Bei «Jahrhundertprojekten» gerät «Bürgerbeteiligung» zur Farce
Von einer dahergelaufenen Straßenzeitung lässt sich die ÖBB-Generaldirektion ihr «Jahrhundertprojekt», die neue Stadt rund um den neuen Hauptbahnhof, nicht anpatzen. Unserer grundsätzlichen Kritik an solcherlei Großprojekten (Nr. 341) folgte ein Statement der ÖBB (Nr. 342), in dem sie die von uns beanstandete Verfilzung ÖBB-Porr-Strabag ignorierte und von der «Transparenz»-Qualität der Umweltverträglichkeitsprüfung schwärmte.Das österreichische Umweltverträglichkeitsprüfung-(UVP-)Gesetz hinkt dem europäischen Niveau hinterher. Gegen Österreich laufen zwei EU-Vertragsverletzungsverfahren. Grund ist die nicht-konforme Umsetzung der europäischen UVP-Richtlinien; vor allem die Schwellenwerte sind viel zu hoch; das heißt, viel zu viele Großprojekte, die laut EU-Recht der Umweltverträglichkeitsprüfung unterworfen werden müssen, sind in Österreich davon befreit. Jüngster Fall: Der europäische Gerichtshof musste den Ausbau des Flughafens Salzburg stoppen. Wegen der erheblichen Umweltauswirkungen ist eine UVP unverzichtbar. Die Behörden bewilligten das Projekt dennoch ohne jede UVP-Vorschreibung.
Andrerseits: Wo immer ein UVP-Verfahren durchgeführt wird, gelingt leicht der Nachweis, dass ein solches Verfahren die «Waffengleichheit» zwischen Profit und Ökologie nicht herzustellen vermag. Im Gegenteil: Die Umweltschutz-«Antragsrechte» der Anrainer_innen und der Bürger_inneninitiativen können als Farce bezeichnet werden; keineswegs garantiert ein UVP-Verfahren eine Transparenz der Planung, wie das der Sprecher der ÖBB-Führung gegenüber dem Augustin behauptete.
Ausschnitte aus dem UVP-Verfahrensprotokoll vom 8.7. 2008 bezüglich des «Städtebauvorhabens Hauptbahnhof Wien» verdeutlichen: In keinem Moment herrscht gleiche Augenhöhe. Wenn Bürger_innen konkrete Kritik leisten, erklärt man ihnen, das sei nicht Thema des Verfahrens. Das Protokoll gerät phasenweise (ungewollt) zur Satire. Das Objekt der UVP, die neue Stadt auf ÖBB-Grundstücken, liegt in den Wiener Gemeindebezirken 4 und 10 und erstreckt sich über eine Gesamtfläche von etwa 50 ha.
Frage eines Bürgers: Das Haus Wiedner Gürtel Nr. 6 ist (infolge des geplanten Hochhauses) im Dezember den ganzen Tag im Schatten. Das ist keine nur «geringfügige» Beeinträchtigung für die Bewohner. Das Hochhaus sollte daher in der Höhe reduziert werden.“
Sachverständiger A: Die Richtlinie «Hochhäuser in Wien», herausgegeben von der MA 21, wird eingehalten.
Sachverständiger B: Das Projekt ermöglicht aus humanmedizinischer Sicht eine ausreichende Belichtung.
Vertreter der ÖBB Immobilien Ges.m.b.H.: Der Hauptanteil an Schatten entsteht nicht durch Gebäude, sondern durch das Wetter (Bewölkung).
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Frage eines Bürgers: Die Linien des öffentlichen Verkehrs sollten ursprünglich möglichst nah an den Bahnhofsvorplatz herangeführt werden – warum geschieht das nicht?
Verhandlungsleiter: Öffentliche Verkehrsmittel sind nicht Projektgegenstand.
ÖBB Immobilien Ges.m.b.H.: Der Verlauf von öffentlichen Verkehrsmitteln kann von unserer Seite nicht beeinflusst werden.
