Die vielen Stimmen stimmenArtistin

Schimpf & Schande: Lauter Dariwudl (Foto: © Mario Lang)

Musikarbeiter unterwegs … anderen Chören auf der Spur

Stimmerhebungen allerorten! Schimpf und Schande Chor Breitensee heißt ein aktuell in Gründung befindlicher Wiener Chor. Und im Mai findet auch endlich wieder das Festival Alternativer Chöre statt.

 

Es hallt nach, «Halt Dich an Deiner Liebe fest» vom Abschiedsfest des Stimmgewitter Augustin, metaphysisches Händchenhalten der Liebe an sich mit dem Wunsch, dass sich diese endlich, und für alle, in einer verbesserten Welt ereignen kann. Da geht der Vorhang auf im Radiokulturhaus und der Wiener Beschwerdechor macht das Präsentationskonzert zu Sibylle Kefers Album hoid noch mehr besonders. Im Ausführen des Hauptberufs treffe ich am Friedhof Inzersdorf einen Musiker, vor langer Zeit im Chelsea on stage. Der heute, wenn er nicht zum Abschied singt und spielt, ­einen Gospelchor leitet. Mein primäres Welterklärungsmodell, The Clash, sparten nie an «backing vocals». Weil eine:r allein ist auf Dauer auch in der Musik, beim Singen fad. Überhaupt: Allein machen sie dich ein! Wie Ton Steine Scherben gesungen haben, mit im Verlauf des Liedes immer mehr werdenden Stimmen. «Und du weißt, das wird passieren/wenn wir uns organisieren.» Und da ist schon wieder das mit der konkreten Liebe und der ebensolchen besseren Welt.

Hoid di Schnitzlpappn, sonst panier i das

Als rasender Reporter in den ­Perinetkeller entsendet, um der konsti­tuierenden Zusammenkunft des von ­Robert Sommer initiierten Schimpf und Schande Chor Breitensee beizuwohnen, erhebe ich dann mit fünf ­anderen Menschen im Verband die Stimme. ­Zuschauen gilt nicht mehr! ­Reihum voka­lisieren wir jeweils einzeln eine Reihe von – von H. C. Artmann formulierten – Schimpfworten, bevor wir ­gemeinsam die obige Zwischenüberschrift von uns geben. Nachdrücklich, mit Lust! Das hat schnell eine verblüffende Eigen­dynamik und Kraft, die schon die von ­Robert ausgemalten Einsatzmöglichkeiten vors geistige Auge ziehen lässt: eine ­poetisch schimpfende mobile ­Truppe, die sich den öffentlichen Raum flanierend und Laut gebend nimmt, dabei ­einen ­verdienten Dichter ehrt und/oder sich mit dem ­einen oder anderen Protest solidarisiert. Kritisierenswert so vieles dieser Tage. Noch eine Runde? «Leck mir doch die blaue Maurizius!»

Immer wieder Mittwoch

Marko ­Markovic, musikalischer «Leiter» von Hor 29. Novembar, seit 2009 aktiver Chor mit ex-jugoslawischem Vernetzungs-Ausgangspunkt und politisch-aktivistischer Ausrichtung, erzählt am ­Telefon davon, dass einmal die Verlegung des ­wöchentlichen Chortreffens von Mittwoch auf einen anderen Tag diskutiert wurde. Da gingen die Wogen hoch. Das Chor-Plenum, in dem alles diskutiert und entschieden wird, vom Reper­toire bis zu Akti­vitäten, entschied für das Beibehalten. Mit dem «­Dampfablassen», dem kollek­tiven Stimme-­Erheben in der Mitte der ­Arbeitswoche, lassen sich Donnerstag und Freitag gleich viel besser hinter sich bringen. Es hat etwas ­grundsätzlich ­Befreiendes, die Stimme zu erheben. Noch mehr, das gemeinsam mit anderen zu tun. Noch einmal mehr, wenn dies aus einer gewachsenen Geschichte immer ausdifferenzierter ­geschieht. Marko, der bei den Auftritten Gitarre spielt, und Chorleiterin Jana ­Dolecki, sind dabei eben tatsächlich Gleiche ­unter Gleichen. 30, 40 Menschen sind der erweiterte Kreis der im und mit Hor 29. ­Novembar aktiven Menschen, um Fördermittel für das F(estival)A(lternativer)C(höre) ­lukrieren zu können, auch als Verein konstituiert. Dieses vom Chor betriebene Festival feiert heuer nach 2019 seine fünfte Ausgabe, diesmal nach Sargfabrik, Arena, EKH und SchloR Simmering im 4lthangrund/West Space als ­gewähltem Spielort. Mit Konzerten zweier Chöre aus Berlin, Antifachor und Der KMC, einem aus Nancy/Frankreich, La Chorale des Sans Nom, und dem Subchor und Hor 29. Novembar aus Wien, samt Filmen, Workshop/offener Probe und Diskussion. Schließlich wirft die lustvolle Praxis sich klar politisch posi­tionierender und als Kollektiv ­arbeitender Chöre eine Menge ­Fragen auf. Oder wie es der Chor aus Nancy auf sein Material bezogen ­beschreibt (was sich auf das überfällige Wiedereintreten vieler Menschen ins kollektive poli­tische Agieren umlegen lässt): «Der Chorale des Sans Nom ­arbeitet in einer souveränen Generalversammlung, in der die Texte einer feinen Kritik unterzogen, endlos debattiert und bis auf das letzte Komma abgeändert werden. Das führt dazu, dass wir viel Zeit verlieren. Aber wir mögen das.»

Festival Alternativer Chöre
Fr, 12. und Sa, 13. Mai
4lthangrund/West Space,
9., Augasse 2–6
www.festivalalternativerchoere.wordpress.com