Im Gespräch: Ein Shoppingcenter-Architekt, der Shoppingcenter kritisiert
Vor fünfundvierzig Jahren baute Walter Brune eines der ersten großen Shoppingcenter in Deutschland. Einige Jahre später erkannte er, wie sich Shoppingcenter auf Städte auswirken. Brune, der gerne als der deutsche Victor Gruen bezeichnet wird, tritt heute als Shoppingcenterkritiker auf. Gemeinsam mit dem Stadtplaner Holger Pump-Uhlmann gab er mehrere Bücher heraus, demnächst erscheint die Streitschrift «Factory Outlet Center – Ein neuer Angriff auf die City». Ulli Gladik lernte Walter Brune und Holger Pump Uhlmann bei der Arbeit zu ihrem Dokumentarfilm «Global Shopping Village» kennen. Sie sprach mit ihnen über innerstädtische Shoppingcenter, die Verantwortung von Architekt_innen und den Widerstand gegen Großprojekte.
Herr Brune, was passiert, wenn eine Innenstadt ihren Einzelhandel verliert, weil ein Shoppingcenter am Stadtrand gebaut wird?
Walter Brune: Wenn Sie eine Stadt haben, dann ist der Einzelhandel der wesentliche Belebungsfaktor. Wenn Sie den rausnehmen, bleiben nur noch die Museen und die Büros und dann ist das Leben raus! Die Wechselwirkung zwischen Arbeit, Kultur und Einzelhandel funktioniert nicht mehr, denn die Leute gehen dort hin, wo der Einzelhandel ist – ins Shoppingcenter. Das Leben in der Stadt wird richtig ausgeleert und unsere urbanen Kulturstädte verlieren auch ihre Kultur, weil die Kultur wird einsam und einsame Kultur funktioniert nicht. Im Shoppingcenter geht es nur um Geld, um Umsatz: Wer ist der Größte? Der am meisten Flächenumsatz in sein Projekt holt.
Wie haben Sie reagiert, als Sie erkannt haben, dass das große Shoppingcenter, das Sie damals im Ruhrgebiet gebaut haben, den Einzelhandel der nahe gelegenen Stadt Mühlheim abgezogen hat?
Walter Brune: Ich habe dann einen Centertyp entwickelt, der die Stadt nicht zerstört, sondern die Vorteile des Shoppingcenters in die Stadt bringt. Eine Einkaufsstraße neigt ja normalerweise zur Monostrukturierung. Das liegt einfach daran, dass Boutiquen 200, 300 Euro Miete pro Quadratmeter zahlen, der Gastronom aber höchstens 30 Euro. Daher gibt es in der Einkaufsstraße irgendwann fast nur noch Boutiquen. Die Menschen wollen aber nicht immer nur Klamotten oder Schuhe kaufen, sondern auch mal einen Kaffee trinken oder essen gehen. Die Stadtgalerie, als neue Art einer zentral in der Stadt liegenden Einkaufsgalerie, muss also jene Sortimente aufnehmen, die auf der Straße verloren gegangen sind. In die Stadtgalerie kommt ein Lebensmittelbereich rein, eine Apotheke, ein Hutgeschäft, Gastronomie und so weiter. Eine Stadtgalerie muss immer gut an die Stadt angebunden sein, sie soll auch Durchgänge schaffen, durch die man Wege abkürzen kann. Das allerwichtigste ist aber, dass die Stadtgalerie nicht zu groß ist. Denn wenn sie zu groß gebaut wird, dann brauchen die Leute die Innenstadt gar nicht mehr. Dann fahren sie in das Parkhaus rein und kriegen in der Stadtgalerie alles, was sie brauchen. Solche Einkaufscenter machen der Stadt an zentralster Stelle Konkurrenz und ruinieren sie schließlich.
Wir haben in Österreich bereits mehrere dieser zu groß geratenen innenstädtischen Shoppingcenter. Einige in Wien, aber auch in Klagenfurt oder Leoben. In Ihrem Buch «Angriff auf die City» geht es um innerstädtische Shoppingcenter.
Walter Brune: Eine Innenstadt verlangt hochwertige Architektur und eine Stadtgalerie muss subtil an eine Stadt angepasst werden. Investoren von Shoppingcenter sehen meist aber nur eines: optimalen Umsatz mit dem kleinsten Einsatz. Diese Investoren verlangen vom Architekten, eine billige Kiste zu planen, und wenn der das nicht tut, dann nehmen sie ihre eigenen Hausarchitekten. Die bauen die Kiste dann so hin, wie die das haben wollen: Innen viel Action, Promotion, Parkplatz, und es ist völlig egal, ob sich das Ding an die Architektur der Stadt anpasst. Das Schlimmste ist aber die Verlagerung des Einzelhandels, und da wehren sich die Architektenkollegen leider oft nicht dagegen. Sie nehmen den Auftrag und lassen sich da vor einen Wagen spannen, vor den sie nicht gehören. Ich gönn ja den Leuten, wenn sie Geld verdienen, aber dabei muss die Stadt als lebendes Wesen akzeptiert und darf nicht geschädigt werden. Und dann kann man immer noch genug Geld verdienen.
