Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung kommt nicht zur Ruhe
Erbitterter Machtkampf. Seit Monaten tobt der Konflikt um das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Und um die Deutungshoheit in der gesamten Affäre. Hedi Hrdlicka fasst zusammen. Illustration: Karl Berger.
Wieder einmal werden Aktenberge voller Staatsgeheimnisse an die Parlamentsklubs geliefert, Minister in Sondersitzungen in die Mangel genommen und dutzende Anfragen verfasst, während die Staatsanwaltschaft ermittelt. Wieder einmal ist also etwas passiert in der Republik Österreich. Dieses Mal steht das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) im Zentrum des Skandals. Also jene Behörde, die Österreicher_innen vor Terrorismus, Spionage und Hackern schützen soll. Das BVT ist kein Geheimdienst, sondern eine Polizeibehörde, man kann sie mit etwas Fantasie mit der US-Bundespolizei FBI vergleichen. Man stelle sich also vor, eine Polizeibehörde, die hauptsächlich gegen Straßendealer_innen vorgeht, führt in den USA eine Hausdurchsuchung beim FBI durch. Genau das ist in Österreich passiert: Am 28. Februar tauchen Staatsanwälte und die Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität (EGS) beim BVT auf, um Büros und Privatwohnungen von Mitarbeiter_innen zu durchsuchen. Seitdem steht die Politik Kopf, zwischen Regierung und Opposition ist ein erbitterter Kampf um die Deutungshoheit in der BVT-Affäre entbrannt.
Zwei Erzählungen haben sich durchgesetzt.
Vor allem die FPÖ behauptet, dass im BVT korrupte und chaotische Zustände herrschten, die sogar strafrechtlich relevant waren. Deshalb hat die unabhängige Justiz entschieden, die Vorwürfe im großen Stil zu untersuchen. Alle seither laufenden Schritte seien sinnvoll, ja sogar nötig, da Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) als Dienstgeber für rechtlich einwandfreie Zustände im BVT sorgen müsse. Dem steht das Narrativ der Oppositionsparteien gegenüber: Sie werfen Kickl vor, vage Gerüchte genutzt zu haben, um die Staatsanwaltschaft unter Druck zu setzen. Dank deren Ermittlungen war dann ein Grund gefunden, um die ungeliebte BVT-Führung rund um Peter Gridling «umzufärben». Außerdem sollte dem Rechtsextremismus-Referat, das zahlreiche FPÖ-nahe Personen untersuchte, eins ausgewischt werden.
Obwohl sich die beiden Erzählstränge nicht ausschließen, herrscht im öffentlichen Diskurs momentan ein Schwarz-Weiß-Denken vor: Man ist für das BVT und gegen die FPÖ, oder umgekehrt. Dabei spricht vieles dafür, dass die Behörde schlecht geführt und von persönlichen Fehden geprägt war – und die Clique rund um Innenminister Kickl das beinhart ausgenutzt hat.
Im Sommer 2017 taucht ein Dossier auf.
Und zwar in den Postfächern und E-Mail-Eingängen von Journalist_innen, Politiker_innen und Staatsanwält_innen – es ist mit ausführlichen Vorwürfen gegen hochrangige Mitarbeiter_innen von BVT und Innenministerium gespickt, das damals seit 17 Jahren von ÖVP-Politiker_innen geführt wird. Dieses Konvolut liest sich wie ein reißerischer Agent_innenthriller. Beamte sollen Lösegeld abgezweigt, Spesengeld für Sex-Partys verwendet und Journalist_innen bestochen haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt ein bisschen, Reporter_innen recherchieren. Am Ende bleibt von den Vorwürfen nicht viel übrig. Es besteht nur mehr der Verdacht, dass manche Datensätze zu lange im BVT gespeichert wurden. Außerdem wird eine Spionageoperation gegen Nordkorea kritisch beäugt. Im Winter 2017 wirkt es so, als wäre die Affäre beendet, bevor sie wirklich begonnen hat.
Zwischenzeitlich hat das Innenministerium aber die Parteifarbe gewechselt. Statt Wolfgang Sobotka (ÖVP) hat nun Herbert Kickl die Zügel in der Hand. Als rechte Hand installiert er den Spitzenpolizisten Peter Goldgruber. Der bekommt das BVT-Dossier zu Jahresbeginn in die Hand – und marschiert damit zur Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Einen «Skandal» nennt das sein Gegenüber im Justizminister, Christian Pilnacek, in einer internen Dienstbesprechung, deren Protokoll nach außen drang. Das Kabinett Kickl weist die Staatsanwaltschaft aber nicht nur auf das dort ohnehin bereits bekannte Konvolut hin, sondern involviert sich noch stärker in die Ermittlungen. So begleitet der Kabinettsmitarbeiter Udo Lett, früher im Wiener Landesamt für Verfassungsschutz, zwei Zeug_innen zur Staatsanwaltschaft, die dort «auspacken» sollen. Brisant sind ihre Aussagen nicht, wie man mittlerweile weiß. Im Grunde bestätigen sie, dass sie die im Konvolut aufgestellten Behauptungen ebenfalls gehört hätten. Auch zwei weitere Zeug_innen geben den «Flurfunk» wieder, ohne konkrete Aussagen zu machen.
