«Die Stadt zieht alle ­Register, um diesen Protest zu beenden»tun & lassen

Die geplante «Stadtstraße» zwischen Südosttangente und Seestadt darf gebaut werden. Aber soll sie das auch? Die Protestbewegung will nicht nur die Lobau retten, sondern die ganze Verkehrspolitik. Lucia Steinwender von «System Change, not Climate Change!» über kuchenbackende Anrainer_innen und unangenehme Post von der Stadt Wien.

Interview: Lisa Bolyos

Mitte Dezember bekamen mehrere Personen, darunter auch du, Post vom Rechtsanwaltsbüro Jarolim Partner im Auftrag der Stadt Wien. Was steht in dem Brief?
Lucia Steinwender: Es wird darin mit Schadensersatzklagen gedroht, wenn die Besetzung der Baustellen der geplanten Stadtstraße nicht beendet würde. Die Auswahl der Personen, die diesen Brief erhalten haben, war relativ wahllos; es sind darunter Leute, die einmal auf Twitter ihre Solidarität mit der Protestbewegung kundgetan haben, Menschen, die in der Öffentlichkeit für diese Bewegung gesprochen haben, und Personen, die für NGOs wie Greenpeace arbeiten.

Laut dem Brief sollen Menschen, die an den Protesten teilnehmen, solidarisch haften, also den Schaden bezahlen, der entsteht, wenn sich die Bauarbeiten verzögern. Fürchtet ihr euch vor den Klagsdrohungen?
Wir fürchten uns nicht. Durch den öffentlichen Aufschrei, den der Brief verursacht hat, ist er zum sprichwörtlichen Schuss ins Knie geworden. Aber die letzten Wochen machen anschaulich, wie die Stadt Wien alle Register zieht, um diesen Protest zu beenden. Am Donnerstag (9. Dezember, Anm.) haben sie die Polizei geschickt, um die Räumung anzudrohen, am Tag darauf kamen die Briefe. Was wir dem entgegenzusetzen haben, sind gute Argumente und unsere Körper. Seit den Räumungs- und Klagsandrohungen kommen immer mehr Menschen dazu, um den Protest zu unterstützen.

Räumungsankündigung und Anwaltsbriefe kamen sehr zeitnah zu den Ergebnissen des Klimachecks – Zufall?
Der Zeitpunkt hat wohl damit zu tun, dass im Dezember wichtige Bautermine für die Stadtstraße anstehen. Aber die Stadt hat sich von Anfang an über die Klimaevaluierung hinweggesetzt. Im Juli hat Leonore Gewessler den Klimacheck beschlossen, trotzdem hat die Stadt mit Vorarbeiten an der Straße begonnen. Warum? Um Fakten zu schaffen. Der Klimacheck ändert nichts am Bundesstraßengesetz von 1974, laut dem der Bund verpflichtet ist, eine Umfahrung um Wien zu bauen. Um das zu ändern, bräuchte es eine Mehrheit im Nationalrat. Die Absage des Lobau-Tunnels aber kann bei einem Wechsel im Ministerium wieder aufgehoben werden. Und darauf setzt man offensichtlich in der Stadt Wien.

Verkehrsstadträtin Ulli Sima sagt sinngemäß: Die Lobau ist nicht mehr in Gefahr, also könnten die Aktivist_innen jetzt doch nach Hause gehen. Wieso geht ihr nicht?
Das ist doppelt falsch: Zum einen ist die Lobau noch lange nicht aus der Gefahrenzone raus. Zum anderen geht es uns nicht um ein einzelnes Projekt, sondern um die gesamte autozentrierte Verkehrspolitik, die wir völlig umkrempeln müssen, wenn wir die Klimakrise in den Griff bekommen wollen.

Keine Stadtstraße, keine Stadterweiterung, sagt die Stadtregierung. Es steht der Vorwurf im Raum, dass ihr den gemeinnützigen Wohnbau verhindert.
Es braucht keine vierspurige Straße, um Menschen in der Donaustadt eine Anbindung zu ermöglichen. Mit den Millionen, die die Stadt Wien in neue Autobahnen stecken will, soll jetzt der sozial viel gerechtere und ökologisch verträgliche öffentliche Verkehr ausgebaut werden. Die Stadt Wien hat ihre selbst gesteckten Pläne für den Öffi-Ausbau in der Donaustadt aber nicht eingehalten, schlimmer noch: Stationen der S80 wurden sogar aufgelassen. Außerdem sollte sich gerade die Sozialdemokratie fragen, ob Versiegelung am Stadtrand bei gleichzeitiger Mietpreissteigerung in der Stadtmitte eine gute, durchdachte Wohnpolitik ist.

Im Brief des Anwaltsbüros steht auch, dass «in der Umgebung ansässige Familien», die in der Nähe der Besetzungen wohnen, unter dem Verhalten der Aktivist_innen leiden. Wie löst ihr Konflikte mit Anrainer_innen?
Jedes Mal, wenn ich im Camp bin, gibt es Kuchen, den Anrainer_innen vorbeigebracht haben. Mit vielen von ihnen hatten wir von Anfang an ein sehr gutes Verhältnis, weil Hirschstettner_innen ja auch unter der vierspurigen Stadtstraße leiden würden. Es mag sicher Menschen geben, die mit unserem Protest nicht einverstanden sind und andere Meinungen zum Straßenbau haben. Aber bezüglich Verschmutzung oder Lärm gibt es keine Beschwerden. Und wer die ORF-Doku über das Protestcamp gesehen hat, weiß, wir haben das Ehrensiegel «Sie san sehr ruhig» bekommen.