Die Vollzeitfalletun & lassen

Illustration: Thomas Kriebaum

Minister Kocher will die Teilzeit abstrafen. Arbeitnehmer:innen wollen lieber die Vollzeit verkürzen. Ist es 50 Jahre nach der letzten Arbeitszeitverkürzung an der Zeit, die nächste in Angriff zu nehmen?

 

«Ich brauche Zeit, um meine Batterien aufzuladen. Ich ­arbeite drei Tage, und an den restlichen Tagen kann ich Sachen machen, die mir gut tun, um mich dann wieder auf die Arbeit zu freuen.» Manon Liebe ist Mitte zwanzig und arbeitet seit zwei Jahren als Kindergruppenbetreuerin. Erst 30, jetzt 25 Stunden. «Mir ist es ein Anliegen, die Kinder auf ihrem Weg zu starken, kritischen, selbstbewussten Menschen zu ­begleiten, die auch auf ihre Bedürfnisse und ihr ­eigenes Wohlbefinden schauen. Und ich bezweifle, dass ich das vermitteln kann, wenn ich es selbst nicht mache.»

Mehr oder weniger?

Seit Martin Kocher, ÖVP-Minister sowohl für Arbeit als auch für Wirtschaft, Mitte Februar im Kurier-Interview laut darüber nachgedacht hat, man könnte Teilzeitarbeit doch mit einer Kürzung von Sozialleistungen bestrafen, wird wieder über Arbeitszeit gesprochen. In einer ersten Runde der Reaktionen wurde von Arbeitgeber:innen- wie von Arbeitnehmer:innenvertretung das betrieben, was man als «Teilzeitbashing» bezeichnet. Teilzeit wird als etwas Negatives gerahmt, etwas, von dem man logischerweise nicht leben kann, etwas, das Frauen in der Not tun, weil ihnen keine ausreichende Kinderbetreuung zur Verfügung steht, etwas, das jedenfalls nicht zu einem erfolgreichen Leben gehört; und das mehr oder weniger zwingend in die Altersarmut führt. Der Umkehrschluss: Es braucht mehr Anreize für Vollzeitarbeit. Aber schon kurz danach wurden die ersten Stimmen laut – und es waren nicht nur die üblichen Verdächtigen –, die sich für eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung aussprachen. Weniger arbeiten, wo doch gerade erst «60-Stunden-Woche» sagbar geworden ist? Schauen wir uns das einmal an.

