Die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und aus Afrika, namentlich jene mit muslimischem Hintergrund, teilen «unsere Werte» nicht, und bald bilden sie jene kritische Masse, die das Wertesystem zum Kippen bringen wird. Und wenn es kippt, ist es vorbei mit der modernen Trennung von Kirche und Staat und mit der Gleichberechtigung der Frauen. So oder ähnlich lautet das Katastrophenszenario, das uns konservative und reaktionäre Politiker_innen vorzeichnen.Auf einer Expert_innendiskussion Ende November, veranstaltet von der Unruhe Privatstiftung und von SozialMarie, haben zwei Wissenschaftlerinnen versucht, Vernunft in diese Werte-Panikstimmung zu injizieren.
Die Theologin Regina Polak vom Institut für Praktische Theologie an der Universität Wien kritisierte die aktuelle Wertedebatte, die implizit unterstelle, dass Flüchtlinge keine Werte hätten. «Dabei kommen sie gerade deshalb, w e i l sie unsere Werte teilen. Die Zustimmung zu Demokratie ist unter Flüchtlingen sogar manchmal höher als innerhalb der österreichischen Bevölkerung», so Pollak. Die Theologin plädierte für die Entwicklung einer «Pluralitätskompetenz», übersetzt: für die Fähigkeit, zu akzeptieren, dass Unterschiede und Differenzen zwischen Menschen nichts Furchterregendes seien, sondern uns persönlich weiterbringen.»
Dazu kommt, dass so manche unserer westlichen «Werte» nicht wert sind, geteilt zu werden. Die Migrationsforscherin Laura Wiesböck vom Institut für Soziologie an der Universität Wien kritisierte die westliche Wertehaltung, wonach vorwiegend jene Menschen im Land aufgenommen würden, die einen volkswirtschaftlichen Nutzen bringen. Wiesböck forderte daher von der Politik klare strukturelle Maßnahmen, damit sich Ängste vor Lohndumping oder Arbeitsplatzverlust schlichtweg nicht bewahrheiten.