Vier Lokalaugenscheine auf den Spuren von Kicker-Legenden
In den letzten 12 Monaten wurden drei Wege und eine Gasse nach ehemaligen Fußballern benannt. Wo sind diese Wege, wie sehen sie aus und gibt es einen erkennbaren Bezug zu Leben und Wirken der Namenspatrone?
Oh welch Ehre, einer Verkehrsfläche der Stadt Wien seinen Namen zu leihen! Wir führen die Namen Verblichener täglich im Mund, wir schreiben sie in Adressen, wir lesen sie auf Schildern. Ein kleiner Sieg gegen die Sterblichkeit, wenn auch ein sehr irdischer, von Ämtern verwalteter. Daher regt man sich zu Recht auf, wenn zu wenig Frauen und zu viele Dr. Karl Lueger gewürdigt werden. Vier ehemalige Spieler und Trainer der österreichischen Nationalmannschaft sind seit März 2011 mit einer eigenen Verkehrsfläche bedacht worden. Toni Fritsch, Helmut Senekowitsch, Peter Persidis und Karl Decker wurden solcherart posthum geehrt. Ich will mich mit ihnen freuen und fahre zu ihren Gassen und Wegen.
Zuerst geht es in den 21. Bezirk nach Groß-Jedlersdorf. Baumärkte und Steinmetze prägen das Bild. An der Kreuzung Jedlersdorfer Straße und Hanreitergasse beginnt schon das offene Feld. Links ist ein Gartencenter und daneben ein einspuriger Asphaltstreifen: der Toni-Fritsch-Weg. Hier wird spaziert, Rad gefahren und äußerln gegangen, aber nicht mit dem Auto gefahren. Man passiert den Groß-Jedlersdorfer Friedhof und weitere Siedlungen, rechts erstreckt sich das offene Feld bis zum Marchfeldkanal. Hollywood sieht anders aus.
Dabei waren sowohl die sportliche Karriere als auch das Leben von Toni Fritsch eine große Show, mit allen Höhen und Tiefen. Aus dem niederösterreichischen Petronell 1957 bereits als Zwölfjähriger bei Rapid angeheuert, verliert er ein Jahr später beide Eltern und findet nicht nur im übertragenen Sinn seine Heimat in Hütteldorf. Der wuchtige Flügelstürmer spielt sieben Jahre in der Ersten Mannschaft von Rapid. Dazu kommen neun Einsätze im Nationalteam, mit dem Höhepunkt gleich beim Debüt 1965: zwei Tore im Wembley-Stadion gegen England. Fortan wird er «Wembley Toni» genannt.
Weder Hollywood noch Hütteldorf
Es sollte sein fußballerisches Highlight bleiben, seine Karriere stagniert auf hohem Niveau. Er ergreift seine zweite Chance und wechselt 1971 als 27-Jähriger zu den Dallas Cowboys in die National Football League. Fritsch bleibt der geborene Debütant. Bereits in seiner ersten Saison gewinnt er die Super Bowl, ein Kunststück, das ihm in 12 weiteren Jahren NFL nicht mehr gelingen sollte. Dennoch ist er bis zum heutigen Tag der mit Abstand erfolgreichste heimische American-Football-Spieler. Zwischen seiner neuen Heimat USA und Wien pendelnd, kann er seinen Ruhestand nur bis 2005 genießen. Er erleidet just in dem Moment, als er sich Karten für ein Champions-League-Spiel von Rapid bei der Geschäftsstelle in Hütteldorf abholt, einen Herzinfarkt.
Man hätte warten sollen, bis in Hütteldorf oder in Dallas etwas Adäquates frei geworden wäre, dieser Weg hier wäre besser namenlos geblieben. Ich wende mich ab und suche die Senekowitschgasse im 22. Bezirk auf.
Der Grazer Helmut Senekowitsch war als Spieler wie als Trainer ein Weltenbummler. Er schnürte seine Schuhe unter anderem für Sturm Graz, Vienna, Betis Sevilla und Wacker Innsbruck, war WM-Teilnehmer 1958. Mit den Tirolern wird er in seinem letzten Jahr als Aktiver 1971 Meister, wenige Monate später sitzt er beim GAK auf der Trainerbank. 1974 betreut er VÖEST Linz und erringt den einzigen Meistertitel der Werksmannschaft. Dennoch verengt sich im kollektiven Fußballgedächtnis sein Wirken auf einen Begriff: Cordoba. Der Steirer stand seinerzeit an der Linie, der Rest ist bekannt. Weniger bekannt ist, dass Senekowitsch auch in Mexiko, Spanien, Griechenland, Deutschland und Zypern tätig war. Vor fünf Jahren ist er in seinem Alterssitz Klosterneuburg verstorben, vor einem Jahr wurde ihm eine Gasse gewidmet.