Teilzeit als Problem

Nicht erst seit der britischen Studie zur Vier-Tage-Woche (s. Info­kasten unten) liegt auf der Hand, dass Menschen entspannter, gesünder und Community-orientierter sind, mehr Zeit für Betreuungsarbeit, ­Beziehungspflege und sich selbst haben, wenn sie weniger Zeit in der Erwerbsarbeit verbringen. Was ist also der Grund dafür, dass Teilzeit im politischen Diskurs als Nachteil, wenn nicht sogar als Falle gilt? «Die Teilzeit ist eine individuelle Arbeitszeitverkürzung bei Lohnverzicht», sagt Jörg Flecker. Flecker war wissenschaftlicher Leiter der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA) und ist seit 2013 Professor am Institut für Soziologie der Universität Wien. Die Forschung zur Arbeitszeit ­gehört zu seinen Schwerpunkten. «Teilzeitarbeit hat erhebliche Nachteile. Erstens geht Lohnverzicht mit einer schlechteren sozialen Absicherung einher. Zweitens haben Teilzeitarbeitende Nachteile, was den Status und die Aufstiegsmöglichkeiten im Betrieb betrifft. Es gibt laut Arbeits- und Sozialrecht der Europäischen Union zwar eine rechtliche Gleichstellung mit Vollzeitarbeitenden. Aber das heißt nicht, dass es in der Praxis keine Nachteile gibt.» In der Praxis gebe es zudem eine «klare Korrelation» zwischen niedrigen Löhnen und Teilzeitstellen: Jene Branchen, die wenig zahlen, bieten viele Teilzeitstellen an. Es sind die, die man «typische Frauenbranchen» nennt, zum Beispiel der Einzelhandel. Der kann sich seine ausgedehnten Öffnungszeiten leisten, weil er Spitzenarbeitszeiten mit Teilzeitangestellten abdeckt – zumeist Frauen, die auf den Erwerbsarbeitsmarkt wollen, während sie weiterhin den Großteil der unbezahlten Sorgearbeit leisten. Wo diese Arbeit nicht ausgelagert wird, weil zu wenige Kinderbetreuungsstätten zur Verfügung stehen, oder wo die Haushaltsarbeit nicht an andere und meist migrantische Frauen weitergegeben wird, können die Frauen nicht mehr als Teilzeit erwerbsarbeiten gehen. Ganz unabhängig davon, was sie wollen: Es geht sich einfach nicht aus.
Ulrike Huemer, Ökonomin im Forschungsbereich Arbeitsmarkt, Einkommen und soziale Sicherheit am WIFO (Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung), führt die Altersarmut als Konsequenz solcher Erwerbsbiografien ins Feld: «Wenn man Teilzeit ­arbeitet, verdient man weniger als in Vollzeit, und damit ergibt sich im erwerbszentrierten sozialen Sicherungssystem, wie wir es in Österreich haben, automatisch eine geringere Pension. Die kann sich in Altersarmut niederschlagen.» Aber ­natürlich, so Huemer, ist es nicht nur eine Frage der ­Arbeitszeit, sondern auch der ­Lohnhöhe: «Die Bewertung von Arbeit ist zentral. In Branchen, in denen das Einkommen vergleichsweise gering ist, werde ich trotz Vollzeitjob in der Pension ein geringes Einkommen habe.» Working Poor ist der Begriff, der sich dafür etabliert hat. Huemer hat aber auch einen Vorschlag dafür, wie Arbeit neu bewertet werden könnte: «Wo die öffentliche Hand Arbeitgeber ist, obliegt es ihr, mit gutem Beispiel voranzugehen. Im Gesundheitsbereich wird oft rezipiert, dass es einen Personalmangel gebe. Wenn ich einen Mangel an Fachkräften habe, muss ich die Branche attraktivieren: durch bessere Arbeitsbedingungen, höhere Einkommen, Arbeitszeitreduktion. Die öffentliche Hand könnte da den ersten Schritt machen.»

Gegenderte Arbeitszeit

«Wir sollen nicht so tun, als wenn die Frauen das alle freiwillig machen», sagte AK-Präsidentin Renate Anderl als Replik auf Kochers Ausrutscher in der ORF-Pressestunde, und meinte ­damit: freiwillig in Teilzeit arbeiten. Aber was bedeutet «freiwillig»? Ulrike Huemer: «Freiwillige Teilzeitarbeit ist so definiert: Die Beschäftigten werden gefragt, warum sie Teilzeit arbeiten; wenn sie angeben, ‹Konnte keinen Vollzeitjob finden›, sind sie unfreiwillig in Teilzeit. Alle anderen Gründe bedeuten, sie sind freiwillig in Teilzeit. Das kann man hinterfragen. Wenn ich gesundheitlich ­eingeschränkt bin und ­darum vielleicht nicht vierzig, aber dreißig Stunden arbeiten kann, oder wenn ich Kinder ­betreue, weil die Betreuungseinrichtung fehlt, ist das nicht unbedingt selbst gewählt. Das Antwortverhalten spiegelt die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wider.»
Benni Freiser (Name v. d. Red. geändert) ist Mitte vierzig, arbeitet rund 22 Wochenstunden als Wissenschaftler in der empirischen Sozialforschung und hat Betreuungspflichten für die Kinder, mit denen er lebt. «Die ­teile ich mir im Moment mit meiner Partnerin so, dass es am Ende der Woche auf ­ungefähr fünfzig-fünfzig hinausläuft.» Mehr als Teilzeit zu arbeiten ist für ihn in der jetzigen Situation nicht wünschenswert. «­Neben der Lohnarbeitsbelastung bekomme ich so sehr gut die Betreuungszeit unter, und die habe ich zwangsläufig unterzubekommen, sobald ich mich für ein Leben mit Kindern entscheide.» Im zweiten Halbjahr 2023 wird die Statistik Austria die Ergebnisse der nächsten Zeitverwendungserhebung publizieren. ­Beantwortete die damalige ÖVP-­Familienministerin ­Bogner-Strauss eine parlamentarische Anfrage, wann denn endlich die nächste Studie komme, im Jahr 2018 noch mit einem etwas ausführlicheren «gar nicht», so hat man es sich zwischenzeitlich koalitionär anders überlegt. Fünfzehn Jahre nach der letzten Studie wird nun wieder gefragt, wie in Öster­reich die bezahlte und die ­unbezahlte, die ­Betreuungs- und die Haushaltsarbeit aufgeteilt ist. Die Erhebungsergebnisse aus dem Jahr 2008 ergaben, dass ­Frauen täglich durchschnittlich 3 ­Stunden und 42 Minuten Hausarbeit machen; Männer hingegen 1 Stunde 58. «Ob sich da im letzten Jahrzehnt viel verändert hat?», ­Benni ­Freiser meint seine Frage rhetorisch. Eine allgemeine Arbeitszeitreduktion, so sehen es Forschung und Betroffene gleichermaßen, würde zwar nicht zwingend zu einer geschlechtergerechten Teilung der Sorgearbeit führen – aber sie würde, flankiert von entsprechenden Begleitmaßnahmen, zumindest den Weg dorthin ebnen. Und würde die Männer aus der Vollzeitfalle befreien.

