«Die Vielfalt ist verloren gegangen»vorstadt

Das Fahrrad als Kult- und Ausstellungsobjekt

Vor 200 Jahren wurde erstmals ein lenkbares Laufrad vorgeführt. Zu diesem Jubiläum sind im Wiener Umland zwei Ausstellungen zur Geschichte des Fahrrads zu sehen. Reinhold Schachner (Text) und Irmgard Derschmidt (Fotos) besuchten beide und legten auch noch bei einem Fahrradmuseum einen Stopp ein.

«Am Ersten des Monats bin ich immer blank, da brauche ich das Internet gar nicht erst hochfahren», erzählt uns der Sammler Fritz Hurtl. In den letzten Jahren seien die Preise wie verrückt gestiegen, beklagt Fritz Hurtl, «jetzt kannst du nichts mehr kaufen». Das Fahrrad hat wieder das Zeug dazu, zum Statussymbol zu werden. In seiner Frühzeit ist es bekanntlich der oberen männlichen Schicht vorbehalten gewesen. Wenn schon, dann wurden für Frauen Dreiräder hergestellt, auf Zweirädern unterwegs zu sein, galt als anstößig. Erst am Ende des 19. Jahrhunderts kam es zu einer richtungsweisenden Zäsur, immer mehr Frauen wagten sich, trotz Anpöbelungen – selbst von gleichgeschlechtlicher Seite –, aufs Zweirad zu steigen. Sie gründeten Vereine und gaben Magazine wie «Die Radlerin. Internationales Sportblatt der radfahrenden Damen» heraus. Die Wiener Künstlerin und Frauenrechtlerin Rosa Mayreder ließ sich 1905 gar zu folgendem Satz hinreißen: «Das Bicycle hat zur Emanzipation der Frauen aus den höheren Gesellschaftsschichten mehr beigetragen als alle Bestrebungen der Frauenbewegung zusammengenommen.»

Drais hat das lenkbare Laufrad erfunden. Das Geburtsjahr des Fahrrades wird mit 1817 datiert, weil in diesem Jahr der deutsche Forstbeamte und Erfinder Karl Freiherr von Drais mit seiner «Laufmaschine» 14 Kilometer in knapp einer Stunde zurücklegen konnte. Für die Postkutsche sind vier Stunden für diese Strecke veranschlagt gewesen. Laut Fritz Hurtl ist aber nicht Drais Erfinder des Laufrades, sondern Graf de Sivrac, «der ist bereits 1791 in Paris mit dem Laufrad gefahren, vielleicht nur 300 Meter», daher habe er im Museum die beiden gegenübergestellt, um auch ein wenig zu provozieren, und er warte schon auf Reaktionen. Ob das Laufrad des französischen Grafen je existiert hat, ist umstritten. Jedenfalls bestand die Leistung von Drais darin, ein lenkbares Laufrad erfunden zu haben, das auch schnell kopiert wurde. Auch wenn Fritz Hurtl im Falle de Sivrac falsch liegen könnte, ist er unbestritten ein Fahrradexperte mit einer respektablen Sammlung. Diese stellt er dem Verein «’s Fahrradl im Schloss» zu Verfügung, jenem Verein, den er selbst mitgegründet hat und dessen Obmann er ist. Zu sehen sind mittlerweile über 200 Stück aus der Sammlung Hurtl im Schloss Gatterburg in der Retzer Altstadt.

Mit dem «Gendarmenradl» hat es angefangen. Auch im Burgenland, genauer in Rust, gibt es mit Johann Schneeberger einen passionierten Fahrradsammler. Anhand von 50 Exponaten aus seiner Sammlung wird im Projektraum, einer Dependance der Landesgalerie Burgenland, die «Bewegte Geschichte auf zwei Rädern. 200 Jahre Fahrrad» nachgezeichnet. Diese Sonderausstellung in den ehemaligen Stallungen vis-à-vis von Schloss Esterházy in Eisenstadt ist klein, aber außerordentlich fein. Von Laufmaschinen angefangen über Hochräder und historische Lastendreiräder bis hin zu modernen Rennmaschinen werden die Gefährte auf Augenhöhe richtiggehend in Szene gesetzt. Für die Ausstellungsarchitektur zeichnet auch ein Profi in beiderlei Hinsicht verantwortlich: Michael Embacher ist nicht nur Architekt, er besaß selber eine international anerkannte Fahrradsammlung mit knapp über 200 Rädern, die er 2015 vom Dorotheum einzeln versteigern ließ. Für Fritz Hurtl bedauerlich, so eine Sammlung zu zerschlagen, wie er uns beim Besuch in Retz wissen ließ. «Embacher wird seine Gründe gehabt haben», mutmaßt Hurtl, vielleicht lag es am zu erwartenden Erlös, die Versteigerung brachte rund 473.000 Euro ein.

