Zu den Versuchen, die Hymne durch Textmodernisierungen zu retten
Der Rechtsstreit um die in die Bundeshymne eingeschmuggelten «Töchter» hat einen Lärm gemacht, in dem die Kunst-Guerilla-Aktion der Sängerin Tini Kainrath, die vor acht Jahren wegen eben dieser «Töchter» einen Ernst-Happel-Stadion-Skandal heraufbeschwor, beinahe ungehört blieb.Die Österreich-Identität, das Österreich-Bewusstsein ist möglicherweise gar nicht so fest verwurzelt wie angenommen. Wäre es verwurzelt wozu dann die Anstrengung des Österreicher-Machens auf so vielen Feldern? Für die Medien ist, gemessen an der Aufgeregtheit der Schlagzeilen, das Abschneiden der österreichischen Schisportler bei der Winterolympiade eine größere Katastrophe als die Folgen des Erdbebens auf Haiti; dieses käme erst dann auf Rang 1 des Katastrophencastings, wenn die in einem eingestürzten Pornovideoverleih verschütteten Wiener Sängerknaben von US-Marines nach zehn Tagen lebendig aus den Trümmern geborgen würden. Die Schulen lehren den Kindern, wessen Blut als Vorlage für die rotweißrote Fahne diente und dass es ohne mordslustige Serben keinen Ersten Weltkrieg gegeben hätte. Den KonsumentInnen wird in diversen Kampagnen geraten, österreichische Waren zu kaufen, als sei solch nationale Herkunft für sich schon ein Umweltgütezeichen. Und im vollgefüllten Fußballstadium stürzt sich eine Dutzendschaft Polizisten auf einen Nacktflitzer, während 50.000 PatriotInnen im Publikum selbstverständlich die Nationalhymne der «feindlichen» Mannschaft ausbuhen und auspfeifen dürfen.
Sport, Schule, Heer und Massenmedien sind die größten Produktionsstätten von Österreich-Identität, die ihre Unschuld längst verloren hat, falls sie überhaupt je eine solche hatte: Sie ist zum Faktor des Auseinanderdividierens von Menschen geworden, sie teilt Menschen, die hier in Wien leben, in WIR und IHR ein, sie macht selbst hier geborene und bestintegrierte Töchter und Söhne ehemaliger «Gastarbeiterfamilien» zu Fremden, auch wenn sie «unsere» Staatsbürgerschaft besitzen und zehnmal besser deutsch sprechen als das blonde Möchtegernmodel aus Tirol, das eine Woche in Wien lebt und immer noch nicht weiß, dass es zwischen Hadersdorf und Mauerbach einen Schilift gibt.
Nationale Identitäten schließen aus; eine kosmopolitische Haltung, gepaart mit einem Verantwortungsgefühl für die Menschen und für die Umwelt des Grätzls (oder des Tales), in dem man sich aktuell beheimatet fühlt, ist wahrscheinlich weltverträglicher. So viel zur Bedeutung von National- und Bundeshymnen.
«Land der Vielfalt an Sprachen und Kulturen»
Wenn uns schon eine Hymne aufgedrängt wird, so sollte sie zumindest inhaltlich so beschaffen sein, dass sie nicht realen Demokratisierungsprozessen hinterherhinkt, oft ein Jahrhundert lang. Ohne Frage, die österreichische Bundeshymne hinkt hinterher, und es darf gefragt werden, warum eine Hymnenreform anderswo möglich ist, hierzulande aber immer scheitert ganz egal, welche politische Konstellation gerade vorherrschend ist.
Die neue nepalesische Nationalhymne, die 2006 gegen die alte ausgetauscht wurde, wirkt eindeutig zeitgemäßer als die gültige österreichische: Nepal ist eine Girlande aus hunderten von Blumen / souverän erstreckt es sich von Mechi bis Mahakali () / Land der Vielfalt an Rassen, Sprachen, Religionen und Kulturen / Lang lebe unsere fortschrittliche Nation, lange lebe Nepal. Die Nationalhymne der Schweiz war ebenfalls änderungsbedürftig. Denn ihr Text war nichts anderes als ein christlicher Psalm: Wenn der Alpenfirn sich rötet / Betet, freie Schweizer, betet! / Eure fromme Seele ahnt / Gott im hehren Vaterland / Gott, den Herrn, im hehren Vaterland. Jetzt hat die entsprechende Strophe folgenden Wortlaut: Alpenland am Quell von Rhone, Rhein und Inn / wo ich frei und glücklich zu hause bin / Das ist unser Heimatland / wo wir leben Hand in Hand / und so soll es ewig bleiben ()
Heimat bist du großer Söhne: Frauengruppen schlugen schon in den 70er- und 80er-Jahren eine Feminisierung dieser Passage vor. Die kürzlich verstorbene Johanna Dohnal griff 1992 als sozialistische Frauenministerin diese Forderung auf, aber sie scheiterte selbst in ihrer eigenen Partei. «Gibt’s nichts Wichtigeres?», grinsten ihre GenossInnen hämisch. Umso größer der Spott, als im Jahr 2005 ausgerechnet eine Ministerin der ÖVP, Maria Rauch-Kallat, für eine Textänderung eintrat. Statt «Heimat bist Du großer Söhne» sollte es künftig «Heimat großer Töchter, Söhne» heißen. Und statt «Einig lass in Brüderchören, Vaterland Dir Treue schwören» sollte in Zukunft Folgendes gesungen werden: «Einig lass in freudgen Chören, Heimatland Dir Treue schwören». Abgesehen vom politischen Widerstand: Rauch-Kallats Version musste auch aus sprachlichen Gründen scheitern. Der Wienerliedsänger Helmut Emmersberger, der drei Jahre zuvor für den «Bundeshymnenskandal im Ernst-Happel-Stadium» (davon gleich) verantwortlich war: «Den Beistrich zwischen Töchter und Söhne in der Version der Ministerin kann man nicht hören. Man hört also Töchtersöhne, ein Synonym für Enkelkinder.»