Die Enkel von John Maynard Keynes

«Schaut man sich die Geschichte an, so sieht man, dass jede Arbeitszeitverkürzung von der Arbeiter:innenbewegung hart erkämpft worden ist», sagt Jörg Flecker. «Und dass, wie schon Karl Marx geschrieben hat, die Kapitalseite das niemals freiwillig zugestanden hätte. Die Unternehmen und ihre Verbände gehen davon aus, dass mehr aus den Arbeitenden herausgeholt werden kann, wenn sie länger arbeiten.»
Die berühmte Forderung nach «8 Stunden Arbeit, 8 Stunden Schlaf, 8 Stunden Freizeit und Erholung» wird Robert Owen, einem walisischen Unternehmer und Sozialisten, zugeschrieben und mit den 1810er-Jahren datiert. Knapp 150 Jahre später, im November 1959, verkündete der Öster­reichische Gewerkschaftsbund stolz: Die 45-Stunden-Woche ist in allen Branchen gesetzlich verankert! Davor hatte man in einzelnen Kollektivverträgen bereits die Kürzung von 48 auf 45 Stunden ­erkämpft. Es waren das klassische Industriebranchen – Erdöl, Auto, Bergbau. Der ­nächste Etappensieg stellte sich 1975 ein: Qua ­Arbeitszeitgesetz wurde die 40-Stunden-Woche zur maximalen Normarbeitszeit ­erklärt. Ab jetzt wurde in Kollektivvertragsverhandlungen, im Betrieb und auf der ­Straße an weiteren Verkürzungen gearbeitet, in manchen Branchen mit Erfolg: ­Unter ­anderem haben sich Brauereien, Handel und Metallindustrie 38,5 Stunden rausverhandelt, der aktuelle Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft sieht eine Normarbeitszeit von 37 Stunden vor.
«1975, das ist bald 50 Jahre her», ­rechnet Flecker nach. «Es braucht einen nächsten Schritt, in dem man die kollektivvertraglich und auf Betriebsebene realisierten Arbeitszeitverkürzungen gesetzlich nachvollzieht. Das heißt, per Gesetz wird die allgemeine Normarbeitszeit verkürzt – ­sagen wir, auf 35 Stunden. Das wäre machbar und nichts großartig Revolutionäres.» Großartig revolutionär wäre es schon eher, wenn wir da angelangt wären, wo der ­britische Ökonom John Maynard Keynes seine ­erwachsenen Enkerl sehen wollte. In seinem Text Wirtschaftliche Möglichkeiten für unsere Enkelkinder schrieb er im Jahr 1930: Im Laufe der nächsten zwei bis drei Generationen würde es aufgrund der gesteigerten Produktivität – und weil «die Akkumulation des Reichtums nicht mehr von hoher gesellschaftlicher Bedeutung ist» – so weit kommen, dass es nur aus dem Grund noch nötig sei, 3 Tage die Woche oder 15 Stunden der Erwerbsarbeit nachzugehen, weil der Mensch eine ­Weile brauchen würde, sich mit einem ­Leben ganz ohne Erwerbsarbeit anzufreunden. Dieser ­äußerst ­unterhaltsame Text von Keynes, der nun ja wirklich kein Vordenker der Occupy- und Lobau­Bleibt-Bewegung war, sich aber trotzdem sehr böse und präzise über die Unfähigkeit der Reichen äußert, ihre Freizeit sinnvoll zu ­gestalten, soll hier nicht allzu lang zitiert, aber auf jeden Fall zur Lektüre empfohlen ­werden. Nicht nötig festzustellen, dass Keynes nicht Recht ­behielt: «­Obwohl die Produktivität so stark gestiegen ist, wehrt sich die Kapitalseite gegen eine ­Arbeitszeitverkürzung», stellt Jörg Flecker fest. Möglicherweise weil, ­anders als von Keynes ­ersonnen, die ­Akkumulation von Reichtum nicht ein ­bisschen an Attraktivität eingebüßt hat (und zu diesem ­Behufe auch nach wie vor viel zu gering besteuert wird). Ergänzend mag man feststellen, dass die Beschäftigung der ­Arbeitenden, wie es das Wort auch sagt, gar nicht nur der Produktion von Mehrwert dient – sondern eben ihrem Beschäftigtsein, das sie davon abhält, in ihrer Freizeit über wilde Ideen wie Arbeitsrechte, die ­Organisierung ­ihrer Nachbar:innen­schaft oder die Lust auf Faulheit zu sinnieren.

