«Die Szene zusammenbringen»Artistin

Überregional und experimentell: das NEXTCOMIC-Festival in Linz

Zum achten Mal findet dieses Jahr das NEXTCOMIC-Festival in Linz statt. Es ist das einzige überregionale Comicfestival dieser Art, das Österreich hat. «Ich finde es eine bemerkenswerte Leistung, dass es gelungen ist, aus einem Kulturhauptstadt-Projekt ein jährlich wiederkehrendes Festival zu gestalten», findet dazu Helmut Kaplan von Tonto-Comics (Graz). Denn die finanziellen Voraussetzungen wurden im Jahr 2009 geschaffen, als Linz zur Kulturhauptstadt gekürt war. Von Martin Reiterer.

Grafik: Seite aus Le Monde Diplomatique von David Proudhomme

Aufgrund eines gelungenen Starts und einer erfolgreichen Fortführung konnte sich das Festival inzwischen etablieren und stellt heute ein Forum für die österreichische Comicszene dar. Und das bezeichnet Christian Wellmann, Organisator, Kurator und Leiter von NEXTCOMIC, als Anspruch des Festivals: «die Szene in Österreich zusammenzubringen». 

Ein Kunstgriff zur Etablierung des Festivals scheint die geschickte institutionelle Verflechtung des Festivals zu sein. Mit derzeit zwölf über die Stadt verteilten Veranstaltungsorten (abwechselnd können es jedoch weit mehr sein) – darunter das Oberösterreichische Kulturquartier mit dem Ursulinenhof, wo sich auch das Festivalzentrum befindet, das Literaturcafé Stifterhaus, der Kulturverein KAPU oder das ARS Electronica Center – ist auch ein guter Teil der Stadt in das Festivalereignis eingebunden. Als eindrucksvolles Beispiel kann die Zusammenarbeit mit dem Atelier Salzamt erwähnt werden, das jedes Jahr zwei Comickünstler_innen als Artists in Residence aufnimmt, die vom Festivalteam ausgesucht werden. Das ermöglicht eine fruchtbare Zusammenarbeit mit den betreffenden Zeichner_innen, so Wellmann, die vor Ort länger Zeit haben, ihre Ausstellung zu gestalten.  

Dieses Jahr waren das die italienische Comiczeichnerin Alice Socal, die bei dieser Gelegenheit ihre Graphic Novel «Sandro» vorgestellt hat, und der Brite Joe Kessler, den Wellmann mit Nachdruck empfehlen kann. Kessler ist nicht nur Zeichner, sondern betreibt (zusammen mit Tom Oldham und Simon Hacking) mit Breakdown Press einen der anspruchsvollsten experimentellen Comicverlage, der ästhetisch wie thematisch äußerst erlesene Comics zumeist als Risoprint (nach einem speziellen Siebdruckverfahren) herausbringt.

 

Auch eine Bühne für verwandte Disziplinen

 

Die Ausrichtung des Festivals ist in zweierlei Hinsicht breit gefächert: Zum einen sind bei NEXTCOMIC stets österreichische und internationale Künstler_innen vertreten, zum anderen ist das Comicfestival auch eine Bühne für verwandte Disziplinen wie Illustration, bildende Kunst, Animation und Zeichentrickfilm oder etwa Street Art und deckt damit auch ein Spektrum von gesellschaftlich anerkannteren bis weniger etablierten Kunstarten ab. Ein Schwerpunkt stellen schließlich die unterschiedlichen Workshops dar, die sich vor allem an aktiv Interessierte des Mediums richten und damit einen wesentlichen Anspruch des Festivals einlösen.  

Unter den internationalen Comicstars fanden sich diesmal Mawil («Kinderland», «The Singles Collection»), einer der gewandtesten wie gewinnendsten gegenwärtigen deutschen Comiczeichner, sowie der Finne Tommi Musturi («Das Handbuch der Hoffnung»), der etwa 2010 auf der Biennale Venedig eingeladen war und dessen regenbogenbunte Comics zu einer kontemplativen Lektüre verführen. Und schließlich Jacques de Loustal, einer der bekanntesten französischen Zeichner der Gegenwart, aus dessen umfangreichem Werk einzelne Titel herauszugreifen nur zufällig erscheinen kann. Doch sein Porträt des Saxophonisten Barney Wilen, «Besame Mucho» (1989), oder Kid Congo (1997, jeweils zusammen mit Philippe Paringaux) sind spannendste Comickost. Die Einladung ist in Zusammenarbeit mit der Comicredakteurin Karoline Bofinger entstanden, die bereits zwei Sammelbände mit Comics aus «Le Monde diplomatique» für den Berliner Reprodukt Verlag kuratiert hat («In 50 Comics um die Welt» und «Comics zur Lage der Welt»).  

