Die Talente der Kirche. Das Stift Klosterneuburg, die Staatskirche Zyperns und ein Vers aus dem Matthäus-EvangeliumDichter Innenteil

Herr Groll auf Reisen. 246. Folge

«Sie waren doch schon ein paar Mal mit mir in Larnaca», fragte Groll den Dozenten. «Sie saßen in einem Tankstellencafé an der Brünner Straße, das bis weit zur Prager Straße für seine Leberkässemmeln und den vorzüglichen Zweigelt des Weinguts Huber, Zistersdorf, Erdölstraße 3, bekannt war.»

Foto: Mario Lang

Der Dozent nickte. «Ein Land, das Ihnen gut tut, geschätzter Groll. Sie sind auf Zypern selten zornig, viel umgänglicher als in Wien. Wenn Sie in Ihrem Stammlokal «Alexander’s» dem schweren Dorfwein zusprechen, werden Sie sogar charmant.»

«Oh», sagte Groll.

«Welche Assoziation führt Sie nach Zypern? Das Floridsdorfer Nebelwetter?»

«Was mich umtreibt, verehrter Dozent, ist Folgendes: Sie kennen doch das Augustiner Chorherren-Stift Klosterneuburg?»

«Als Kind musste ich zu Leopoldi beim Fasslrutschen mitmachen. Eine idiotische Übung», bejahte der Dozent.

«Wie Sie wissen, ist Klosterneuburg eines der bedeutendsten und reichsten Klöster Österreichs, mit den ältesten durchgängig bewirtschafteten Weingärten des Landes. Und einer monumentalen Stiftskirche.»

«Karl VI., der Vater Maria Theresias, wollte aus Klosterneuburg ein Pendant zum spanischen Königspalast Escorial machen», bekräftigte der Dozent. «Kein Wunder, er war ja 1711 von Spanien nach Österreich geholt worden, als sein Bruder Joseph I., der Lieblingskaiser Prinz Eugens, sehr jung an den Blattern verstarb.»

«Und der Jesuitenzögling Karl hatte nichts Besseres zu tun, als Lust, Leidenschaft und Weltoffenheit aus Wien zu vertreiben und durch die Dreieinigkeit von spanischem Hofzeremoniell, Frömmelei und Intrigantentum zu ersetzen», fügte Groll hinzu. «Klosterneuburg sollte die Vollendung des Barock werden, eine Apotheose auf das katholische Reich, die endgültige Vernichtung des Protestantismus.»

«Der sich an der gesamten Donau ausgebreitet hatte und nur mit Feuer und Schwert zurückgedrängt werden konnte. Danach waren die Klöster an der oberen Donau, aber auch in der Wachau und im Tullnerfeld, wieder Herren der Lage», stimmte der Dozent bei.

Groll setzte fort: «Nach der Vertreibung der Protestanten wurden aber Neusiedler gebraucht. Land war genug vorhanden, auf beiden Seiten der Donau gehörte alles dem Stift. So kam es, dass Floridus Leeb, der Abt des Stifts Klosterneuburg, um 1770 im Gebiet des heutigen Floridsdorf Parzellen an Kleinhäusler vergab.»

«Ich sehe, auch Sie haben Ihren «Augustin»* gelesen» meinte der Dozent. «Jenen Artikel von Robert Sommer, in dem von den Protesten Dutzender Pächter berichtet wird, die überfallsartig mit drastisch erhöhten Pachtzahlungen an das Stift Klosterneuburg konfrontiert wurden. Da haben Sie die Parallele zu Zypern», sagte Groll. «Dort gehört die gesamte Seafront von Larnaca, die Hotel- und Restaurantmeile Finikoudes zwischen Yacht- und Fischerhafen der steinreichen zypriotischen Kirche. Im Vorjahr erhöhte diese die ohnehin hohen Pachtzinsen für kleine Geschäftsinhaber um das Doppelte. Die vielen Konkurse von Restaurants und Shops verdanken die Zyprioten also nicht nur dem Zusammenbruch des griechischen Finanzsystems, sondern auch den zypriotischen Bischöfen. Ob sich mein Stammlokal «Alexander’s» halten kann, ist offen.»

Das seien wahrlich bemerkenswerte Parallelen, erwiderte der Dozent. Die Ökumene scheine also zu funktionieren.

«Zwei Vierterl von der Erdölstraße», rief Groll der Frau hinter der Kassa zu, beugte sich zum Dozenten vor und flüsterte: Er habe zu Leopoldi eine Kirchensendung in Ö 1 gehört. An manchen Tagen gebe es ja nur solche. Der legendäre Peter Mati? habe eine Geschichte aus dem Matthäus-Evangelium gelesen.

«Doch nicht jene, in der der Herr Goldstücke vergibt?» unterbrach der Dozent.

«Talente», besserte Groll nach. «In der Antike hießen Münzen Talente.» «Eine seltsame Namensgebung, es nimmt die spätere Warenform vorweg», warf der Dozent ein. «Nur geldwerte Fähigkeiten zählen.»

«Das ist also der Grund, wieso ich weithin als talentloser Mensch gelte» sagte Groll traurig.

Der Dozent lächelte. «Der Herr vergibt an drei Jünger Talente, zwei mehren das Geld, ein dritter vergräbt die Münze. Er hat Angst, sie zu verlieren. Ihm zürnt der Herr und spricht den ersten Hauptsatz des Kapitalismus: «Wer hat, dem wird gegeben; wer nicht hat, dem wird genommen.»»

«Der Satz könnte auch von August Hayek oder Gaston Glock sein», meinte Groll. «Und doch findet sich auf der Homepage des Stiftes Klosterneuburg viel über die karitativen Leistungen des Stiftes.»

«Unter anderem für Straßenkinder in Bukarest», sagte der Dozent. «Für die Armen gibt’s Almosen, für die Reichen den Profit und den Segen. Eine gottgefällige Veranstaltung.»

««Licht ins Dunkel»», sagte Groll und hob das Glas.

Anmerkungen:

*Augustin, Ausgabe 375, S. 6: Robert Sommer, «Der Gewinn ist heilig»

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