Neue Normen

«Es wäre schon fein, wenn ich ein bisschen mehr Geld hätte. Nicht um mir einen Luxus zu gönnen, sondern um keine Sorgen zu haben.» Manon Liebe kommt mit ihrem Gehalt aus, weil sie sehr sparsam lebt. Aber seit der Teuerung ist es knapp geworden.
Natürlich, meint Jörg Flecker, könnte man eine deutliche Erhöhung der Mindestlöhne fordern, um die unteren Einkommen aus der Verarmungsfalle zu holen. «Aber davon sind wir sehr weit weg. Es gibt ­immer noch Branchen, die unter den Vorschlägen der Europäischen Union zurückbleiben.» Darum hält er es für relevant, für eine kurze Vollzeit zu argumentieren: eine Normarbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich.
Alle arbeiten weniger, verdienen aber dasselbe – ist das leistbar? Eine Vier-­Tage-Woche, so belegt die britische Studie, senkt nicht die Produktivität. Die faktische Arbeitszeit wird einfach produktiver genützt. Das ist für die Klimafrage nicht unbedingt eine gute Nachricht, aber ein valides Argument gegen die Panikmache der Arbeitgeber:innenvertretung. Der ­volle Lohnausgleich hat nämlich nicht nur auf Kapitalseite seine Zweifler:innen. Aus klimakritischer Perspektive wird ­befürchtet, dass hohe Löhne bei verringerter ­Arbeitszeit die Freizeitemissionen steigen lassen. Man könnte dagegen­halten, dass Emissionen immer über das ­Angebot und nicht über die Nachfrage ­reguliert werden müssen. Die britische 4 Day Week Campaign beruft sich auf empirische Hinweise dafür, dass weniger Zeitdruck Arbeit­nehmer:innen eher dazu motiviert, auf klimafreundliche Verkehrsmittel umzusteigen. «Das gewichtige Argument für den Lohnausgleich ist aber, dass wir große Niedriglohnbereiche ­haben, viele Menschen ­leben in Armut oder an der Armutsgrenze, und auf der anderen Seite steigen die Kosten. Da ist kein Spielraum für eine Verringerung der Einkommen», sagt Flecker.
Natürlich gibt es auch Branchen, in denen verkürzte Arbeitszeit durch mehr Personal ausgeglichen werden muss. Schließlich kann und soll nicht schneller und effizienter gepflegt oder betreut werden, und auch der Automatisierung sind in vielen Bereichen technische oder ethische Grenzen gesetzt. Die davon betroffenen Branchen ­müssten entsprechend entlastet werden, meint Flecker: «Die arbeitsintensiven Branchen trifft Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich natürlich mehr als die kapitalintensiven. Man ­könnte an Vorschläge aus den 1980er-Jahren ­anknüpfen, die damals unter Sozialminister Dallinger aufs Tapet gebracht wurden, und eine Wertschöpfungsabgabe einführen. So würde mehr Fairness zwischen den Branchen herrschen und der Kostenschub für Gastgewerbe und ­andere Dienstleistungen könnte ein Stück weit aufgefangen werden.» Manche Kosten würden sich durchaus auch in höheren Preisen zeigen, ist Flecker überzeugt. Aber das könne man auch als «Korrektur» empfinden, die einer heute unterbewerteten Arbeit mehr Wertschätzung entgegenbringe.
«Wohlfahrtsökonomisch ist eine geringere Arbeitszeit natürlich wünschenswert», sagt die Ökonomin ­Ulrike Huemer. «Es bleibt mehr Zeit für die Verein­barkeit von Beruf und Familie, für ­soziales ­Engagement, Hobbys und Weiter­bildung.» Auch Benni Freiser bestätigt das für sich: Mit 22 Stunden Erwerbsarbeit bleibe ihm noch Zeit für Aktivismus und im besten Fall auch für sich selbst; ­alles Dinge, die in der aktuellen Debatte ­völlig untergingen, «obwohl es in Österreich durchaus eine gewisse ­Erwartungshaltung gegenüber freiwilligem Engagement gibt». Auch der Faktor Gesundheit spricht für ­geringere Erwerbsarbeitszeiten: Burnout, Herzkrankheiten und das gute alte Rücken­weh sind öko­nomische Zivili­sationskrankheiten; und auch Arbeitsunfälle, so weiß die ­arbeitsmedizinische Forschung, steigen ab einer Arbeitszeit von sieben Stunden pro Tag ­exponentiell an.