Loustal ist einer jener Zeichner, deren großformatige Comics seit 2005 die letzte Seite der deutschen Ausgabe der französischen Monatszeitung zieren. Die nicht immer politischen, aber oft frechen, oft irritierenden, manchmal nachdenklichen, mitunter melancholischen Comics zu Themen des Alltags von «Le Monde diplomatique» eignen sich durch ihre Abgeschlossenheit, ihre Bandbreite und globale Ausrichtung besonders für eine Festivalausstellung. Das gilt auch für die Comics von Loustal, der als Festivalstargast eine eigene Ausstellung bekommt: Seine kolorierten Zeichnungen wirken bereits im Panelformat wie Plakate, die Stimmungen ganz eigentümlicher Art verbreiten. Zu sehen sind hier jeweils die Originale.

 

Der Anspruch, niemanden zu vergessen

 

Dass die österreichischen Zeichner_innen voll des Lobes für das Festival sind, ist zu erwarten, der Nachdruck ist jedoch dennoch bemerkenswert: «Gottfried Gusenbauer (der Begründer und ehemalige Leiter von NEXTCOMIC, inzwischen Direktor des Karikaturenmuseums in Krems, aber nach wie vor im Beirat) hat sich von Anfang an bemüht, jedem aus der österreichischen Szene eine Bühne zu geben und niemanden zu vergessen», so die Zeichnerin Michaela Konrad, die selbst mit einer spannenden Schau vertreten ist. «Er hat damit die kleine und zerstreute Comicszene Österreichs gebündelt.» Die Übereinstimmung im Tenor unter den Zeichner_innen vermittelt zweifellos auch den Eindruck, dass man in Österreichs Comicszene einen Nachholbedarf verspürt, daher an einem Strang zu ziehen scheint und potenzielle Animositäten sehr gut hintanstellen kann: Die Bedeutung des Festivals bleibt unangetastet.  

Unter dem Stichwort «nextcomic.austria» werden österreichischen Neuerscheinungen, Debüts und herausragenden Arbeiten auf dem Festival Platz eingeräumt. In diesem Jahr sind das etwa Leopold Maurers frisch aus dem Druck kommende und zum Shakespeare-Jahr passende Comicverarbeitung von dessen letztem Stück «Der Sturm» oder Franz Suess’ selbstgebastelte Geschichte «Isopoda» mit seinen vielschichtigen Zeichnungen um eine Frau, die als Nebenfigur aus seiner letzten Graphic Novel herübergeschwappt und nun ins Zentrum der Geschichte gerückt ist. Darunter findet sich etwa auch der Erstlingscomic «Die Verwerfung» des Tirolers Lukas Kummer mit einer düsteren Geschichte über den Dreißigjährigen Krieg oder Zeichnungen und eine Comic-Korrespondenz der Wiener Zeichnerin und Mitbetreiberin des KABINETTpassage Sibylle Vogel. Vertreten sind aber auch die ebenso punktgenauen wie witzig-satirischen Karikaturen des im Lande allseits bekannten Michael Pammesberger.  

Daneben gibt das Festival Einblicke in die österreichische weibliche Street-Art-Szene, auch das Festivalplakat stammt von einer Graffiti-Zeichnerin und Illustratorin, Frau Isa. Ins Schwärmen kommt Wellmann bei dem Künstlernamen Soybot, hinter dem sich das Kollektiv Burnbjoern, Marie Fegerl, Lena Gold, Gerhard Jordan, Stefan Rauter, Malin Schoenberg verbirgt. Sie stellen – wie der erwähnte Londoner Joe Kessler – vor allem risografische Druckwerke her, in kleinen Auflagen produzierte Fast-Unikate, die durch ihre experimentelle Machart abwechselnd ästhetisch verzücken und verstören.

 

Info:

Noch bis 20. März. Festivalzentrum: Linz, OÖ Kulturquartier/Ursulinensaal, 2. Stock, OK-Platz 1

www.nextcomic.org

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