Die Vertreibung der Musa latrinaevorstadt

NachbarInnenstadt

«Guter Sex, ruf an» und eine Nummer. «Beware of Limbo Dancers» über dem unteren Türspalt platziert. Ob nun mehr oder weniger kreativ geraten – zu solchen Botschaften und anderen Weisheiten, Parolen, Zeichnungen oder Liebesschwüren an Klo-Türen meinte Wetti Himmlisch in ihren «Memoiren einer Wiener Toilettenfrau um 1900»:

«So etwas sei unheilbar, die Manie zu dichten nämlich, und was die merkwürdige Vorliebe der Leute angehe, gerade die Wände der diskreten Orte mit ihren Poesien zu beschmieren, so sei dies schon uralt (…) Man nenne auf Lateinisch diese Fach-Muse, deren Kuß jene Art von Poeten zu ihren Leistungen begeistert: Musa latrinae.»

Lange Tradition

Tatsächlich hat das Hinterlassen von Botschaften am Klo eine lange Tradition; davon zeugen bei Ausgrabungen in Pompeji entdeckte antike Latrinalia. Während heutzutage in Kund_innen-Klos einiger Lokale Klo-Graffiti gern gesehen oder zumindest toleriert sind, wird dieses Kulturphänomen auf öffentlich genutzten Toiletten als Vandalismus bekämpft und ist vom Verschwinden bedroht. Bereits 1862 entschied der Wiener Gemeinderat, die Wände der Pissoirs nur noch dunkel zu streichen, als bald nach ihrer Einweihung obszöne Kritzeleien diese neuen Örtchen schmückten. Vom schriftlichen Austausch auf Uni-Klos sind oft nur abgewetzte Türen übrig. Und in modernen Anlagen wird durch Architektur, Materialien und Reinigung mit Öl-Putzmitteln das Haften von Edding-Stiften oder Stickern verhindert. Nicht dass es sich bei den Klo-Graffiti immer um besonders wertvolle Beiträge handelt; bietet diese anonyme Kommunikation mit Reichweite, zu welcher das öffentliche Häusel ähnlich den Internet-Foren befähigt, die Gelegenheit, sich mal wortwörtlich auszukotzen. Doch zeichnen sich an den Wänden der öffentlichen Klos so auch gesellschaftliche Stimmungen und deren Widerparts ab. Die Tendenz zu technisierten, eventisierten, kontrollierten, cleanen Innenräumen, welche erst gar keine Graffiti, keinen Austausch am Häusel zulassen, zeigt damit schließlich das Verschwinden der Öffentlichkeit dieser Anlagen an.