Lokalmatador_in Nr. 274: «Nutzerzufriedenheit»
Judith Eiblmayr ist eine Architektin, die nicht alles begrüßt, was in Wien neu geplant wird.
Haus Hoch. Heißt ein Buch, das Judith Eiblmayr gemeinsam mit ihrer Kollegin Iris Meder geschrieben hat und das dem ersten Hochhaus Wiens gewidmet ist. Das Haus in der Herrengasse gilt als christlich-sozialer Gegenentwurf zum Roten Wien der 1930er Jahre. Hier logieren bis heute stadtbekannte Familien und Kreative, die von der Armutsgrenze so weit entfernt sind wie die Herrengasse vom Stadtrand. Der uniformierte Portier zeigt an, dass hier nicht jede/r Zutritt hat. Was jedoch nur Wenige wissen: Dank der nicht geldgierigen Eigentümer können sich im Hochhaus auch weniger Betuchte einmieten, die vielleicht auch hoch hinaus wollen, denen aber aus unterschiedlichen, teils weltanschaulichen Gründen der Weg nach ganz oben bis dato versperrt blieb. Das Büro von Judith Eiblmayr befindet sich im ersten Stock. Was nichts zu sagen hat, wie sie betont. Fakt ist jedenfalls, dass sie es sich leistet, auch negative Stadtentwicklungen öffentlich zu machen, etwa, wenn dem Volk wieder einmal eine Tief- als Volksgarage verkauft wird, um in Wahrheit öffentlichen Raum zu privatisieren und Parkplatz für noch mehr Autos zu schaffen. Die Architektin kennt die Seilschaften. Schon ihr Urgroßvater war Baumeister, ihr Großvater hat bei Clemens Holzmeister Architektur studiert und den Familienbetrieb in Oberösterreich weitergeführt. Ihr Vater war auch bei Holzmeister und hat sich dann als selbstständiger Architekt verdingt. Geprägt haben sie jedoch mehr, wie sie betont, die Großmutter, eine Gymnasiallehrerin für Mathematik und darstellende Geometrie, und die Mutter, eine angesehene Kunsthistorikerin. Der Beruf war für sie quasi vorgezeichnet: «Es gibt ein innerfamiliäres Verständnis für Stadtentwicklung und Architektur. Ich bin schon als Achtjährige im Atelier meines Vaters gesessen und habe dort Skizzen angefertigt.» Die Planerin, ein Wiener Stadtkind par excellence. Aufgewachsen bei liberalen Eltern in den 1970er Jahren. Die Wohnung im sechsten Bezirk, nur wenige Schritte vom Naschmarkt entfernt. Mit den Spielregeln am Wiener Hof wurde sie sodann im Akademischen Gymnasium vertraut gemacht. Die modernen Wächter über die Wiener Pfründe hat Judith Eiblmayr daher lange vor dem Ende ihres Studiums an der Technischen Universität Wien kennen gelernt, noch bevor ein hochdekorierter Professor bei seiner Laudatio mehr als hundert Absolvent_innen ins Gesicht sagen durfte: «Schauen Sie, in Wien sterben jedes Jahr sieben Architekten, mehr als sieben von Ihnen können wir daher nicht brauchen.» Anmerken möchte sie noch, dass sie als talentierte Volleyballerin in ihrer Jugend auch «die dislozierten Gegenden» kennen gelernt hat: Atzgersdorf, Kaiserebersdorf, Simmering, Favoriten, Kagran, Leopoldau. Disloziert ist die Stadt dort, wo sie ihre Rundhallen versteckt. Wo bis heute Straßenbahnen mit zweistelligen Zahlenreihen enden. Und wo bis heute Menschen zu Hause sind, die wenig Zeit und Geld haben, um es sich in ihren eigenen vier Wänden und auch sonst fein einzurichten. An den Rändern der Stadt ist aber auch noch Platz für moderne Architektur. Für gut 300 finanziell durchaus potente Bauherren hat Eiblmayrs Büro bisher gearbeitet. Mehrere Einfamilienhäuser hat sie geplant, zudem den Umbau von Wohnungen und die Renovierung von Büros ermöglicht. Von Haus zu Haus. Öfters schon wurde die Architektin weiter empfohlen. Das Credo ihrer Arbeit beschreibt sie so: dass die Bedürfnisse der Bewohner_innen wichtiger sind, sie nennt das «Nutzerzufriedenheit», als das Ego der Planerin, und dass sie nicht nur gut zeichnen, sondern auch gut zuhören können muss. So wie ihr Mann, der als Psychiater und Psychotherapeut mit Menschen zu tun hat. Sie lächelt wissend, sagt dann: «Auch in meinem Beruf ist viel Beziehungsarbeit notwendig.» Man dürfe auch nie vergessen: «Die Leute vertrauen mir, ich muss daher auch mit ihrem Geld sorgsam umgehen können.» Glücklich sei sie, «wenn meine Kunden nach zehn Jahren immer noch zufrieden sind und die Kinder sich streiten, wer im Haus oder in der Wohnung bleiben darf». Dabei ließe sich über guten Geschmack da und dort gerne streiten. «Auch die Reflexion ist mir ein Anliegen», verweist Eiblmayr dann auf ihr zweites berufliches Standbein. Gleich nach dem Studium und der Geburt ihres ersten Kindes, im Herbst 1991, hat sie mit dem Schreiben begonnen. Als Architekturkritikerin zuerst, später auch als Ausstellungskuratorin. Dabei sei es ihr wichtig, auch die interessierte Öffentlichkeit für Architektur und Stadtbetrachtung zu begeistern. Vieles, was sich in Wien neu entwickelt, begrüßt sie. Übt sie Kritik, dann ist diese auch von der Liebe zu ihrer Heimatstadt getragen. Was nicht alle so sehen wollen: «Man ist leider schnell verdächtig, wenn man sich kritisch engagiert.» So mag ihr Befund «Es gibt keinen echten sozialen Wohnbau mehr in Wien» jenen gar nicht schmecken, die uns mit großem Werbeaufwand ständig vom Gegenteil überzeugen wollen. Die ohne Pause darauf aufmerksam machen, wie haushoch überlegen Wien allen anderen Städten sei.
Foto: Mario Lang