Dort, wo wir leben, dort ist unser LandArtistin

Im Gespräch: Isabel Frey, Musikerin

Isabel Frey schnappt sich gern die Gitarre und macht revolutionäre jiddische Musik. Sie bezeichnet sich selbst als «Millennial-Bundistin» und ist durch ihre Auftritte bei den Donnerstagsdemos bekannt geworden. Im November spielt sie ihr erstes Solokonzert in Wien.
Interview: Alexander Stoff, Foto: Carolina Frank

Wie bist du der Mensch geworden, der du heute bist?

Isabel Frey: Ich bin jüdisch-säkular in Wien aufgewachsen. Wir waren nicht gläubig, aber gewisse Traditionen haben wir eingehalten, wie an Feiertagen in die Synagoge gehen oder an Schabbat die Kerzen anzünden. So wird das Judentum kulturell am Leben erhalten. Geprägt hat mich auch die sozialistisch-zionistische Jugendbewegung Hashomer Hatzair. Nach der Schule bin ich über den Hashomer Hatzair für eine Art freiwilliges soziales Jahr nach Israel gereist. Meine Erfahrungen dort führten aber dazu, dass ich mich vom Zionismus abgewendet habe. Nach diesem Jahr in Israel wollte ich weg aus Wien und habe in Amsterdam zu studieren begonnen. Hier wurde ich stark politisiert, ich war in der Hausbesetzer_innenszene aktiv, bin im Rahmen des Netzwerkes Feministinnen im Widerstand gegen den rechtsextremen Politiker Geert Wilders auf die Straße gegangen und habe mit anderen Antirassist_innen gegen die Feiern mit der rassistischen Karikatur des «Zwarte Piet» («Schwarzer Peter») protestiert.

Als du in Israel warst, hast du im Kibbuz gelebt.

Meine Erwartung war, dort eine sozialistische Utopie vorzufinden, die Realität war dann aber eine andere. Im Kibbuz, in dem ich zuerst gewohnt habe, war kaum noch etwas kommunal. Es war wie in einem Dorf, wo jede Familie ein Haus kauft und für sich lebt. In einem kommunaleren Kibbuz habe ich dann im Kindergarten gearbeitet. Das hat mir schon besser gefallen, weil es einfach mehr gemeinschaftliches Leben gab. Was mich aber erschreckt hat, war die politisch rechte Gesinnung und der Alltagsrassismus von vielen jungen Menschen dort. Einerseits leiden die Menschen in den Kibbuzim unter der aufgeheizten Kriegssituation, wenn zum Beispiel Felder in Brand gesetzt werden, und sie entwickeln einen Hass auf die Palästinenser_innen. Andererseits wird überhaupt nicht über Ursachen wie die 53-jährige Besatzung gesprochen. Das hat mich ernüchtert. Im Kibbuz haben wir aber auch eine frühere Partisanin kennengelernt. Sie hat als junges Mädchen während des Warschauer Ghettoaufstandes Nachrichten übermittelt. Sie hat mich sehr beeindruckt, auch weil sie eine scharfe Analyse über die gegenwärtige Situation hatte. Sie ist Unterstützerin der Friedensbewegung. Leider gehört sie zu einer aussterbenden Generation.

Zur Musik bist du erst in Amsterdam gekommen.

Das Problem war, dass ich in Amsterdam zwar politisch sehr engagiert war, mir ein jüdisches Umfeld aber gänzlich gefehlt hat. Ich hatte dort keine Familie, und in eine fremde Gemeinde wollte ich auch nicht einfach so gehen. Mir hat eine Antwort darauf gefehlt, wie ich gleichzeitig links und jüdisch sein kann. Und so bin ich schließlich auf dieses Liedgut gestoßen. Ich habe dabei auch viel gelernt, denn ich wusste bis dahin nicht, dass es eine säkulare, jüdisch-sozialistische und nicht-zionistische Bewegung gegeben hat, und mir war auch nicht bekannt, dass die russische Revolution besonders vom jüdischen Proletariat getragen wurde.
Und dann kam der Tag, an dem ich in einem besetzten Haus in Amsterdam mein erstes Konzert gegeben habe. Ich habe dafür ein Repertoire aus jiddischen Revolutions- und Widerstandsliedern zusammengestellt. Das war eine sehr schöne Erfahrung für mich.

Durch deine Musik ist dir also die Verbindung von jüdischer Identität mit linker Politik gelungen?