Für die Staatsanwaltschaft ist nun genug Substanz da. Sie will die Büros des Verfassungsschutzes durchsuchen und bespricht daher mit Goldgruber und Kickl, welche Polizeieinheit dafür herangezogen werden kann. Eigene Polizisten, die nur für die Staatsanwaltschaft tätig sind, gibt es in Österreich nicht. Da das eigentlich vorgesehene Bundesamt für Korruptionsbekämpfung (BAK) selbst in dem Konvolut vorkommt, schlägt Goldgruber die Einsatzgruppe für Straßenkriminalität (EGS) vor. Die Staatsanwaltschaft stimmt zu, weiß aber laut eigenen Angaben zu diesem Zeitpunkt nicht, dass EGS-Chef Wolfgang Preiszler ein FPÖ-Mitglied ist, das regelmäßig rassistische Inhalte in sozialen Medien verbreitet – gegen ihn wird nun ermittelt, es gilt wie für alle Erwähnten die Unschuldsvermutung.
Preiszler, seine EGS-Polizist_innen und die Staatsanwaltschaft tauchen in den Morgenstunden des 28. Februar beim BVT auf. Bis zum frühen Abend werden Büros und Privatwohnungen von Beschuldigten durchsucht und so viele Dokumente beschlagnahmt, dass mehrere Transporte vom BVT zur Staatsanwaltschaft stattfinden müssen. Obwohl die Anordnung zur Hausdurchsuchung nur von Ermittlungen wegen der Nicht-Löschung von Daten und der Spionageoperation zu Nordkorea spricht, nimmt die Staatsanwaltschaft auch eine Vielzahl von Dokumenten zum Bereich Rechtsextremismus mit. Sogar eine DVD des deutschen Verfassungsschutzes, auf der sich Fotos von Teilnehmer_innen des rechtsextremen Ulrichbergstreffen befinden, wandert zur Staatsanwaltschaft. Deshalb kassierte nun EGS-Chef Preiszler eine zweite Anzeige – ihm wird vorgeworfen, dass er und seine Einsatzgruppe absichtlich Daten zu Neonazis und Rechtsextremen mitgenommen hätten.
Auf die Razzia folgen Suspendierungen.
Neben BVT-Chef Peter Gridling trifft es drei weitere Beamte, die momentan ihren Dienst im Verfassungsschutz versehen. Drei Monate später sind diese Suspendierungen wieder aufgehoben. Auch die Staatsanwaltschaft scheint in der Zwischenzeit keine großen Fortschritte gemacht zu haben. Etwa bei der Nordkorea-Affäre: BVT-Beamten wird hier vorgeworfen, zu eng mit Südkorea zusammengearbeitet zu haben. So erhielten die Beamten von der Österreichischen Staatsdruckerei – mittlerweile ein Privatunternehmen – 30 nordkoreanische Passrohlinge. Das war möglich, weil Nordkorea seine biometrischen Pässe in Österreich herstellen lässt. Drei Pässe wurden dann an den südkoreanischen Geheimdienst NIS weitergegeben. Außerdem gab es eine Observation der nordkoreanischen Botschaft, die womöglich rechtswidrig war und viele Treffen mit südkoreanischen Agenten beim Heurigen. Ein Grund, das Funktionieren des wichtigsten Sicherheitsorgans der Republik zu gefährden, sind diese Vorwürfe – selbst wenn sie stimmen – nicht.
Der zweite Themenkomplex weist ebenfalls keine spektakulären Inhalte auf. Hier geht es darum, dass Einträge im hauseigenen EDV-System nicht fristgerecht gelöscht wurden. Konkret sollen davon die ehemalige Nationalrätin Sigrid Maurer (Grüne) und der SPÖ-nahe Wiener Anwalt Gabriel Lansky betroffen sein. Die Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe, Beweise für eine (absichtliche) Nicht-Löschung sind öffentlich bislang nicht bekannt. Nun wird auch untersucht, ob die Vergabe von Aufträgen an die IT-Firma Rubicon rechtswidrig war.
All das scheint die Vorwürfe zu unterstützen. Kritiker_innen kreideten der Staatsanwaltschaft und dem Innenministerium von Anfang an «überschießendes» Vorgehen an. Und doch zeigen die Protokolle der Zeugenaussagen, dass im BVT einiges schieflief. So tauchten im Zuge der Untersuchungen Informationen über Beamte auf, gegen die momentan wegen des Verrats von Staatsgeheimnissen an Russland ermittelt wird. Die Standards für IT-Sicherheit dürften im BVT sehr lasch gewesen sein, so konnte die Staatsanwaltschaft unverschlüsselte und nicht passwortgeschützte Festplatten mit heiklen Daten einsehen. Dazu kommen zahlreiche kolportierte Übergriffe gegen weibliche Beamte.
Nun soll Peter Gridling selbst das BVT reformieren. Das gaben Kickl und der BVT-Chef vor wenigen Wochen auf einer gemeinsamen Pressekonferenz bekannt. Mitleid für den obersten «Staatsschützer» ist kaum angebracht, Skepsis dagegen schon. Auch unter Gridling, der das BVT seit 2008 leitet, stand das Amt nicht im Verdacht, die rechte Szene allzu hart anzugreifen. Der Aushöhlung von Grundrechten redete der BVT-Chef allerdings beständig das Wort. Empfohlen hat er sich – zumindest nach freiheitlichen Maßstäben – damit offenbar nicht. Dem neuen Herrn zu dienen, immerhin dazu scheint Gridling, nach aufgehobener Suspendierung, dann doch bereit zu sein.