In Wien erleben wir zurzeit, wie ein Großprojekt nach dem anderen realisiert wird. Am ehemaligen Südbahnhof etwa entstehen auf Flächen, die der Allgemeinheit gehör(t)en, neben dem neuen Bahnhof auch ein Einkaufszentrum und Bürohochhäuser von Banken.
Ob diese Entwicklung der Allgemeinheit wirklich dient, ist fraglich. Was würden Sie Bürger_innen empfehlen, deren Stadt mit einem derartigen Großprojekt konfrontiert ist?
Holger Pump-Uhlmann: Ich würde empfehlen, das Projekt in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken und von der Stadt zu verlangen, dass sehr transparent darüber verhandelt wird, welche Ziele verfolgt werden. Ich würde fordern, dass alle zentralen Planungsgrundlagen darauf abgeklopft werden, ob dieses neue Projekt im Einklang mit der langfristigen Stadtplanung steht und ob das Projekt langfristig dem Wohle der Stadt dient. Sollte sich herausstellen, dass ausschließlich monetäre Interessen verfolgt werden, etwa jene der Projektentwickler oder einiger weniger Grundstückseigentümer in der Stadt, dann sollte das Projekt abgelehnt werden. Meist vertrauen politische Entscheidungsträger blindlings den Beteuerungen und Versprechungen der Immobilienentwickler, warum auch immer. Eine Bürgerschaft muss solche Prozesse nicht zwangsläufig hinnehmen. Es gibt viele Beispiele, wo sich Bürger_innen erfolgreich gewehrt haben, durch Bürgerbegehren, durch Schaffung neuer Mehrheitsverhältnisse im Stadtrat, der Wahl eines neuen Stadtoberhauptes.
Oft ist es auch so, dass die Kommune Baugründe zu unverschämt günstigem Preis an die Entwickler abtritt, wie es etwa bei der Braunschweiger Schlossgalerie der Fall war, oder dass die Kommune öffentliche Straßen überbauen lässt, wie es bei der Thiergalerie in Dortmund passiert ist. Es kann nicht angehen, dass Großprojekte, die nachweislich schädlich für Städte sind, von Kommunen durch Subventionen erst ermöglicht werden und die Rendite des Entwicklers mehren.
Gespräch und Filmstills: Ulli Gladik
Ulill Gladiks Dokumentarfilm «Global Shopping Village»
Ein Kraftplatz für mein Shoppingcenter
«Expansion ist unsere Strategie», ist auf einem Schild zu lesen, das einen Messestand ziert. Eines von vielen mehr oder weniger zufälligen Goodies, die die Filmemacherin Ulli Gladik auf ihrem Weg durch die Welt der Shoppingcenter-Baustellen mit der Kamera entdeckte. In ihrem neuesten Dokumentarfilm, «Global Shopping Village», stellt Gladik in Frage, was vielen Kleinstadt- und Stadtrandbewohner_innen längst zur Selbstverständlichkeit geworden ist; auf der grünen Wiese steht ein Shopping Center – wieso eigentlich?
«Ein Kraftplatz, ein markanter Platz, der nachhaltig den Menschen über Jahrhunderte was gibt, dort möchte mich meine Zentren ansiedeln», hören wir einen der Shoppingcenteristen sagen, während oberösterreichische Kitschlandschaften an uns vorüberziehen. Wo früher Kirchen gebaut wurden, sollen jetzt Shoppingcenters entstehen – wie war das mit der Religion und dem Opium und dem Kapitalismus?
In aller Widersprüchlichkeit zeichnet Gladik in ihrem Film ein Porträt des Shoppingcenters: Wie es Aufträge sichert, Stadtkerne zerstört, Jugendlichen als Freizeitangebot gilt, Politik und Wirtschaft fröhlich vereint. So nimmt es wenig Wunder, dass bei der Jubiläumsfeier des Fohnsdorfer Shoppingcenters nicht nur der junge, enthusiastische Bürgermeister, der Bauherr und der Betreiber, sondern auch die entsprechende Vertreterin der örtlichen Raiffeisen zum Gruppenfoto bereitstehen. «Für was sind die Politiker da?», ist – angesichts der Großbaustellen mitten am flachen Land – die folgerichtige Frage einer Regionalplanungs-Aktivistin. Eine mögliche Antwort gibt sie selbst: «Die sind ned dazu da, dass sie die Region schädigen».
Global Shopping Village
Produktion: Golden Girls Film, 2014, 80 Minuten
Premiere im Zuge des Filmfestivals «Crossing Europe» im City Kino Linz:
27.4., 13.30 und 28.4., 21.00