Die Zivilgesellschafttun & lassen

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Alles soll anders werden, aber nichts darf sich ändern. Eine aufmüpfige Resignation prägt seit Jahren das Land. Die Auflehnung gegen «die Mächtigen» erscheint als Sehnsucht nach Anerkennung durch sie. Das depressive Bewältigungsmuster des Raunzens statt der Frechheit von unten, Millionen Wohnzimmer-Kommentatoren mit Senf zu allem, ohne selbst Verantwortung zu tragen; der Wohlfahrtsstaat als fürsorglicher Übervater mit ewig pubertierenden Kindern, alles in allem: eine müde Zivilgesellschaft.«So viele glauben, Veränderung allein könne nicht helfen, es muss schon Erlösung sein», analysiert der Schriftsteller Karl-Markus Gauß. «Das Unangenehme an der Veränderung ist, dass die Menschen sie selber zu erwirken haben, das Angenehme an der Erlösung hingegen, dass sie einem widerfährt von oben, von außen (…), jedenfalls von einer Macht, der man sich zu seinem eigenen Besten nur ergeben braucht.» Diejenigen, die alles was ist uns schon als das Letzte aller Dinge weismachen wollen, sagen dann, dass wir «der Veränderung gar nicht bedürfen, weil wir schon längst der Erlösung teilhaftig geworden sind. Uns geht es gut, alle beneiden uns, wir haben es geschafft, so muss es bleiben». Fortsetzung heißt die Losung, was für diejenigen, mit denen es in den letzten Jahren bergab ging oder die schon seit jeher «draußen vor der Tür» stehen, eine gefährliche Drohung ist.

Der Auftritt der Zivilgesellschaft ist nun der Versuch, ein Paradoxon zu entwerfen: den nichtstaatlichen Citoyen. Wir wollen nicht nur Wirtschaftsbürger sein, nicht nur alle vier Jahre Stimmbürger, sondern von dem Ort aus, den wir wählen, öffentlich Handelnde. Dem paternalistischen Modell von Bürgergesellschaft, das Gemeinsinn von oben verordnen will, setzen wir unser Engagement entgegen, das Menschen ermächtigt statt sich ihrer bemächtigt. Kein repressives Gemeinschafts-Pathos, das uns Zusammengehörigkeit verordnet, uns in Volksgemeinschaften beschwört, uns zu braven Untertanen erzieht.

Anstelle eines zivilgesellschaftlichen Modells, das von BürgerInnen spricht, aber nur die Mittelschichten meint, ist die Einbeziehung von Ausgeschlossenen als Handelnden wichtig. Solidarität wurde ursprünglich als direkte Alternative zur Wohltätigkeit entwickelt. «Die Schwachen» brachen aus ihrer Situation der Angewiesenheit aus und verweigerten sich der Anerkennung durch «die Starken». Im Jammertal unverbindlicher Appell-Moral jedoch bleiben «die Schwachen» schwach und dem Vergleich mit den Gewinnern weiterhin ausgesetzt.

In der Debatte gewinnt man oft den Eindruck, dass der Zivilgesellschaft eine ähnliche Funktion zukommt wie den Heiligen in der katholischen Kirche: Sie werden angerufen, wenn sonst nichts mehr geht. Als Lückenbüßer, als Sozialstaatsaushilfe, als Sinnstifter. Bürgergesellschaft heißt dann: Soziale Risken werden privatisiert; Jobs, von denen keiner leben kann, verfeierlicht; das Arbeitsamt zur nationalen Erziehungsanstalt.

Die zivilgesellschaftlichen Initiativen sind aber nicht der Ersatz für die gesamtgesellschaftlichen Instrumente des sozialen Ausgleichs. Im Gegenteil: Sie produzieren in ihrer Arbeit die Werte, die der Sozialstaat selbst nicht schaffen kann die er aber für den Schutz seiner schwächsten Mitglieder braucht. Gleichzeitig agieren viele als Reformkräfte im Sozialstaat. Sie weisen in Wort und Tat auf Fehlentwicklungen hin und mischen sich an der Seite der Benachteiligten öffentlich ein.

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