Die Urstrumpftanten von Willhaben & Googlevorstadt

Anton Tantner erforscht die Geschichte von Fragämtern und Adressbüros

Wo hat man zwei- bis dreihundert Jahre vor dem Internet nach einer Wohnung, einem Job oder einer Kundin für überschüssige Kunstwerke gesucht? Im «Fragamt» oder im «Adressbüro», sagt der Historiker Anton Tantner. Lisa Bolyos (Text und Fotos) hat mit ihm eine Runde durch den ersten Bezirk gedreht.Ein Köpfchen mit abgeschlagener Nase lächelt mir zu. Daneben lehnt an der weißgetünchten Mauer ein müder Beamter, der sich trotz früher Stunde schon um Seriosität am Telefon bemüht. Innere Stadt, Morgengrauen. Die Müllabfuhr fährt durch die ohnehin saubersten Straßen der Stadt, die noch leer sind von Tourist_innen und anderen Einkaufsfreudigen; die ersten Hundebesitzer_innen sind schon unterwegs, hier und da wankt jemand in die Arbeit, die offenen Haustore scheinen zu gähnen.

Selbst für eingeschworenen Fahrradfahrer_innen empfiehlt es sich, hin und wieder abzusteigen und die Stadt zu Fuß – und zwar im Schneckentempo – zu erkunden. Dann lernt man zum Beispiel den Durchgang zwischen Spiegelgasse und Dorotheergasse kennen, der durch den Innenhof des Dorotheums führt. An der Mauer sind «Fundstücke aus dem Gemäuer des alten Versatzamts-Gebäudes. Zur Erinnerung an den Vandalismus früherer Jahrhunderte» zu sehen. Inschriften, Reliefs und eben – zumindest scheint es mir so – lächelnde Köpfchen.

Nobel-Pfandl und sündige Zuchtstätte

«Versatzamt» ist der feinere Ausdruck fürs «Pfandl». Das erste Habsburger «Versatz- und Fragamt» wurde 1707 in der Seilerstätte 30 gegründet, dort, wo viel später die jugoslawische Gesandtschaft untergebracht war, danach ein internationales Kulturzentrum, heute ist hier das Haus der Musik. Die Tafel, die daran erinnert, ist allerdings am Dorotheum montiert, dem Nachfolger des Versatzamtes. Ludwig Hirsch nannte als Beispiel für die Nützlichkeiten, die man dort erstehen kann, «den Nachttopf, auf dem der kleine Mozart g’sessen ist / auf dem ihm die Muse erstmals in’s kleine Popscherl biss».

In dem Grätzl rund ums Nobel-Pfandl hängt der Flair des «Kunst-Producte-Handels» noch in der Luft. In kleinen Gässchen, die von der Opulenz des Grabens und der Kärntner Straße verschont geblieben sind, schon weil ihre Häuserfronten zu schmal sind für die überdimensionierten Auslagen großer Handelsketten, findet, wer mit einem dicken Geldbörserl gesegnet ist, erlesene Antiquitäten und Handgemachtes vom bestickten Lederhandschuh bis zum Keramikigel, Dinge, die man keinesfalls braucht, aber darum nicht weniger gern haben möchte. Und für jene, deren Geldbörsen die Hosentaschen kaum ausbeulen, ist ein Spaziergang zwischen – wie könnte es anders sein – Habsburgergasse und Tegetthofstraße wie ein Ausflug in einen überdimensionierten Setzkasten. Schräg, aber schön.

Bleiben wir aber kurz noch vor dem Schild am Dorotheum stehen, das hinter dem Baugerüst ein bisserl Rost anzusetzen beginnt, und wundern uns: Was für ein schönes Wort, was für ein vielversprechendes Amt – das Fragamt!, dann ist es gut, ein wandelndes Fragamt zur Seite zu haben, den Historiker Anton Tantner. Er, der «die abgefahrenen Themen mag», forscht seit zwanzig (ja, zwanzig) Jahren zur Hausnummerierung und seit geraumer Zeit auch zu dem, was er «die ersten Suchmaschinen» nennt. Unter diesem Titel hat er seine Forschungsarbeit über «Adressbüros, Fragämter und Intelligenz-Comptoirs» bei Wagenbach publiziert.

