Holzschnitte, aber leider malt er nun Das hat mich jedes Mal so geärgert.



Ihre Monotypien waren dann eine Art Kompromiss zwischen Druckgrafik und Malerei?

Das war eine Art Brücke zwischen den beiden Techniken. Ich habe in Berlin mindestens 20 zum Teil sehr große Ausstellungen gehabt. Dennoch wurde ich immer auf die Holzschnitte reduziert. Natürlich: Der Totentanz-Zyklus zählt sicher zu meinen wichtigsten Arbeiten. Davon werden in der aktuellen Ausstellung nur ein paar wenige Beispiele gezeigt. Ich eröffnete ihn nicht vom Kaiser an, sondern vom Staatspräsidenten bis zum Clochard. Während ich den Clochard positiv darstellte, gestaltete ich diametral dem gegenüber den Großmagnaten, oder noch ärger den Landsknecht. Oder es gibt auch das Blatt Der Tod , die Prostituierte und der Zuhälter. Ich mag keine Zuhälter, aber ich habe immer Mitleid mit den Prostituierten gehabt. Es gibt inzwischen 33 Blätter von diesem Zyklus. In Paris war mir aufgefallen, dass Clochards meistens Intellektuelle sind. Und die kleinste Erschütterung bringt die aus dem Gleichgewicht. Eben weil sie so sensibel sind. Ich machte den Clochard, wie er schlafend mit dem Hut vor sich sitzt. Ein paar Flaschen stehen neben ihm, und den Hund hat er neben sich. Das hat mich sehr berührt. Und von hinten gibt ihm der Tod, auch mit Hut bei ihm dient der zur Tarnung -, sehr höflich noch eine Flasche in die Hand. Da sieht man diese Behutsamkeit des Todes, wie auch beim Arbeiter.

Der Aufenthalt1988 in New York bedeutete einen dramatischen Bruch im bisherigen Schaffen. Gab es dafür einen Anlass, dass Sie in New York waren? Machten Sie dort Urlaub?



Ich habe mein ganzes Leben keinen Urlaub gemacht. Wenn ich Urlaub im Betrieb hatte, konnte ich intensiver als Künstler arbeiten. Wenn ich reiste, dann weil es künstlerische Projekte wie Ausstellungen betraf.

Nun stehen Sie plötzlich mit den Großen der österreichischen Moderne Klimt, Schiele, Kokoschka, Gerstl und andere in einer Reihe. Wie fühlen Sie sich?



Es geschieht zu spät. Ich habe nicht mehr diese Euphorie, diese Kraft, diesen Drang, Erfolg haben zu müssen. Natürlich freut es einen. Aber das Wesentliche ist, man braucht kein Korsett mehr. Ich kann endlich machen was ich will

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