Isabella Feimer lotet in ihrem neuen Roman menschliche Untiefen aus
Isabella Feimer erzählt in ihren Texten von unheimlichen und zugleich sehr wirklichen Ereignissen. Ihr neuer Roman «Trophäen» verdankt sich der zufälligen Entdeckung eines abgründigen Schauplatzes. Darüber spricht sie mit Helmut Neundlinger (Text) und Lisbeth Kovačič (Foto).«Als ich eine Freundin im fünften Bezirk besuchen wollte, bin ich zufällig an der Auslage eines Tierpräparatoren-Geschäfts vorbeigekommen», erzählt Isabella Feimer. Mit diesem Gewerbe hatte die 1976 in Schwechat geborene und in Wien lebende Autorin bislang nichts am Hut. «Von außen sah alles wirklich sehr verhangen und düster aus, und ich habe mich gar nicht reingetraut.» Das Bild blieb in Feimers Kopf hängen und entwickelte sich zur Möglichkeit einer Geschichte rund um einen Tierpräparator und eine Frau, «die das Leben konservieren will», wie Feimer es formuliert. Der Plot war schnell geschrieben: Fünfzig Seiten hatte das ursprüngliche Manuskript, in dem quasi alles schon vorhanden war, nur eines nicht: «Nach dem Durchlesen habe ich es mit einem weinenden Auge verworfen, weil ich den Ton für die Geschichte noch nicht gefunden hatte.»
Die Sprache ist eine eigenständige Figur
Die Sprache des Romans entwickelte sich erst im zweiten Anlauf, dafür aber umso wuchtiger und überzeugender. «Mir ist erst im Laufe meiner Schreibversuche bewusst geworden, dass ich die Sprache quasi wie eine eigenständige Figur behandeln muss», erzählt Feimer. Und so wird auch in «Trophäen» – wie schon in ihren beiden Romanen «Der afghanische Koch» (2013) und «Zeit etwas Sonderbares» (2014) – nicht aus der allwissenden Vogelperspektive erzählt, sondern «aus den Figuren heraus», wie Feimer selbst ihr Verfahren nennt. In «Trophäen» entwickelt sie dieses Prinzip zu einem feingliedrigen Gewebe an Szenen und Atmosphären, die ständig zwischen (Alp-)Traum und Erwachen dahingleiten. Die kammerspielhaft klaustrophobe Welt des Präparatoren-Geschäfts wird zum Erlebnis- und Gedächtnistheater der weiblichen Protagonistin. Aus dem «leisen Schrei im Erwachen», mit dem der Text unvermittelt einsetzt, entspinnt sich ein literarischer Thriller, der in seiner vielschichtigen Dringlichkeit zuweilen an einen film noir erinnert.
«Trophäen» ist die Geschichte einer Selbstaufklärung, die in der Figur des Präparators als ambivalentem «wounded healer» ein rätselhaftes Pendant erhält. «Ich wollte von Anfang an keine Stereotype à la verletztes Mädchen und dunkler Prinz», erklärt Feimer. «Beide haben Wunden und wechseln sich im Status ab. Am Anfang ist er der coole Typ, und sie lässt alles mit sich machen, und dann kippt es aber irgendwann. Sie beginnt ihn zu benützen, was er nicht tut. Er ist eigentlich keine dunkle Figur, sie projiziert ja nur die Dunkelheit in ihn hinein.»
Vom Abhandenkommen der anderen
Die wirklich dunklen Geheimnisse, die die Handlung vorantreiben, liegen in beider Vergangenheit: Im Fall der weiblichen Protagonistin ist es die Geschichte ihrer Freundin Henriette, die in Kindheitstagen vor ihren Augen abstürzt und stirbt. Dieser Sturz wurde offenbar ausgelöst durch die dominante und eifersüchtige ältere Schwester der Hauptfigur, die nach wie vor wie ein böser Geist in ihrem gegenwärtigen Leben herumspukt. Der Präparator wiederum trauert um einen Sohn, der ihm abhanden gekommen ist. Die Auseinandersetzung mit den Verlusten vollzieht sich im Text über ein Spiel mit den Grenzen zwischen Zuneigung und Abhängigkeit, Sich-Öffnen und Kontrollverlust. Im Ausloten der Untiefen ereignet sich der Prozess des «Mensch-Werdens», wie Feimer es nennt. Die Formulierung deutet das gleichsam politische Programm der Autorin an, die darauf hinweist, dass es ihr in der Aneignung des Thriller-Genres mitnichten um ein bloß ästhetisches Spiel gegangen sei: «Für mich hat jeder Text mit Gesellschaft zu tun, auch wenn es bei diesem vielleicht nicht sofort zu sehen ist. Aber im Grunde geht es um Vereinsamung, Verwahrlosung und den Rückzug aus der Gesellschaft. Solche Dinge zu thematisieren, ist eine der Aufgaben von Kunst. Eine andere ist es, Schönheit in die Welt zu bringen, aber auch das ist genau genommen ein sozialer Auftrag.»
Die Arbeit an «Trophäen» bezeichnet Feimer als einen Bruch in mehrfacher Hinsicht, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass dies der bislang fiktivste ihrer Texte ist. Während in «Zeit etwas Sonderbares» die Geschichte ihrer eigenen Großtante im Mittelpunkt stand, entfaltete sie in «Der afghanische Koch» ein auf gründlicher Recherche beruhendes Panorama der Flucht aus einem Kriegs- und Krisengebiet samt komplexem Willkommensdilemma. Beide Bücher betrachtet sie im Nachhinein als Akte des stilistischen Freischreibens, aus dem «das Wissen um die Fähigkeit, etwas zu gestalten» erwachsen ist. Was aus der Zeit der literarischen Anfänge geblieben ist, ist der Kampf gegen die Selbstzufriedenheit: «Oft sitze ich auch da und denk mir, das ist der größte Blödsinn, der da aus mir rauskommt. Der Zweifel ist immer da, und ich will ihn auch nicht verlieren, sonst fehlt der Ausgleich und die Bodenhaftung. Dann ist es bloß Schreiben um des Schreibens willen.»