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Wunsch einer Bürgerin: Im gesamten Projektgebiet sollen Passivhaus-Standards zur Anwendung kommen.
Verhandlungsleiter: Fragen des Passivhaus-Standards sind nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
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Einwand eines Bürgers: Die Straßen sind zu breit geplant, teilweise wie Schnellstraßen. Wir fordern 2 statt 4 Spuren. Überall sollten an beiden Seiten der Straße Gehsteige geplant werden.
Verhandlungsleiter: Von uns ist nur das eingereichte Projekt zu beurteilen.
ÖBB Immobilien Ges.m.b.H.: 4-spurige Straßen haben nicht nur Nachteile, sondern auch Vorteile.
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Einwand einer Bürgerin: Das Arsenal ist derzeit öffentlich gut erreichbar. Die neu geplanten Linienführungen bringen eine Verschlechterung.
Verhandlungsleiter: Die Linienführungen sind nicht verfahrensgegenständlich.
Frage einer Bürgerin: Bei welcher Stelle gibt es die Möglichkeit, eine Stellungnahme zum Thema öffentlicher Verkehr abzugeben?
Verhandlungsleiter: Es kann nur geraten werden, die Wiener Linien zu kontaktieren.
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Einwand eines Bürgers: Wenn man Parkplätze baut, werden die Leute auch mit dem Auto fahren.
Verhandlungsleiter: Wir haben das eingereichte Projekt zu prüfen, das in diesem Punkt umweltverträglich ist. Wir als Behörde haben keine Befugnis, die umweltverträglichste Variante durchzusetzen.
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Frage einer Bürgerin: Ich wohne in der Schönburgstraße 16, Wien 4. Gelte ich als Nachbarin?
Sachverständiger: Die Schönburgstraße 16 liegt außerhalb des Bereichs, in dem Sie als Anrainerin zu betrachten wären.
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Einwand eines Bürgers: Es sollte mehr Baumaterial mit der Bahn statt mit LKW’s transportiert werden.
ÖBB Immobilien Ges.m.b.H.: Nach unserem Baulogistik-Konzept werden maximal 810 LKW-Fahrten pro Tag stattfinden. Im Jahr 2005 waren es im gegenständlichen Gebiet rund 2000 LKW-Fahrten pro Tag.
Am Verfahren nahmen an die 100 Personen teil, die meisten repräsentierten diverse Magistratsabteilungen, die ÖBB-Führung inklusive der ÖBB Immobilien Ges.m.b.H., Büros beteiligter Architekten und die Eigentümervertreter diverser Firmen in der Anrainerzone. Dieser Phalanx saßen nicht einmal zehn Bürger_innen gegenüber, die meisten davon als Sprecher_innen der beiden involvierten Bürger_inneninitiativen Hauptbahnhof und Arsenal. Die Einsicht in die Liste der Anwesenden mit Parteienstatus ist in der Augustin-Redaktion möglich. Das Missverhältnis zwischen Pro-Projekt (Gemeindebürokratie, Bezirksvorstehungen, ÖBB, Architekten usw.) und Projekt-Kritik ist tatsächlich noch krasser, als das Zahlenverhältnis vermuten lässt: Die Arbeit im Rahmen des Verfahrens ist für die Sprecher_innen des erstgenannten Blocks eine bezahlte; Sprecher_innen der Bürgerseite dagegen müssen ihre Freizeit opfern, um mit konkurrenzfähiger Kompetenz in die Besprechungen zu gehen.
Die entscheidende Frage, warum die ÖBB Immobilien Ges.m.b.H. 50 ha wertvollsten innerstädtischen Baulandes aus öffentlichem Gut in eine private Verwertungszone verwandeln darf, ist von den Sprecher_innen der Bürger_inneninitiativen nicht gestellt worden. Hätte man sie gestellt, hieße die automatische Antwort auf gut Bürokratisch: «nicht verfahrensgegenständlich!»