Die Idee zu dieser Sonderausstellung im Projektraum hatte ihr Kollege Michael Weese, erzählt Kuratorin Elke Ferderbar. Weese habe vor ein paar Jahren für die Ausstellung «Tatort Burgenland» ein «Gendarmenradl» gesucht und sei auf die beeindruckende Sammlung von Johann Schneeberger gestoßen. Obwohl Schneeberger nicht «systematisch» sammelt, so Ferderbar, hätten sich Themen wie Damen- oder Militärfahrräder ergeben – und diese wurden informativ und schnörkellos aufbereitet, muss man als Besucher hinzufügen. Auch der Ausstellungskatalog, in dem auf jedes einzelne Exponat näher eingegangen wird, ist vorbildlich gestaltet.

Mit der Arbeit an der Ausstellung habe sich auch ihr Zugang zu Fahrrädern geändert, gesteht die Kuratorin, vorher sei das Rad für sie bloß ein Fortbewegungsmittel gewesen, ihr sei beispielsweise die Bedeutung für die Emanzipation nicht bewusst gewesen. Aber auch auf technischer Ebene habe sie ein Interesse entwickelt: «Jetzt schaue ich sogar darauf, ob ein Rad eine Schaltung hat oder nicht.»

Fritz Hurtl hatte von Anfang an einen technischen Zugang, immerhin ist er von Beruf Landmaschinen- und KFZ-Mechaniker. Eher zufällig sei er auf das Thema Fahrrad gestoßen, zunächst wollte er bloß «aus ein paar alten Radln etwas basteln». Er habe einen Zettel, der inzwischen zum Museumsobjekt geworden ist, in seinem Betrieb ausgehängt, dass er alte Fahrräder und Fahrradteile suche. Mit Erfolg, der Mechanikermeister erhielt in kurzer Zeit mehr Räder, als für seine Bastelarbeit nötig gewesen sind, und begann die überschüssigen allmählich zu restaurieren, «zuerst nur um den Alltagsstress abzubauen». Es folgten Flohmarktbesuche, um fehlende Ersatzteile aufzustöbern. Dabei lernte er erstens Gleichgesinnte und zweitens die Vielfalt von Fahrrädern kennen. Heute noch gerät der Pensionist ins Schwärmen, wenn er kunstvoll gefertigte Kettenblätter sieht und bedauert zugleich, dass die Vielfalt völlig verloren gegangen sei. «Jeder Fabrikant machte etwas Eigenes und glaubte, das Beste zu haben. Heutzutage kommen die Räder aus ein paar großen Fabriken und werden dann fertig zusammengesetzt.»

Radfahren als Lebensgefühl.

Die technische Entwicklung des Fahrrades interessiert Markus Böhm relativ wenig, er möchte mit seiner Ausstellung «die Leute beim Herz erwischen und dazu animieren, mehr Rad zu fahren». Dritte Station unserer Fahrradausstellungsrundfahrt ist wiederum ein Schloss, nämlich das Schloss Hollenburg im gleichnamigen Kremser Stadtteil. Mit der Schau «Bicycles. Eine Ausstellung über das globale Glück Fahrrad zu fahren» wird das sich in Privatbesitz befindliche kleine schmucke Schloss erstmals einem größeren Publikum zugänglich gemacht. Doch nicht nur im Schloss, sondern auch im ehemaligen Wirtschaftsgebäude samt Weinkeller sind rund 65 Räder untergebracht. – Eine prächtige Kulisse! Im Gegensatz zu den beiden oben angeführten Ausstellungen wird in Hollenburg auch viel auf Grafik sowie Film- und Fotomaterial gesetzt. Markus Böhm ist auch kein Fahrradsammler, die gezeigten Stücke sind Leihgaben aus rund zehn Sammlungen, darunter auch Objekte des Retzers Fritz Hurtl. Böhm, studierter Germanist und Gründer des Radlagers und somit einer der Verursacher des Vintage-Booms in Wien, spezialisierte sich im weitesten Sinne auf die grafischen Bereiche innerhalb der Fahrradkultur. So sind in der Ausstellung Ausgaben des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo mit Fahrrad-Coverstorys genauso wie Postkarten und Fahrradfilme zu finden. Effektvoll ist auch die Slideshow mit Worldpress-Fotos von Fahrradszenen aus den letzten rund einhundert Jahren.

Die Historie des Radfahrens wird bei «Bicycles» kurz und bündig abgehandelt, im Vordergrund steht das Radfahren als Lebensgefühl. Nichtsdestotrotz sind außergewöhnliche Zweiräder und Fahrrad-teile zu bestaunen. Manche davon hatten sehr prominente Besitzer. Da wäre etwa das Jugendrad von Elvis Presley, das Waffenrad von Thomas Bernhard oder die Zeitfahrmaschine von Moreno Argentin aus der Saison 1991.

Weitere Promi-Räder sollen folgen, denn Markus Böhm möchte mit dieser Schau auf internationale Wanderschaft gehen. Vor allem Peking würde ihn reizen, weil sich seinen Worten nach dort die Hälfte des weltweiten Fahrradbestandes befindet.

 

Schloss Hollenburg

Bis 17. September

www.bicycles-exhibition.com

Projektraum Burgenland

Bis 12. November

landesgalerie-burgenland.at

Fahrradmuseum Retz

Mai–Oktober tgl., 14–17 Uhr

www.fahrradmuseum.at