Dream Big! Ein Leben ohne Gewalttun & lassen

40 Jahre Frauenhäuser

Am 1. November 1978 bekam Wien sein erstes Frauenhaus. Heute finden misshandelte oder bedrohte Frauen und ihre Kinder an vier Standorten Schutz und Hilfe. Die Ausstellung «Am Anfang war ich sehr verliebt … » dokumentiert die 40-jährige Geschichte der Frauenhäuser in Österreich. Von Lisa Bolyos (Text und Foto).

Auf einem Aschenbecher steht: dream big. Den hat eine Mitarbeiterin des Frauenhauses gekauft, weil große Träume hier Programm sind – immerhin gilt es, dauerhaft aus einer Gewaltsituation auszubrechen und eine stabile Zukunft zu entwerfen. Für die Ausstellung «Am Anfang war ich sehr verliebt … 40 Jahre Wiener Frauenhäuser», die von 27. April bis 30. September im Volkskundemuseum Wien gezeigt wird, hat die Kuratorin Anne Wanner Objekte und Geschichten gesammelt, die vom Arbeits- und Lebensalltag im Frauenhaus erzählen. Aber auch die 40-jährige Geschichte der Frauenhäuser in Österreich wird hier dokumentiert und macht deutlich, wie sich die Debatte über Gewaltschutz entwickelt hat. Denn dass Österreich heute dreißig Frauenhäuser in neun Bundesländern hat, ist das Ergebnis feministischer Kämpfe mit harschem Gegenwind: Auch Hassbriefe an Johanna Dohnal sind in der Ausstellung zu sehen.

In Wien gibt’s so was nicht.

«Der Mann ist das Haupt der Familie. In dieser Eigenschaft steht ihm vorzüglich das Recht zu, das Hauswesen zu leiten; es liegt ihm aber auch die Verbindlichkeit ob, der Ehegattin nach seinem Vermögen den anständigen Unterhalt zu verschaffen, und sie in allen Vorfällen zu vertreten.» § 91 des Bürgerlichen Gesetzbuches aus dem Jahr 1811 behielt seine Gültigkeit knackige 165 Jahre lang. Im Jahr 1976 wurde er reformiert, da war Johanna Dohnal Staatssekretärin für allgemeine Frauenfragen im Kabinett Kreisky. Ehepartner_innen hatten ab nun die gleichen Rechte.

Anders wäre die Gründung des ersten Frauenhauses im Jahr 1978 auf legaler Grundlage wohl gar nicht möglich gewesen. Engagiert haben sich dafür nicht nur feministische Politikerinnen, sondern auch Studentinnen der Sozialakademie; allen Konflikten zwischen autonomer Frauenbewegung und institutionalisierter Politik zum Trotz haben sie sich dazu durchgerungen, an einem Strang zu ziehen. Immerhin ging es um einen bahnbrechend neuen Blick auf Gewaltschutz, den es gegen die herrschenden Zustände durchzusetzen galt. Und die herrschten auch innerhalb der SPÖ: Der amtierende Bürgermeister Leopold Gratz höchstpersönlich meinte zu wissen, dass in Wien keine Frauen geschlagen würden.

Am 1. November eröffnete das erste Frauenhaus – eine Altbauwohnung am Alsergrund – seine Türen und war noch vor der offiziellen Inbetriebnahme belegt. Schon 1980 bekam Wien sein zweites Frauenhaus.

Ein mutiger Schritt.

175 Plätze bieten die Wiener Frauenhäuser, 624 Frauen gemeinsam mit insgesamt 640 Kindern haben das Schutzangebot im letzten Jahr genützt. Abgewiesen wird keine. «Die Situation in Wien ist zufriedenstellend, wir haben einen unbefristeten Vertrag mit der Stadt», sagt Andrea Brem und fügt hinzu, dass so eine nachhaltige Absicherung für alle Frauenhäuser in Österreich dringend nötig wäre. Andrea Brem ist Geschäftsführerin des Vereins Wiener Frauenhäuser. Bereits als Teenagerin war ihr klar, sie würde sich frauenpolitisch engagieren: «Ich war schon mit 16 eine Feministin.» Nach der Ausbildung zur Sozialarbeiterin arbeitete sie im Frauenhaus und übernahm 2001 die Geschäftsführung.

