Diesmal in der Wien-Serie: «Die etwas andere Homestory»vorstadt

Uwe Mauch über Stiege 8/Tür 7 im Wiener Gemeindebau

Wer es sich leisten kann, zieht aus. Sagt die Hausmeisterin. Ich wohne auf Stiege 8/Tür 7. Und ziehe nicht aus! Ich bin einer von fast 500.000. Ich wohne, seit ich denken kann, seit bald einem halben Jahrhundert – im Wiener Gemeindebau.

Foto: Mario Lang

Die 8er-Stiege ist eine gute Stiege. Auch das sagt die Hausmeisterin. Nur die Kinder «von den Arabern» erregen den Unmut, wirft mein Nachbar ein. «Es gibt bereits Beschwerden.» Ich wohne oberhalb von den Arabern. Mein Einwand, dass die Araber gar keine Araber sind und dass die kleinen Kinder der vermeintlichen Araber auch nicht lauter sind, als meine Kinder es waren, als sie klein waren, verhallt im Hof eines Floridsdorfer Gemeindebaus. Ungehört.

 

Der Wiener Gemeindebau ist in den vergangenen Jahren ins Gerede gekommen. Die neuen Blockwarte in der Politik und den Boulevardzeitungen machen ordentlich Anti-Stimmung, dichten jeden Bassenastreit in eine nationale Tragödie um. Kritisieren aufgeregt, was alles nicht funktioniert. Nie erzählen sie uns, was funktioniert. Oder wie man es besser machen könnte.

 

Ein privater TV-Sender geilt seine Seherschaft indes auf, indem er die Menschen im Gemeindebau als hinterlistige Blödiane vorführt. Er hat damit die Verunglimpfung auf eine neue Stufe gestellt. In der öffentlich-rechtlichen TV-Serie «Kaisermühlen-Blues» vor ein paar Jahren mussten die Protagonisten nur ein bisserl deppert sein, dafür durften sie sich grundsätzlich gutmütig und auch solidarisch geben.

Kampf um den Gemeindebau! Es wird auch gesagt, dass im Gemeindebau Not und Elend Tür an Tür wohnen. Während uns die Politstrategen mit staatstragender Miene erklären, dass die Sozialdemokraten die Mehrheiten in den traditionellen Hochburgen ihrer Wählerschaft verlieren.

 

Als Bewohner von Stiege 8/Tür 7 kann ich das Geraunze nicht verstehen. Gut, es gibt schönere Orte in Wien als die graue Gasse vor meinem Küchenfenster, es gibt modernere Häuser, elegantere Wohnungen, es gibt auch Wiener und Wienerinnen, die weniger finanzielle Sorgen haben. Doch wirklich schlecht ist nur das Image des Gemeindebaus. Wie das schon klingt: Stiege 8/Tür 7!

Gute Nachrichten aus dem Gemeindebau


Es wird mir nicht gelingen, die verlorene Ehre des Gemeindebaus zu retten. So sollen es zumindest die Wien-Besucher wissen: Faktum ist, dass diese Stadt weiterhin ein weltweit einzigartiges Angebot macht. In welcher anderen Stadt außer Hongkong und möglicherweise Pjöngjang stehen den Bewohnern 220.000 relativ günstige Mietwohnungen offen? Gut, sie sind nicht mehr so preisgünstig wie im Roten Wien, aber noch immer deutlich günstiger als die Wohnungen in den meisten anderen Hauptstädten Europas.

 

Und es gibt auch gute Nachrichten aus dem Gemeindebau: von Serben, die friedlich Tür an Tür neben Albanern oder Kroaten wohnen; von Katholiken, die mit Muslimen Freundschaft schließen; von der jungen Frau, die für die alte Frau einkaufen geht; von unserer Friseurmeisterin im Salon Renate, die bettlägerige Damen zu Hause besucht, um ihnen dort die Haare zu schneiden. Von einem Marathonläufer aus Äthiopien, dem seine Nachbarn Blumen schenken, von langjährigen Freundschaften auf der 8er- und auf anderen Stiegen. Von meiner Hausbesorgerin, die ihren Job und auch die Sorgen der Mieter zu 100 Prozent ernst nimmt.