Die Spuren dieser Institutionen sind laut Tantner bis zu Montaignes Essays des 16. Jahrhunderts zurückzuverfolgen, in denen dieser eine solche Vermittlungseinrichtung für Paris vorschlägt. Ein Jahrhundert später war es so weit: Der Arzt Théophraste Renaudot, sozusagen ein Doogie Howser des Paris der 1630er Jahre, eröffnete das erste «Bureau d’Adresse et de rencontre» – dort wurden Arbeit, Informationen und Waren vermittelt, aber auch Vorträge gehalten und ärztliche Gratisuntersuchungen für Arme angeboten. In Wien fand sich alsbald ein Nachahmer, Johannes Angelus de Sumaran, der sich um ein Privileg – eine Bewilligung – für eine «offentliche fragstuben» bewarb. Das wurde ihm jedoch verwehrt – die theologische Fakultät der Uni Wien hatte interveniert; eine «Zuchtstätte der Sünde» sah sie vor ihrem geistigen Auge bereits erstehen.

Im 18. Jahrhundert, als das «Versatz- und Fragamt» schließlich seine Pforten öffnete, gab es eine Reihe von Berufen, mit denen es konkurrierte. Die Arbeitsvermittlung etwa, die noch nicht veramtet war, wurde im Falle von Dienstpersonal von sogenannten «Zubringerinnen» erledigt, die nach Tantner «als meist ältere Frauen beschrieben werden» und – wie alle Makler_innen – wegen ihrer Vermittlungsgebühren immer wieder in die Kritik gerieten. Am Lugeck, dort, wo heute der Zanoni sein Eis verkauft, wurde Ende des 18. Jahrhunderts ein eigenes «Dienstbotencomptoir» eröffnet.

Aber auch als Vorläufer des Meldewesens boten einige Büros dem Staat ihre Dienste an, eine Idee, die Tantner als typisch für die zu der Zeit verbreiteten «Utopien zur Registrierung der Bevölkerung» begreift, die «in der Regel aber nie realisiert wurden». Dennoch gab es auch schon damals Diskussionen darüber, ob «die Privacy» adäquat gewahrt würde, wenn die Adressbüros Register mit Vermögen, Schulden und anderen intimen Details anlegten.

An jeder Straßenecke lauert nützliches Wissen

Wie frequentiert die Adressbüros und Fragämter waren, lässt sich auch für Anton Tantner schwer nachvollziehen. Die Quellenlage ist dürftig, es sind vor allem Korrespondenzen mit Behörden über Bewilligungen und ausstehende Zahlungen, die einen Einblick in die Fragamtslandschaft gewähren. Denn obwohl das «Amt» im Namen etwas anderes suggeriert, waren die Einrichtungen privat, und so sind auch ihre Unterlagen nicht in öffentlichen Archiven gelandet.

Nachdem in Wien Fragamt und Versatzamt getrennte Wege gegangen waren, übernahm der Pächter des «Wienerischen Diariums» (der heutigen «Wiener Zeitung») die Frage-Angelegenheiten. Immer wenn die Zeitungsredaktion umzog, zog das Fragamt mit – von der Seilerstätte unter anderem in die Weihburggasse, von dort in die Tuchlauben ins «Haus zum Roten Igel» (auch das eine eigene Geschichte wert), später in die Kärntner Straße, auf den Michaelerplatz und in die Rauhensteingasse. Als um 1810 die Wiener Zeitung reformiert wurde und nunmehr aus einem redaktionellen, einem Verkundbarungs- und einem Anzeigenteil bestand, ging, so Tantner «das Fragamt in der Anzeigenabteilung auf». Internet hatte man immer noch keines, aber die umständliche Handhabung der Registerbücher wurde trotzdem langsam Geschichte.

Wir sind inzwischen in der Singerstraße angelangt. Hier weiß Tantner von tumultartigen Aufläufen vor der Redaktion des Diariums zu erzählen. Drehen wir uns um und schauen zum Stephansplatz hinüber, erscheinen vor seinem geistigen Auge die Winkelschreiber, die hier an den Toren des Friedhofs ihre Dienste feilgeboten hätten – ob ich auch wisse, dass den Winkelschreibern in der Steiermark aufrührerisches Verhalten in der Bauernbefreiung nachgesagt wird, weil …

An jeder Ecke lauert ein neues Forschungsprojekt für Anton Tantner. Schließlich, sagt er, verliebt in jede Art von Erkenntnis, «kann man im Vorhinein nie wissen, wozu welches Wissen nützlich sein kann.»

Anton Tantner: Die ersten Suchmaschinen. Adressbüros, Fragämter, Intelligenz-Comptoirs

Wagenbach 2015, 176 Seiten, 20,50 Euro

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