Die Frauen, die in die vier Wiener Frauenhäuser oder zur anonymen Beratung kommen, haben körperliche, sexuelle oder psychische Gewalt erlebt. Manche schaffen es, sich nach sehr kurzer Zeit schon Unterstützung zu suchen, andere brauchen mehrere Jahre, um einen Weg aus der Gewaltbeziehung zu finden. «Manche Frauen fangen an, Dinge als normal zu akzeptieren, weil sie ihre Leben normal weiterführen müssen», so Brem. «Du kannst nicht immer im Ausnahmezustand sein.»

Die Gewalterfahrungen haben sich über die Jahrhunderte teilweise frappant wenig verändert. «Wir haben in der Ausstellung Scheidungsakten von 1816, in denen von Gewalt in der Beziehung gesprochen wird – und man muss sagen, manches ist trotz veränderter Rahmenbedingungen über 200 Jahren das Gleiche geblieben», erzählt Anne Wanner. Eine Frau habe damals unter anderem angegeben, dass sie von ihrem Mann viel zu wenig Geld bekomme, um sich ernähren zu können. Eine Gewalterfahrung, die Andrea Brem auch heute von ihren Klientinnen kennt: «Der Mann behält der Frau das nötige Geld für Essen vor, und sie muss darum betteln.» Dennoch hat sie den Eindruck, dass die Informationsarbeit ihre Wirkung zeigt und Frauen heute schneller ins Frauenhaus kämen. «Das ist natürlich ein wahnsinnig mutiger Schritt! Sie nehmen ihre Kinder, packen ein paar Sachen in ein Plastiksackerl und gehen an eine Adresse, ohne zu wissen, was sie dort vorfinden.»

Trennung ohne Mord.

In Medienberichten über Gewalt gegen Frauen hält sich hartnäckig die Rede vom «Eifersuchtsdrama». Zur Prävention von Gewalt trägt solche Berichterstattung nicht bei. «Man muss Gewalt gegen Frauen medial zum Thema machen», ist Andrea Brem überzeugt, «aber Schlagzeilen wie ‹Weil sie sich trennen wollte, brachte er sie um› sind Schwachsinn. Wenn jeder Mensch, der sich trennen will, umgebracht würde, würden wir die Weltbevölkerung ruckartig dezimieren.» Romeo Bisutti von der White-Ribbon-Kampagne teilt diese Einschätzung: «Nach dem Motiv zu fragen, ist uninteressant, es gibt genug Leute, die die gleichen Probleme haben und nicht zuschlagen. Die Frage ist, welche Form gewählt wird, um Bedürfnisse und Interessen auszudrücken – und ob diese Form gewalttätig ist. Das Grundprinzip männlicher Sozialisation ist: ‹Bevor du hilflos bist, hau wem eine rein›, und genau darüber sollte man berichten: mit welchen Männlichkeitsbildern Burschen aufwachsen, inwiefern ihnen das eine Gewalterlaubnis erteilt und was man dagegen tun kann.» Außerdem, findet Andrea Brem, müssen Betroffene selbst in den Medien zu Wort kommen. «Wenn Frauen an die Öffentlichkeit gehen wollen, muss das gut eingebettet und vorbereitet sein, aber wir müssen es möglich machen. Jeder Mensch mit egal welchem Problem hat das Recht, eine Stimme zu haben – und andere Betroffene werden damit viel besser erreicht.» Am 30. August wird es im Volkskundemuseum unter dem Titel «Frauenmorde als Schlagzeile» eine Veranstaltung über die mediale Darstellung von Gewalt gegen Frauen geben.