Die Hand des Trainers am Herzen zuckte nicht
Emmersbergers Variante «… Land der Hämmer, zukunftsreich, / großer Töchter, großer Söhne / Volk, begnadet für das Schöne » war ebenso leicht singbar, aber verständlich. Und sie bestand auf kuriose Weise den Praxistest. Der damalige Präsident des Österreichischen Fußballbundes (ÖFB) hatte nämlich beschlossen, die Auftakt-Zeremonie bei Ländermatches zu amerikanisieren. In den USA wurden die Hymnen bei großen Sportveranstaltungen nicht von Blaskapellen, wie bisher in Österreich üblich, sondern von Solo-Sängerinnen und -Sängern interpretiert. Begeistert von einem Konzert der Rounder Girls beauftragte er deren Bandmitglied Tini Kainrath, vor dem Match Österreich-Kamerun im April 2002 die österreichische Bundeshymne zu singen. Die Wahl der Sängerin sollte er bald bitter bereuen.
Tini Kainrath hatte eben eine künstlerische Zusammenarbeit mit Helmut Emmersberger begonnen (Pawlatschen AG, mit Tommy Hojsa). «Für mich gibt’s nichts Langweiligeres als Fußball», sagt Tini Kainrath. Aber es gab keine idealere und quotenträchtigere Gelegenheit, die gender-gerechte Version der Bundeshymne mit einem Paukenschlag in die Öffentlichkeit zu katapultieren. 32.000 Menschen werden im Stadion sein, wenn Tini Kainrath singt, und 1,06 Millionen Menschen werden vor den TV-Geräten sitzen. Und Hans Krankl wird die rechte Hand auf sein Herz drücken, wie es die Fußballer aus temperamentvolleren Ländern tun, wenn ihre Hymne erklingt. Das Match gegen Kamerun ist das erste Heimspiel des neuen Bundestrainers.
«Großer Töchter, großer Söhne »: Tini Kainrath singt es deutlich und stolz. Dem Trainer, Hand auf Herz, scheint nichts aufzufallen. Auch die Verantwortlichen vom ÖFB scheinen im Moment der unerhörten Herabwürdigung eines nationalen Symbols unaufmerksam gewesen zu sein. Nach dem Spiel aber gerät der Fußballbund unter eine Lawine von Schmähanrufen und Protestmails. Die Sängerin erhält am 22. 4. 2002 folgendes Schreiben vom ÖFB: «Bezugnehmend auf Ihre eigenwillige Interpretation der Österreichischen Bundeshymne im Ernst-Happel-Stadion, die ohne Wissen und Zustimmung des ÖFB erfolgte, möchten wir Ihnen mitteilen, dass der ÖFB von Ihrer Vorgangsweise sehr irritiert ist und für den Fall rechtliche Schritte gegen Sie vorbehält, sollten wir wegen Ihrer Vorgangsweise belangt werden.» Nicht nur Angst machende Reaktionen erfährt Tini Kainrath in den Tagen nach dem Fußballspiel: «Die SP-Stadträtin Renate Brauner hat sich mit einem Strauß Blumen bedankt.»
Wo die Töchter wie hineingenudelt wirken
Die aktuelle Affäre um den von SP-Bildungsministerin Claudia Schmied beauftragten Werbespot, in dem Christine Stürmer die Bundeshymne mit abgeändertem Text und in einer rockigen Version singt, darf als bekannt vorausgesetzt werden. Ein veritabler Urheberrechtsstreit und Disharmonien zwischen den Erben der Textdichterin Paula von Preradovic füllten viele Zeitungsspalten. Zu bemängeln an der Claudia-Schmied- und Christine-Stürmer-Offensive wäre, dass die Würdigung der Vorläuferin zu kurz kommt: Hinter Tini Kainraths Kunst-Guerilla-Aktion stand damals kein schützendes Ministerium. Dass Helmut Emmersberger von der Stürmer-Version der Umdichtung weniger hält als von seiner eigenen, ist nachvollziehbar: «Wenn es im Song Christines heißt, Heimat bist du großer Söhne und Töchter, klingt dieser Zusatz UND TÖCHTER aus dem Rhythmus und irgendwie hineingenudelt», meint er. Hervorragend finde er jedoch die Idee, der neuen Hymne eine Rock-Version zu verpassen.
Der mit Augenzwinkern vorgetragenen Beschwerde des Augustin, Modernisierungsversuche dienten doch bloß zur Lebensverlängerung von obsolet und anachronistisch Gewordenem, steht Tini Kainrath gelassen gegenüber: «Wenn du mich fragst: ich brauche keine Hymne zum glücklichen Leben. Aber frag einmal die Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher »
Also, liebe PatriotInnen! Wir wärs mit folgender Version: Schwer benebelt voll im Öle, / hörgeschädigt vom Gegröle, / einem starken Abgang gleich, / hast seit frühen Fernsehtagen / schlechter Sendung Last getragen. // Bitter in die neuen Zeiten / schwer gebeutelt sieh uns gleiten, / arbeitslos und schuldenreich, / einig lass in Fußballchören / dem Gegner blutge Rache schwören…
Es handelt sich um eine Version des Cartoonisten Much aus dem Jahre 2005. Der Österreichische Fußballbund engagiert seit dem Fall Kainrath wieder Blaskapellen bei Ländermatches. Auf den Much-Text, vor dem Ankick gesungen, wird man also noch eine Weile warten müssen.