Leben und Arbeiten

Man kann das ­Gerede von der Work-Life-Balance öde finden – oder neoliberal –, weil die «work» schließlich mitten im «life» stattfindet und es durch Fragen von «time» und «money» maßgeblich mitbestimmt. Aber es ist wert, genau hinzuschauen, wenn eine neue ­Generation bemerkt und thematisiert, dass zu viel Erwerbsarbeitszeit dem ­Leben nicht guttut. Das mag eine Erkenntnis aus der Pandemie sein, oder eine, die durch die Erfahrungen der Pandemie benennbar wurde. Für Benni Freiser ist es auf jeden Fall «gelebte Kapitalismuskritik», auf die sich aufbauen lässt. Manon Liebe hat eine fast noch radikalere Vision vom Leben und der Erwerbsarbeit. Auch wenn sie finanziell vollkommen abgesichert wäre, würde sie weiter als Kindergruppenbetreuerin arbeiten, «weil ich es liebe, das zu tun». Aber: «Es wäre ideal, wenn alle so viel arbeiten könnten, wie sie das wollen und brauchen.»
Bedürfnisorientierung als Parameter am Erwerbsarbeitsmarkt? Das ist fast zu fantastisch, zu selbstbestimmt, um wahr zu sein. Und gerade darum wert, darüber nachzudenken.

 

Infokasten:

4 Tage arbeiten?
Do it like the UK!

Die Studie

Just im gleichen Moment, in dem ÖVP-Minister Kocher sich zur Arbeitszeit­frage äußerte, wurde in Großbritannien eine historisch viel bedeutsamere ­Aussage ­getroffen: The UK’s four-day week pilot, die britische Studie zur Vier-Tage-­Woche, war fertig. Sie ist Resultat des ­größten Pilot­versuchs für eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich: 2.900 Arbeiter:innen und Angestellte in 61 Unter­nehmen nahmen daran über sechs Monate lang teil. Je nach Unternehmensmodell wurden auch verschiedene ­Modelle der Arbeitszeitverkürzung angewendet. Die Produktivität sei nicht gesunken, die Arbeitnehmer:innenzufriedenheit aber ­rapide gestiegen, so die Studien­autor:innen aus Cambridge und Boston. Weniger Kündigungen, mehr Vereinbarkeit von Sorge- und Erwerbsarbeit und mehr Freiheit, das Sozialleben zu gestalten, waren die Folge. 56 der 61 teilnehmenden Firmen behalten die Vier-Tage-Woche nach Ende der Studie vorerst bei.

www.autonomy.work/portfolio/uk4dwpilotresults

Die Kampagne

Die 4 Day Week Campaign ist eine Kampagne, die sich in Großbritannien für die Umsetzung einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung einsetzt. Sie hat die Pilotstudie in Auftrag gegeben. Als «Benefits» führt sie nicht nur zufriedenere Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen an, sondern auch reduzierte CO2-Emissionen. Die Kampagne vergibt Zertifikate für Arbeitgeber:innen, die die Arbeitszeit verkürzen: Wer den «Goldstandard» erlangen will, muss auf vier Tage und 32 Stunden runter. Großbritannien ist europaweit eines der Länder mit den längsten Normalarbeitszeiten.

www.4dayweek.co.uk