Die Urlaubs-Schwindel-Börsetun & lassen

Mit unseren zwei Wochen "Balkonien" (allerdings ohne Balkon) sind wir noch gut dran

Nichtreisende, outet euch! Ihr seid nicht allein! Einer aktuellen Umfrage zufolge bleibt fast jede/r Zweite im Urlaub daheim. Zeitnot oder Geldnot, so beantworten die Betroffenen die Frage, warum sie nicht verreisten. Aber Geldnot führt mit Abstand vor Zeitnot.

Auch heuer ist es sich wieder nicht ausgegangen: Wir hatten kein Reisebudget und so haben wir wie letztes Jahr Urlaub in Balkonien gemacht allerdings ohne Balkon. Das ist zwar auch erholsam, aber nur bis zu einem gewissen Grad: Es fehlt der Tapetenwechsel, und die Menschen am Telefon glauben dir auch nicht, dass du gerade Urlaub machst. Zuhause?

Unsere Tochter hat vor kurzem deswegen geheult: Alle fahren weg, nur ich nicht! Wir heulen nicht, aber so gut wie alle unsere Bekannten fahren ebenfalls weg, nur wir nicht.

Aber: Von denen müssten, statistisch gesehen, die Hälfte schwindeln: Denn einer aktuellen Umfrage des Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung (IFT) zufolge bleibt fast jede/r Zweite im Urlaub daheim. Und auch die durchschnittlich vorherrschende Annahme, dass fast jede/r einen 14-tägigen Sommerurlaub am Meer und einen 1-wöchigen Skiurlaub in Österreich verbringt, ist so dramatisch falsch, dass man sich die tatsächlichen Verhältnisse wieder einmal vor Augen halten soll. Sie gilt in dieser konsequenten Form nur für eine Minderheit von etwa 13 Prozent der Bevölkerung.

Was machen also die vielen Menschen, nachdem sie in voll bepackte Autos gestiegen und sich in den Stau eingereiht haben? Vielleicht gibt es eine Urlaubs-Schwindel-Börse, wo man z.B. die Wohnungen tauscht? Aber warum parken dann in den Schulferien viel weniger Autos in den Straßen? Werden diese in Garagen abgestellt? Brauchen wir so viele Volksgaragen nur deswegen, weil dort die Autos der Nichtreisenden versteckt werden? Oder es werden Workshops angeboten, wo man Ich fahre/war in Griechenland ohne zu erröten zu sagen lernt?

Jedenfalls liegt in Österreich der Anteil derjenigen, die im Jahr mehrfach verreisen, bei durchschnittlich etwa 25 Prozent. Doch die Wohlstandsschere zwischen Mobilen und Immobilen, zwischen ,Premium und ,Prekariat öffnet sich … weiter. Vom Reisemarkt weitgehend ausgeschlossen sind die ,4A: Arme, Alte, Arbeitslose und Alleinstehende, so das IFT. Zwei von drei PensionistInnen und Alleinstehenden (ob da nicht Alleinerziehende gemeint sind, welche häufiger als verheiratete Eltern unter der Armutsgrenze leben?) zählen zu den Nichtreisenden. Hinzu kommen 80 Prozent der GeringverdienerInnen mit einem Haushaltsnettoeinkommen unter 1.000 Euro und die Arbeitslosen.

Gerade Arbeitslose bräuchten Erholung

Na, sollen jetzt vielleicht die Arbeitslosen auch noch auf Urlaub fahren? Schlecht wärs nicht, denn zu den psychologischen Folgen der Arbeitslosigkeit zählen Hoffnungslosigkeit, Selbstzweifel und Resignation. Da der persönliche Erfolg und die soziale Anerkennung stark von beruflichen Leistungen abhängen, fehlt dem Arbeitslosen die Bestätigung seiner Umwelt. Am stärksten betroffen sind ältere Arbeitslose, die jahrelang an feste Arbeitsstrukturen gewöhnt waren und allein stehende Männer, die zu vermehrter Isolation neigen. Folgen können Depressionen, Suchterkrankungen und eine durch Hoffnungslosigkeit und Lebensunlust erhöhte Suizidneigung sein.

Und wenn wir schon dabei sind: Obdachlose bräuchten ebenfalls Erholung. Wovon? Nun, von zahllosen Krankheiten, fehlender medizinischer Betreuung, unzureichender Hygiene, unzureichender Ernährung und oft von ihrem Suchtverhalten.

Man weiß also theoretisch, welche Auswirkungen Arbeits- und Obdachlosigkeit haben und auch die reisenden ÖsterreicherInnen sind hinlänglich erforscht: 2006 lag ihre durchschnittliche Reisedauer bei 12 Tagen, ein knappes Drittel machte Urlaub in Österreich. Und von 6,5 Millionen potentiellen Reisenden (gezählt wird ab 15 Jahren) fuhren 910.000 nach Italien, 650.000 nach Kroatien, 455.000 nach Griechenland und je 325.000 in die Türkei, nach Spanien oder Deutschland. Fernreisen unternahmen jeweils 195.000 nach USA/Kanada, Asien und Tunesien/Marokko, 130.000 ins übrige Afrika und je 65.000 in die Karibik, nach Australien/Neuseeland oder andere Länder.

2,795.000 waren Nichtreisende. Über diese weiß man so gut wie gar nicht Bescheid. Die IFT-Frage, warum sie 2006 keine Urlaubsreise unternommen haben, beantworten fast alle mit Geld- oder Zeitnot. 16 Prozent verreisen grundsätzlich nicht (mehr), 14 Prozent aus gesundheitlichen und 8 Prozent aus beruflichen Gründen. Immerhin 39 Prozent der Befragten, also hochgerechnet eine gute Million, machen in erster Linie finanzielle Gründe verantwortlich. Mehr als jeder Dritte (37 %) nennt persönliche oder familiäre Ursachen. Allerdings stoßen Umfragen bei solchen motivationalen Fragen an ihre Grenzen. Wer beispielsweise als Hinderungsgrund Geldmangel nicht nennen mag, weicht schnell auf andere Antwortmöglichkeiten wie persönliche/familiäre Gründe aus, räumt das IFT ein.

Aber Nichtreisende sind ja beinahe schon wieder Begünstigte des Schicksals. Denn es gibt ja auch Nicht-Urlaubende: Unter den Nichtreisenden hat jede/r zweite ArbeiterIn und immerhin noch jede/r dritte FreiberuflerIn und Selbstständige im letzten Jahr auf den Urlaub verzichtet bzw. den Urlaubsanspruch teilweise verfallen lassen.

Ja, wissen die denn nicht, was einem jede/r PsychologIn per Urlaubs-SMS schreibt?! Nämlich dass man drei (in Zahlen: 3) Wochen durchgehenden Urlaub braucht, um sich zu erholen und zu regenerieren!?

Also sind wir, gemessen an den maximal 12 durchschnittlichen Am-Stück-Urlaubstagen, mit unseren zwei Wochen Balkonien ja noch gut dran! Das hilft zwar meiner Tochter nicht und ich kann mir von diesen Fakten und Schlussfolgerungen jetzt auch keine Reise kaufen. Aber es tut immer gut zu wissen, dass man nicht allein ist. So gesehen ist die Urlaubs-Schwindel-Börse kontraproduktiv.

Das Wiener Institut für Freizeit und Tourismusforschung (IFT) erforscht das Verhalten, die Wünsche bzw. Bedürfnisse der Menschen in Arbeit und Freizeit bzw. Urlaub.



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