Am dicht besiedelten Rennbahnweg ist dort, wo die Senekowitschgasse beginnen sollte, eine geschotterte Baustelleneinfahrt. Umrundet man die Szenerie, gelangt man zwischen einem ÖAMTC-Stützpunkt und einer Blumen-selber-pflücken-Wiese zur Gasse, die hier auch beschildert ist. Weit kommt man allerdings nicht, ein Bauzaun versperrt den Weg. Hier entstehen neue Siedlungen, Cordoba-Fetischisten können bald in die Pampa, Pardon, in die Senekowitschgasse ziehen. Einen Zusammenhang mit dem Leben und Wirken des Grazers kann ich leider nicht erkennen. Für seine Verdienste um die österreichische Seele hätte er sich eigentlich einen Platz am Ring verdient.
Der einzige Fußballerweg, der im Verkehrslinienplan dem Stadtplan in den U-Bahn-Stationen eingezeichnet ist, ist der Persidisweg. Über Leopoldau und mittels eines Regionalbusses, der zeitweilig auf niederösterreichischen Bundesstraßen dahinbrettert, kommt man zum Stammersdorfer Zentralfriedhof. Südlich des überaus stilvollen und gar nicht kleinen Friedhofs soll sich der Persidisweg befinden. Peter Persidis war mein erster Interviewpartner überhaupt und hat mir mit seiner ruhigen, überlegten Art für immer das Klischee des lauten, dummen Fußballers ausgetrieben. Er spielte für Vienna, Olympiakos Piräus und Rapid Wien. Später war er Co- und Interimstrainer bei Rapid, an der Seite von Pepi Hickersberger wechselte er schließlich zum Nationalteam. 2009 starb er nach langer, schwerer Krankheit.
Where the streets have no name
Ohne die Hilfe von Ortskundigen findet man hier gar nichts. Ein freundlicher Anrainer weist mir die Richtung, und ich tauche in ein unbeschildertes, ungeteertes Wegedelta ein, das durch einen kleinen Streifen Natur führt. Trotzdem fühlt es sich wie Wildnis an, namenlos dazu, ein wildromantisches Understatement also. Sehr passend für Herrn Persidis. Mich zieht es weiter zur vierten und letzten Station, dem Karl-Decker-Weg im 19. Bezirk.
Karl Decker spielte 14 Jahre für die Döblinger Vienna, war Legionär in Frankreich und der Schweiz. Als Trainer betreute er den Sportclub, Rapid und die Vienna, Anfang der 1960er-Jahre überaus erfolgreich das Nationalteam. Man sprach von Deckers Wunderteam, das in einer beeindruckenden Serie unter anderem Italien, Spanien und England besiegen konnte.
Trotz dieser abwechslungsreichen Karriere hätte es keinen besseren Platz als die Hohe Warte geben können, um Decker zu ehren. Der Karl-Decker-Weg ist ein steil ansteigender Fußweg, der von der Klabundgasse Richtung Döblinger Bad führt. Links stehen ein paar Bäume, rechts blickt man auf eine Tennis-Anlage. Man passiert die Heimat der Wetterfrösche von der ZAMG, am Scheitelpunkt des Weges sieht man schließlich das Stadion. Mit Gratisblitzen geht hier aber nichts, lediglich die Haupttribüne ist sichtbar und kein Quadratmeter des Spielfelds. Wenn die Bäume im Sommer und Herbst mehr Laub tragen, wird man noch weniger kiebitzen können.
Ich blicke auf das Panorama des nördlichen Wiens, dorthin, wo sich die Wege der anderen befinden. Hier auf der Hohen Warte laufen ihre Karrieren zusammen. Decker, Senekowitsch und Persidis waren für die Vienna tätig, Fritsch hatte hier sein Probe-Kicken vor den Scouts der NFL. Nun stehen sie alle im Stadtplan. Schauen Sie mal bei ihnen vorbei.
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