«Dort zuhause und hier zuhause»Artistin

Schriftsteller Samuel Mago im Gespräch

Die letzten 100 Jahre aus der Sicht der Roma. Diese Geschichte erzählt der Schriftsteller ­Samuel Mago mit seinem Bruder Mágó Károly im Kurzgeschichtenband Glücksmacher – e baxt romani. Über die Idee zu diesem Buch, seine vielen Identitäten und den ungebrochenen Antiziganismus in Österreich hat sich Cornelia Stahl mit Samuel Mago unterhalten.

Foto: Andrew Rinky

Im Alter von vier Jahren sind Sie mit Ihren Eltern von Budapest nach Wien übersiedelt. Können Sie sich daran noch erinnern? Was waren Ihre ersten Eindrücke?

Ich kann mich gut erinnern an das Spielen im nahe gelegenen Park. Aber meine Cousinen und Cousins, und mein Bruder an meiner Seite, haben mir gefehlt. Das tun sie heute noch! Ich gehe daher auch sehr gern nach Hause, nach Budapest zu meiner Familie. Auf Ungarisch gibt es für Zuhause zwei Worte. Dort zuhause und hier zuhause. Das ist sehr schön, wenn man zwei Heimaten hat, kann man immer auf die andere verweisen. Und ich sag’ immer: Ich bin hier zuhause, in Wien, und dort zuhause, in Budapest.

Sie engagieren sich im Romano ­Centro, sind Antiziganismustrainer und Schriftsteller. Wie würden Sie sich selbst definieren?

Das ist eine schwierige Frage. Was Idenitäten betrifft, habe ich sehr verschiedene in mir. Und ich glaube, dass jeder Mensch mehr als eine Idenität hat. Ich bin Europäer, bin Wiener und ich bin Pester, ich bin Rom, Mitglied der Volksgruppe der Roma. Und ich habe jüdische Wurzeln. Es gibt viele Städte, in denen ich mich zuhause fühle, zum Beispiel Barcelona.

1991 wurde das Romano Centro in Wien gegründet. Was hat sich seitdem in Österreich für Roma spürbar verbessert?

In den 1990er Jahren hatten wir Fälle, wo sehr viele Kinder in Sonderschulen abgeschoben wurden, nicht weil sie zu leistungsschwach waren, sondern weil sie der Volksgruppe der Roma angehörten. Seither gibt es im Romano Centro die Lernhilfe. Gedenkpolitisch hat sich einiges getan, zum Beispiel Orte in Wien, wie den Ceija-Stojka-Platz, der 2013 nach ihr benannt wurde. Aber wenn wir uns den Antiziganismus anschauen im Antiziganismusbericht, der alle zwei Jahre erscheint, sehen wir, wie stark Antiziganismus nach wie vor in Österreich vertreten ist, in den Medien, am Arbeitsplatz, in der Öffentlichkeit und im Bildungsbereich.

Worin sehen Sie die Ursachen dafür?

Es geht um ein Bild, das jahrhundertelang tradiert wurde, und es ist eine Herausforderung, dieses Denken aus den Köpfen der Menschen herauszubringen. Das sehe ich europaweit und weltweit. Wo Roma leben, existiert ein Bild von Zigeunern, das negativ ist und von Herrschern genährt wurde durch Pogrome. Das hatte Auswirkungen auf die Mehrheitsbevölkerung.

Wie entstand die Idee zu ihrem Buch Glücksmacher?

Für meinen Bruder und mich wurde das Glück schon gemacht. Mein Vater hat in Wien Musik studiert, und meine ganze Familie hat mit Musik immer gutes Geld verdient. Und das nützt uns jetzt, und hat uns Bildung und Wohlstand ermöglicht. Die Arbeitsplätze in der Musik sind weniger geworden. Und mit dreizehn Jahren habe ich beschlossen, ich werde Journalist. Deshalb ist das ­Schreiben so wichtig für mich.

Warum haben Sie das Buch gemeinsam mit Ihrem Bruder geschrieben?

Ich wollte das Buch gern mit meinem Bruder machen, weil er mich aufs ­Schreiben gebracht hat, weil er auch selber schreibt. Bisher wurde viel über Roma geschrieben. Wir wollten aus der Perspektive der Roma erzählen. Wir wollten einen Blick auf das letzte Jahrhundert werfen, auf die Geschichten der Roma, aus Sicht unserer Familie.

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