Ja, mit diesem Liedgut und dieser Geschichte; und so habe ich begonnen, auf Demonstrationen zu spielen und zu singen. Manchmal spontan bei Student_innenprotesten, dann wieder bei einer groß angelegten Blockadeaktion der Klimaschutzbewegung.
Einmal hat jemand zu mir gesagt, durch meine Musik entstehe das Gefühl, Teil von einem größeren Ganzen zu sein. Es knüpft eine Verbindung, wenn Menschen zum ersten Mal an einer politischen Aktion teilnehmen und dort erfahren, dass sie Teil von einer viel älteren Geschichte sind. Und es bedeutet auch Aufklärung. Aufgrund des Holocaust leben in Europa wenige Juden und Jüdinnen. Mir ist es ein Anliegen, den Menschen diesen Teil der jüdischen Kultur näherzubringen.

Zu manchen Liedern schreibst du eigene Texte.

Inspiriert dazu hat mich Daniel Kahn, der auch jiddische revolutionäre Musik macht und die Texte immer auf Englisch übersetzt. Das spricht einfach mehr Leute an. So habe ich den Arbetlose Marsch für die Donnerstagsdemo ins Deutsche übersetzt. Und das Nieder mit HC-Lied (im Original: Daloy politsey, ein Lied gegen den russischen Zaren, Anm.) habe ich zu diesem Anlass überhaupt neu vertextet.

Inwiefern fühlst du dich einer jüdischen Diaspora zugehörig?

Was ich mache, wird als Teil eines Judentums gesehen, das von manchen diasporistisch genannt wird. Gemeint ist damit alles, was außerhalb Israels stattfindet. Obwohl das eigentlich nicht ganz richtig ist, denn auch Israel gehört in gewisser Weise zur Diaspora. Juden und Jüdinnen lebten immer und leben nach wie vor auf der ganzen Welt verstreut, und es gibt viele verschiedene jüdische Kulturen.
Was mich sehr inspiriert hat, ist die Geschichte des jüdischen Arbeiter_innenbundes. Der Bund repräsentierte eine dritte Strömung neben den jüdischen Kommunist_innen und den sozialistischen Zionist_innen. Der Bund stand für ein selbstbewusstes Judentum, man sprach Jiddisch, und die Aktivist_innen des Bundes wollten den Sozialismus an dem Ort aufbauen, wo sie gerade lebten. Das jiddische Wort «Doikayt», was übersetzt so viel bedeutet wie «Daheit», war genau dieses Prinzip: Dort, wo wir leben, dort ist unser Land. Es braucht dafür keinen Nationalstaat, aber wir wollen unsere Rechte, um als Minderheit hier zu leben. Ich finde dieses Prinzip sehr schön, denn es ist eine kämpferische, antifaschistische Ansage: Wir wollen hier die Welt verbessern. In der Diaspora-Tradition des Bundes steht für mich in heutiger Zeit die Solidarität mit Geflüchteten genauso wie das Engagement gegen rechtsextreme Hetze und antimuslimischen Rassismus.

Was bedeutet es für dich, zu Hause zu sein?

Zu Hause fühle ich mich besonders in Wien, wo ich aufgewachsen bin. Ich habe Familie in New York, und obwohl ich nie dort gelebt habe, fühle ich mich auch dort sehr zu Hause. Es leben viele Juden und Jüdinnen in der Stadt, sodass es im Alltag einfach zum Leben dazugehört. Die jüdische Gemeinde ist vielfältig, man trifft auch Linke. Zur jüdischen Gemeinde in Wien, die ziemlich konservativ geprägt ist, habe ich hingegen eine gemischte Beziehung, manchmal ecke ich mit meiner politischen Einstellung und meinen Gefühlen gegenüber Israel an. Und obwohl mein letzter Aufenthalt sechs Jahre her ist, möchte ich wieder nach Israel. Ich hätte gerne einen Grund dafür, denn nur für einen Strandurlaub möchte ich ungern hinfahren. Nicht mehr der Zionismus, aber meine biografische Verbindung zieht mich heute nach Israel. Ich sehe Israel eben auch als eine Form der Diaspora, als einen Ort, an den Juden und Jüdinnen hingezogen sind und wo sie eine eigene Kultur aufgebaut haben.

Österreich ist ein sehr konservatives Land. Welche Perspektiven siehst du hier, deine Träume von einer besseren Welt zu verwirklichen?

Es stimmt, dass Österreich ein konservatives Land ist, aber ich glaube, im Moment sieht es nirgends auf der Welt besser aus. In diesem letzten Jahr der schwarz-blauen Regierung hat mich die Opposition auf der Straße bei den Donnerstagsdemos schon sehr beeindruckt. Und schon aus dem jiddischen Prinzip der «Doikayt» denke ich mir: Ich bin jetzt hier und muss hier versuchen, die Lebensumstände zu verbessern.

Konzert:
Isabel Frey & Gäste beim KlezMORE Festival
Sa, 16. November, 21 Uhr
Café Mocca, 18., Gersthofer Str. 2a
klezmore-vienna.at
www.isabelfrey.com