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Als die Titanic den Eisberg rammte und sank, waren die Chancen für die Passagier_innen zu überleben sehr ungleich verteilt. Von den an Bord befindlichen Personen überlebte ein Drittel. Die Überlebenschancen richteten sich nach Klassengrenzen – je nachdem, welche Kabine man sich leisten konnte. Von den Passagier_innen der ersten Klasse haben neunzig Prozent der Frauen überlebt, in der dritten Klasse nur fünfzig Prozent.Die Ungleichheit vor dem Tod ist nicht mit der Titanic versunken, sondern aktueller denn je. Denn ähnlich verhält es sich bei uns auch mit der Lebenserwartung der Bevölkerung. Die Gesundheits- und Lebenschancen haben mit dem sozialen Status zu tun, damit, auf welchem Deck Menschen leben, arbeiten, sich bewegen.
Bei armutsbetroffenen Kindern treten ein Mehr an Kopfschmerzen, Nervosität, Schlafstörungen und Einsamkeit auf. Wo Sicherheit fehlt, wird die kritische Phase des Einschlafens doppelt schwierig. Und der stressige Alltag unter finanziellem Dauerdruck erreicht auch die Kinder und zwingt sie, sich den Kopf zu «zerbrechen». Die Atemwegserkrankungen rühren oft von feuchten Wohnungen her. Man kann einen Menschen mit einer feuchten Wohnung genauso töten wie mit einer Axt. Viele Kinder tragen die soziale Benachteiligung als gesundheitliche Benachteiligung ein Leben lang mit. Sie sind auch als Erwachsene deutlich kränker als der Rest der Bevölkerung. Arme Kinder von heute sind die chronisch Kranken von morgen. Die Kabinen am Schiff sind zugewiesen. Mit der Finanzkrise steigt die Suizidrate wieder europaweit, besonders die von den sozialen Folgen der Krise und Austeritätspolitik betroffenen Länder verzeichnen einen Anstieg: zum Beispiel Griechenland und die baltischen Länder.
Die soziale Selektionshypothese argumentiert, dass Krankheit und schlechte Gesundheit zu sozialen Problemen führen. Krankheit macht arm. Wer krank ist, steigt ab, wer gesund ist, steigt auf. Der Gesundheitszustand bestimmt den sozioökonomischen Status. «Armut macht krank» beschreibt den Zusammenhang in die andere Richtung. Wer im Unter- und im Oberdeck zu leben hat, das ist kein Naturgesetz. Auch wenn die am Oberdeck das gerne behaupten. Über das Einkommen, den Beruf und die Bildungsabschlüsse vermitteln sich unterschiedliche Lebensbedingungen mit unterschiedlichen Wohnverhältnissen, Arbeitsplätzen und Erholungsräumen. Die Alltagsbelastungen sind ungleich verteilt und führen dort, wo sie überproportional auftreten, zu höheren gesundheitlichen Risken. Belastungen können physisch wie auch psychisch verstanden werden. Schlechte Luft für Ärmere in Wohnungen an den Autorouten der Großstädte belastet den Organismus genauso wie chronischer Stress unter einem prekären und unsicheren Alltag. Und: Manche sind nicht krankenversichert, andere zwar versichert, aber trotzdem nicht gut versorgt. Besonders wenn es um Selbstbehalte geht, die nicht leistbar sind. Oder Rehabilitations-Maßnahmen, die in zu geringem Umfang angeboten werden.
Wir haben keine Probleme auf der Titanic. Hört man aus der ersten Klasse.