 

Das sagt niemand, es ist aber so: Integration leisten in Wien jene, die im Gemeindebau unter einem Dach leben. Natürlich rumst es manchmal, sind ja auch nur Menschen, gut ein Drittel mit Migrationshintergrund, aber nicht öfters als anderswo.

Auch ist es bei uns nicht immer so friedlich und lustig, wie der Herr Bürgermeister behauptet. Weil, wenn der Adi aus Groß-Jedlersdorf auf den Ali aus Klein-Asien trifft, und wenn keiner von beiden bereit ist, auch nur einen Millimeter von seiner Spur zu weichen, weil der Adi meint, dass nach den 20-Uhr-Nachrichten alle Menschen schlafen müssen, und der Ali dagegenhält, dass im Ramadan nach den 20-Uhr-Nachrichten alle Menschen feiern sollen, dann rumst es nicht nur, dann kann es auch krachen. Wiewohl anzumerken ist, dass ich noch nie einen Exzess erlebt habe.

 

Und dann wäre da noch das Thema Lebensqualität. Vor meinem Wohnzimmerfenster singen morgens die Vögel. Ich erinnere mich gerne an den Satz eines befreundeten Architekten: «So kann man heute nicht mehr bauen.» Auf meine Frage, ob er damit den Sand und das Stroh in den Wänden meint, die nach dem Krieg eilig aufgezogen wurden, meinte er nur: «Nein, gar nicht, aber ihr habt hier zu viele Grünflächen.»

Für uns Kinder waren die Grünflächen ein Traum! Auf den Wiesen haben wir Fußball gespielt, und in den Gebüschen Cowboy und Indianer, später haben wir dort auch unserer ersten großen Liebe mit Herzpumpern ein Busserl auf die Wange gedrückt.

Frau Cerny von der 13er-Stiege


Vom Paradies sind wir dennoch ein Stück weit entfernt: Einmal stand ich an einem Sonntagnachmittag vor meinem Küchenfenster, um zu beobachten, wie sich unten auf dem Gehsteig der schon deutlich illuminierte Großvater mühte, eine möglichst gerade Linie zu gehen, als plötzlich sein vielleicht vierjähriger Enkelsohn stehen blieb und nicht mehr weiter wollte. Der Großvater hatte es, das war sofort klar, eilig. Er wollte auf schnellstem Weg ins nahe Wirtshaus «Zur Anka». Dagegen wehrte sich aber etwas in dem Buben. Ihn interessierte, auch das war klar, mehr als das Wirtshaus vom Opa sein Spiegelbild in der Regenlacke. Ihr Dialog war kurz und schmerzhaft: «Geh weida!» – «Na!» – «Geh weida!» -«Na!» – «Geh weida!» – «Kusch, Deppata!»

 

Und dann war da noch die alte Frau Cerny von der 13er-Stiege, die sich schon mit dem Stiegensteigen schwertat. Höflich hat sie mich gebeten, ob ich ihren kleinen Einkaufswagen in den zweiten Stock hinauftragen könnte. Die Nachbarin sei heute leider nicht zu Hause, fügte sie entschuldigend hinzu. Oben wollte sie mir zwei Euro in die Hand drücken. Zwei Euro von ihrer Mindestpension.

 

Stiege 8/Tür 7. Ich werde hier verdammt noch einmal nicht ausziehen! Auch weil mir die Menschen, die meine Nachbarn sind und die alle nicht auf Rosen gebettet sind, ans Herz gewachsen sind.

Uwe Mauch, 1966 in Wien geboren, ist Redakteur der Wiener Tageszeitung «Kurier» und Autor mehrerer Reportagebücher sowie der Trescher-Stadtführer Wien und Zagreb. Ja, er wohnt wirklich auf Stiege 8/Tür 7.

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