Und die birgt oft noch ein weiteres Problem: die Instrumentalisierung von Gewalt gegen Frauen, um rassistische Argumente zu stärken. «Wenn man ein Thema nur benützt, um die eigenen Interessen durchzusetzen, dient das der Sache nicht», sagt Romeo Bissuti in Referenz auf die Berichterstattung über Silvester in Köln. «Es wird behauptet, eine bestimmte Gruppe – sagen wir, Flüchtlinge – sei verantwortlich für die Gewalt gegen Frauen. Damit macht man unsichtbar, dass Gewalt von Männern gegen Frauen als Teil eines patriarchalen Machtverhältnisses ganz alltäglich in Beziehungen und Ex-Beziehungen gelebt wird. Ich zeige mit dem Finger auf andere, um von mir selber abzulenken.» Rassismus kann das Gewaltproblem aber auch verschärfen: Frauen, deren Aufenthaltsrecht qua Gesetzgebung an das ihres Ehemannes gebunden ist, haben es extrem schwer, sich über eine Trennung drüberzutrauen. «Das muss sofort entkoppelt werden», fordert Andrea Brem.

Gewaltfreiheit ist kostengünstig.

Mit der White-Ribbon-Kampagne positionieren Männer sich gegen Gewalt an Frauen. «Unser Hauptanliegen ist es, gewaltfreie Männlichkeitsbilder zu propagieren. Das ist der bewährteste Weg, um Männern eine erste Auseinandersetzung mit Männlichkeit zu ermöglichen», erklärt Romeo Bisutti, der ehrenamtlich als Obmann tätig ist. Genauso wie die Gewaltschutzarbeit setzt auch die Täterarbeit auf Prävention. «In erster Linie müssen wir Gewalttaten verhindern. Dazu gehört kritische Burschenarbeit genauso wie opferschutzorientierte Täterarbeit.» Männer, die nach einer Gewalttat mit einem Betretungsverbot der gemeinsamen Wohnung belegt werden, sollten zum Aufsuchen einer Männerberatungsstelle verpflichtet werden, meint Bissuti. Aber bei etwa 22 Wegweisungen pro Tag in Österreich erfordert begleitende Täterarbeit entsprechende Budgetmittel, und die werden nur beschränkt zur Verfügung gestellt. «Dabei gilt der Grundsatz, je weniger Gewalt, desto niedriger die Kosten. Würden wir einen Bruchteil der Kosten, die Polizei- und Rettungseinsätze, Krankenstände, Gerichtsprozesse und Haftzeiten verursachen, in die Prävention stecken, dann könnten wir auf der anderen Seite sehr viel einsparen.»

Wie kann eine Gesellschaft Gewalt gegen Frauen effektiv eindämmen? Eine Voraussetzung ist, Gewalterfahrungen ernst zu nehmen. «Wenn ein Gesetz gegen Gewalt beschlossen wird, kommen sofort die Stimmen, die laut schreien: Das werden die Frauen ausnützen!», sagt Andrea Brem, «obwohl die #MeToo-Debatte doch belegt, dass Frauen auf der ganzen Welt in allen Berufssparten belästigt werden. Man muss aufhören, an diesen Erfahrungen zu zweifeln.» Will man der Gewalt tatsächlich den Garaus machen, hilft aber nur eines: Gleichberechtigung. «Ganz ehrlich, solange es ein Machtgefälle gibt, gibt es auch Gewalt», ist Brem überzeugt. Gleichberechtigung heißt neben der rechtlichen Gleichstellung vor allem: die Arbeit gleich aufteilen – ja, auch die unbezahlte! –, das Einkommen gleich verteilen und die Posten ebenso. Erst dann ist eine Basis für die Unversehrtheit im familiären Zusammenleben geschaffen.

 

«Am Anfang war ich sehr verliebt …»

40 Jahre Wiener Frauenhäuser

ab 16 Jahren

Eröffnung: Do, 26. April, 19 Uhr

www.volkskundemuseum.at/frauenhaeuser