Musikarbeiter Spezial
Als das Angebot kommt, Ludwig Hirsch zu interviewen, kommt das Ja mit Rufzeichen und fast wie aus der sprichwörtlichen Pistole geschossen. In einer an Referenzarbeiten aus der geografischen Nachbarschaft armen Popland wie dem hiesigen sind die beiden ersten Alben von Ludwig Hirsch, Dunkelgraue Lieder (1978) und Komm, großer, schwarzer Vogel (1979) zwei in ihrer Qualität hell strahlende Ausnahmen. Bis heute vermögen sie es formell und inhaltlich etwas von hier zu transportieren, ohne sich gegen die Welt zu verschließen und in der ewigen geistigen Provinz Österreichien zu versumpern.
Im Gegenteil, sie singen ihr sozusagen auf den Zahn, dieser verschroben-verwachsenen Republik Österreichien, sind ein künstlerisch konsequentes und gelungenes Durchlüften von Grauslichkeiten und Zuständen, die selbst in den späten 70er Jahren noch den Nachkriegsmief der aufklärerischen Frischluft vorzogen. Nicht zuletzt, um noch nicht vom Davorgewesenen lassen zu müssen oder sich gar wahrhaftig damit auseinander zu setzen.
Hören Sie etwa den Dorftrottel vom 78er-Album. Staunen Sie, wie akkurat dieses tatsächlich mörderische, meisterlich inszenierte Musikdrama das Unheil wiedergibt, dass aus einer dumpfen Mischung aus (Aber-)Glaube, dem ewigen Neid, erbärmlicher Feigheit, unpackbarer Gnadenlosigkeit, völliger Unfähigkeit zur Selbstreflexion und rational nicht zu widerlegenden Vorurteilen entsteht. Kärnten, irgendwer? (Und ja Kärnten ist überall).
Oder stellen Sie sich vor, Johnny Cash hätte noch zu Lebzeiten, durch irgendeinen kosmischen Zufall von Produzent Rick Rubin damit vertraut gemacht, I lieg am Ruckn interpretiert. Dieses aus dem Grab gesungene wunderbare Liebeslied.
Es ist dem unzweifelhaft tief verankerten Humanismus des Ludwig Hirsch gedankt, seiner zweifelnden, aber nichtsdestotrotz intakten Menschenliebe, dass er als eine der für ihn wichtigsten Eigenschaften seiner frühen Lieder formuliert: Es ist sehr, sehr wichtig, dass diese Stücke über die Schulter blinzeln, ein Grinsen mit servieren. Ein Grinsen, dass sich eben trotzdem einstellt, wenn der Sänger seiner Omama mit auf den letzten Weg gibt, das Mutterkreuz besser nicht mitzunehmen. Es ist aber ein Grinsen, das nichts zurücknimmt, nichts gut macht, nichts verwischt. Aber eben doch ein befreiender, erleichternder Moment.
Seitenblicke-Flüchtling
Das Gespräch mit dem 1946 in der Steiermark geborenen Künstler findet an dem Tag statt, an dem Georg Danzer seinen 62. Geburstag gefeiert hätte, und einen vor dem 80. Geburstag von Helmut Qualtinger. Ein zufälliges, aber dennoch passendes Zeichen geistiger Verwandschaft.
Wie Danzer ist Hirsch mit dem seltsamen Begriff des Austropop verbunden, wie Danzer versteht es Hirsch, als öffentliche Person seine Würde zu bewahren. Wenn ich wo bin und die Seitenblicke tauchen auf, dann macht mich das nervös, sagt der Sänger bei Tee und Zigarette im Kaffeehaus. Wie Qualtinger hat sich Hirsch am Österreichischen abgearbeitet und ist beim Menschlichen angekommen oder umgekehrt. Anders als Qualtinger hat er dabei aber zu einer gelassenen (aber nicht gleichgültigen) Unaufgeregtheit gefunden, einer beständigen Konstanz seiner Arbeit. Zu einer Leichtigkeit, die ihn vielleicht nach und nach aus dem Wahrnehmungs-Fokus jener Menschen gleiten hat lassen, denen gerade die ersten LPs so viel bedeuteten.
Zum Teil war das bewusst gesetzt, erzählt Hirsch, der als junger Mann bei einer Beatband die Gitarre spielte. Das war dann rosarot oder himmelblau, sagt er und meint dabei sehr erfolgreiche Lieder wie Sternderl schaun oder Gel Du Magst Mi. Diese ließen ein allfälliges dunkelgraues Image nicht zu übermächtig werden. Gleichzeitig sind diese beiden Lieder Lehrbeispiele dafür, wie man an der Grenze von Engtanz-Rock n Roll, Schlager und letztlich Kunstlied funktionierende Popmusik zuwege bringt (Gel war 1983 Nummer 1 und 14 Wochen in den Charts) und sich mit der großen Zeile vom picksüßen Elvis unpeinlich vor einem Giganten verbeugt.
Diesen leichteren Hirsch gab es schon in den Anfangstagen (Komm spuck den Schnuller aus nebenbei eine genialische Replik wider die reaktionäre Kritik am Rock n Roll von wegen Kinder- und Balzmusik), als er begann, auf Gitarre und seltener Klavier Lieder zu schreiben. Als Reaktion auf ein Wien, dass der Schauspieler damals, von einer längeren Deutschland-Tournee zurückgekehrt, bei seinem ersten Engagement im Theater an der Josefstadt 1975 nur als Grau in Grau und eng empfand.
