Die Stille der grünen Bürosvorstadt

Netzwerken, aber mit wem?

Die «Mingos» am Standort des ehemaligen Schlachthofs in St. Marx sind als günstige Mietbüros für junge Start-ups der Medienbranche gedacht. Wer hier einzieht, soll vor allem eines tun: sich mit anderen «Kreativen» vernetzen. Aber ist der eigene Schreibtisch zuhause nicht oft doch die bessere Alternative geblieben? Ein Stimmungsbericht.

Foto: Lisa Bolyos

Der Unternehmer Peter Ungvari blickt zufrieden aus seinem Fenster und sagt: «Wir sind hier mitten drin.» Seit Juni 2012 arbeitet er mit seinen drei Mitarbeitern in einem Mingo-Büro der Stadt Wien im Media Quarter Marx. Gut 300 Meter entfernt von seinem Fenster sausen die Autos über die Tangente. Im Büro des «Jungunternehmers» ist nur das leise Surren der Lüftung zu hören. Riesenhafte pinke und blaue Filzpolster schotten den Raum auch im Inneren vor jeglichem Echo ab. Der Unternehmer hat sie selbst so über die Wand drapiert, dass sie «auch noch schick wirken». Ansonsten gibt es hier wenig Ausstattung – ein großer Schreibtisch, der Computer, der Sessel, ein knallgrünes Metallgewächs in einer Ecke des Raumes. Ungvari ist der letzte Chef am Ende des langen Ganges, die drei Mitarbeiter arbeiten im Nebenraum – Kund_innen empfängt er hier kaum. Als App-Anbieter läuft in seinem Business das meiste digital. Dennoch sitzt der Jungunternehmer im strahlend weißen Hemd, perfekt rasiert und mit einem Kongress-Badge mit seinem Namen um den Hals hinter seinem Schreibtisch – die Massen können kommen. Er ist bereit.

Ungvaris Unternehmen «zweipunktnull» ist nur eines von sieben, das die Mingo-Büros am südlichen Stadtrand bezogen hat, um hier zu wachsen. Mingo, das steht für «Move in and grow». Bei einem Kaffee mit selbstgeschäumter Milch oder einem Tofu-Sandwich können sich die Jungunternehmer hier in den Pausen gemeinsam den Kopf darüber zerbrechen, wie man das poppigste Logo gestaltet, oder an welchen Schrauben bei der Kund_innenakquise noch gedreht werden könnte – so lautet zumindest das Business-Konzept der Wirtschaftsagentur der Stadt Wien. Wer hier einzieht, braucht nicht mehr als seinen Laptop und eine Idee vom eigenen Geschäft. Für alles andere ist bereits gesorgt: Strom, Glasfaserleitungen, Büromöbel, Teeküche, Besprechungs- und Seminarräume, betreuter Empfang, Postzulieferung. «Das alles für einen Preis von rund 27,64 Euro pro Quadratmeter», rechnet Ungvari vor. Insgesamt kostet ihm sein Zimmer also rund 400 Euro im Monat. Für ihn wäre das ein halber Tagsatz, stellt er fest. «Dank Mingo habe ich mich in eine andere Qualität der Arbeit katapultiert», sagt er und blickt dabei angestrengt auf seinen Bildschirm. Er ist auf der Suche nach dem Foto, das er bei seinem ersten Besuch der Mingo-Büros auf Facebook gepostet hat. So viele begeisterte Antworten wie damals hätte er sonst nie bekommen.

Die 37 Likes galten dem langen, limettengrünen Mingo-Gang, der die Büros aller sieben Mieter_innen schlauchförmig zusammenhält – ein Kreis, der sich beim Empfang schließt und dort in ein voluminöses, schwarzes Canapé mit einem minimalistischen rosa Plüschkissen einmündet. In der Tat sticht der Besucherin beim Betreten der Mingo-Räumlichkeiten als Erstes die überall vorherrschende grüne Farbe ins Auge. Sogar die Männlein und Weiblein der Klotüren erstrahlen fröhlich in Limette. Ein handtellergroßes Blatt verziert die kleinen Milchglasfenster, die die einzelnen Büros wohl zum Gang hin öffnen sollen. Wer sich dem Ornament bis auf wenige Zentimeter nähert, kann durch die kleinen Blattrillen erspähen, ob ein Büro besetzt ist oder nicht. Den üblichen Bürolärm gibt es hier nicht. «Mingo Büros – Ihr Platz ist bei uns» steht in großen schwarzen Lettern über der unbesetzten Sofaboa.

Einer scheint hier trotz allem gerne zu plaudern, es ist Herr Gerdl, der Portier. Er hat ein anderes Business-Konzept. Seine Sekretärin und er tragen keine weißen Hemden und Namensschilder. Während die rothaarige Dame in 80er-Jahre-Schlabberpuli fluchend auf der Tastatur herumhämmert, lehnt Gerdl lässig im rot-blauen Karohemd am Fensterbrett. «Wir sind nicht von der Wirtschaftsagentur», sagt er, «unser Service ist nur zugekauft.» Auch die Visitenkarte muss man sich bei ihm abschreiben. Die Nummer stimmt ebenso wenig – es ist die Karte des Vaters, der aber glücklicherweise den gleichen Namen trägt. Auf die Frage, ob es in den heiligen Hallen der Kreativen immer so ruhig und menschenleer sei, lacht der Mitvierziger mit krausem Haar, das an Mundl erinnert: «Viele arbeiten halt doch von zuhause aus.»

Ungvari ist gerne hier. Jeden Tag zweimal über die Tangente zu fahren nimmt er in Kauf, da er nun endlich einen Ort gefunden hat, an dem er sich bei seiner Arbeit wirklich wohlfühlt. Stören würden nur manchmal die ungewollten Nachbarn. Aber zumindest die Raucher_innen hätte man Gott sei Dank bereits hinausgeworfen. Zweimal pro Jahr soll es eigentlich ein Mieterfrühstück geben; wann das letzte war, kann sich Ungvari nicht erinnern.

INFO:

Die Wirtschaftsagentur der Stadt Wien bietet aktuell an neun Standorten Mingo-Büros für rund 160 Mieter_innen an. Einzige Zugangsbedingung: Das Unternehmen darf nicht älter als fünf Jahre sein. Bei der Standortwahl werden bewusst Grätzel ausgesucht, die durch den Zuzug der Kreativen belebt werden sollen. Im Media Quarter Marx residieren die «Mingos» in unmittelbarer Nachbarschaft von Puls 4, Sat 1, ProSieben und der «Wiener Zeitung». «Die Idee ist das Netzwerken untereinander», sagte Stadträtin Renate Brauner bei einer Besichtigung der Mingo-Büros.

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