Ich tu nichts bandagieren
Als junger Schauspieler konnt man damals gerade mal über die Bühne gehen und der Ott oder dem Muliar ein Wasserglas bringen. Als die erste Platte bei Publikum und Kritik so sensationell einschlug, haben auf einmal viele Menschen beim Bühnenausgang auf Autogramme gewartet auf Autogramme von mir.
Ludwig Hirsch sieht sich selbst zu 80 Prozent als Musiker, zu 20 Prozent als Schauspieler, versteht die Musik und die Schauspielerei als zwei große Türen, die sich mir aufgetan haben. Ist dankbar dafür, dass ihm, wenn er von der einen Kunstform und ihren Begleiterscheinungen genug hat, die andere zur Verfügung steht. Behutsam spekuliert er darüber, durch eine dritte Tür zu gehen, er redet kurz von einer großen Form, einem Ein-Akter, vielleicht zwei Akte .
Der Hang zu aufgeblasenen Egos, den man Schauspielern mitunter attestieren muss, ist ihm völlig fremd. Narzissmus oder exzessive Selbstbespiegelung, die als Klischees von Wesenszügen der ihn Ausübenden einen seiner Berufe begleiten, sucht man bei Ludwig Hirsch ebenso vergeblich. Wenn seine Lieder das sind nicht meine Probleme in der Regel aus anderen erzählerischen Perspektiven als der unmittelbar eigenen geschrieben und gesungen sind, er sozusagen in Rollen schlüpft, bleibt er doch als Musiker immer bei der Musik (das Gegenteil macht oft die musikalischen Versuche von Schauspielern so unerträglich), spielt und singt nach den Parametern eines Liedes, nach denen der Musik. Ich setz nix drauf, ich tu nichts bandagieren. Das geht so.
Hirsch fügt sich in die Reihe jener eben nicht ausschließlich Musik machenden Künstler, die in Österreich mitunter die essenziellsten Beiträge zum populären Liedgut liefer(t)en. André Heller kommt einem in den Sinn, der schon erwähnte Helmut Qualtinger (zur Musik von Gerhard Bronner).
Seit 1977 ist der Vater eines Sohnes verheiratet, und auch in der Musik definiert er sich als treu. 30 Jahre das gleiche Management, die gleiche Plattenfirma, die gleichen musikalischen Partner. Nach den Demos, die Hirsch von seinen Liedern macht, werden dann die Arrangements erarbeitet. Ludwig Hirsch verbeugt sich vor seinen Produzenten wie Robert Opratko oder Christian Kolonovits, fügt aber an, dass seine akustischen Plan-Skizzen schon sehr genau Gefühl und Richtung der Lieder vorgeben. Beim Schreiben gehe ich nach Themen vor, am besten ist es, wenn ein Lied richtig flutscht. () Für Komm, großer schwarzer Vogel habe ich 10 Minuten gebraucht. Trotz seiner langen Karriere kennt er so etwas wie einen Writers Block nicht. Da passieren mir dann Konzeptalben.
Hirsch wendete sich dann etwa dem Tierreich zu, oder mit jenem seiner Alben, das er als sein liebstes bezeichnet Bis zum Himmel Hoch (1982) der Bibel. 12 Alben sind es insgesamt und eine DVD der Gottlieb-Tournee, die diesen Herbst wieder aufgelegt wurden. Damit einer der seltenen vollständig erhaltbaren Back-Kataloge eines österreichischen Musikers darstellen. Wenn er selbst über sein 2006er-Werk In Ewigkeit Damen sagt, dass es vielleicht ein wenig zu brav geraten ist, finden sich im jüngeren Werk Perlen (so heißt auch eine 2002 erschienene CD). Grüß Gott Salzburg, diese Unmutsadresse an/aus der Mozart(kugel)stadt stammt etwa vom 6. Album mit dem schönen Untertitel Traurige Indianer Unfreundliche Kellner. Und weil wir gerade dort sind, möchte man dem dumpfen rechten Lager empfehlen, sich das ebenfalls dort enthaltene Das Lied vom Heimkehrer anzuhorchen, aus Prinzip.
Mit seinem Gitarristen und Bandleader Johann M. Bertl, mit dem er treu seit seinen Anfangstagen spielt, tourt er im Oktober und November anlässlich seines 30-jährigen Bühnenjubiläums durchs Land. Im Duo, da sind wir sehr gut aufeinander eingespielt. () Da sitzt dann oft die Oma mit dem Enkerl im Publikum. Als Hirsch davon spricht, wie wichtig es im Livesetting ist, die richtige Atmosphäre zu schaffen, wird deutlich, mit welcher Hingabe und Genauigkeit dieser stille, bedachte Mann seine Kunst betreibt. Man fährt selbst seine Antennen aus, um auch dem Publikum zu ermöglichen, seine Antennen auszufahren.
Jetzt haben wir ganz schön lang geplaudert, meint er am Ende unseres Gespräches, erzählt noch kurz von seinem Besuch ganz wunderbar des Leonard-Cohen-Konzerts. Auch ein Großer. Wie Ludwig Hirsch. Das hat 1993 selbst die österreichische Post erkannt und dem Künstler eine Briefmarke gewidmet. Neuauflage?