Drei Generationen Kaisermühlenvorstadt

Kommunale Bautätigkeit: das rote Wien und seine Bauten

Die Besiedelung des Landes, des Wassers und der Lüfte während der letzten 80 Jahre prägte die Donaustadt. Stadtflaneur Karl Weidinger (Text und Fotos) begab sich auf Spurensuche nach Transdanubien.

Die U1 oberhalb der Köpfe hat eine erhabene, keine unterirdische Position. Eine der ersten Linien, «die Rote», führt hierher. Genau vor 40 Jahren begann der Probebetrieb, 1978 wird offiziell eröffnet. Die Skyline der Jetztzeit ist leicht nebelverhangen, aber dennoch imposant. Der Start des Wien-Marathons ist hier, aber auch der Ort des Kaisermühlen Blues. Der Lauf-Event bringt inklusive Nebenbewerbe zehntausende Beine zusätzlich nach Transdanubien. Der Marathon führt seit 33 Jahren über die neue Reichsbrücke, die 1976 nach ihrem Einsturz wieder aufgerichtet werden musste. Das ist jetzt ein halbes Menschenleben her.

Nochmal dieselbe Anzahl an Jahren zurück: 1930 wird der Goethehof fertig. Vier Jahre danach toben im Februar 1934 heftige Kämpfe. Der Hof gerät unter Beschuss, sogar aus der Luft. Hier verteidigt der Schutzbund eine der letzten Bastionen, eine Hochburg der Sozialdemokratie. Aber auch ein Vorzeigekindergarten der Stadt Wien, nach der damals revolutionären Montessori-Pädagogik. Wiens soziale Bautätigkeit ist ein Erfolgsmodell für andere Städte, damals.

Am 1. Mai und am 26. Oktober marschiert die Blasmusik. Straßenbahner_innen ziehen mit klingendem Blech und tosendem Spiel durch die Höfe und rufen zum Tag der Arbeit und der Fahne. Die Zustände sind dramatisch. Die Zimmer-Küche-Wohnungen mit Fenster zum winzigen Lichthof, kaum größer als 20 Quadratmeter, 95 Prozent ohne Wasserleitung. Der «Zins» verschlingt den Lohn. Schlafburschen und Bettmädel zur Finanzierung der Miete sind die Regel, weniger als die Hälfte der Bevölkerung hat ein eigenes Bett.

1. Station: Der Goethehof in den 1930er-Jahren

Ab 1922 ist Wien ein eigenes Bundesland. Nach dem Ersten Weltkrieg wird die Sozialdemokratie bestimmende Kraft im Rathaus und legt den Grundstein fürs «Rote Wien». Gesundheit, Schule und Bildung stehen auf der Agenda. 1923 startet ein Bauprogramm, das menschenwürdige Wohnungen errichtet: hell, trocken, Wasser und WC drinnen. Als Gegenentwurf zu den krankmachenden Bassena-Wohnungen in den Mietskasernen. In der Zwischenkriegszeit entstehen 63.000 Wohnungen, in zwölf Jahren 348 Wohnanlagen.

An der Fassade des Goethehofs ist die Sonnenuhr mit Tierkreiszeichen-Keramik nur zu erahnen, ebenso wie das Metallrelief «Ewige Ernte». Alles unter Plane eingepackt, noch bis 2019. Der bestehende Wohnraum wird thermisch-energetisch saniert und mit Aufzügen aufgewertet, heißt es offiziell. Das sind 50 Stiegen und 681 Mietobjekte – für fünf Jahre unter Plane und für immer unter Denkmalschutz. Zu medialer Berühmtheit gelangt der Bau durch Ernst Hinterbergers «Kaisermühlen Blues».

Die Großkoalitionäre «Schoitl» und «Gneisser» gibt’s nicht mehr. Der grüne Abgeordnete Peter Pilz wohnt seit einem halben Menschenleben im Goethehof. Die Gemeindewohnung mit etwa 60 Quadratmeter hat er von seiner Großmutter geerbt. Der Bau ist sein Zuhause, sagt er, von der ÖVP lasse er sich von hier nicht vertreiben, sagt er. Der Gemeindebau lebt schließlich von der sozialen Durchmischung.

Die Innenhöfe sind als Park angelegt und zu Parkplätzen umgewidmet worden. Dazwischen freistehend der Kinderhort. Seit 2014 wird eine Sockelsanierung durchgeführt. Das Dach neu aufgesetzt, Fenster getauscht und Türen erneuert, Loggien abgedichtet und Balkone befestigt. Verglaste Aufzüge dürfen nicht fehlen, wie auch Penthäuser auf den Dächern – man gönnt sich ja sonst nichts. Überhaupt jetzt, wo das Geld so billig ist wie nie.

Josef Iraschko ist Bezirksrat für «Wien Anders» und Mietrechtsexperte. Das Selbsthilfe-Zentrum für Mieter_innen (MSZ) besteht auf Initiative der KPÖ seit 20 Jahren. Die «Kummerln» untergraben hier die Vorherrschaft des roten Rathaus-Wiens und knabbern die Wurzeln des «Wiener Wohnens» von linker Seite an. Kostenlose Beratungen finden jeweils donnerstags und freitags von 14 bis 18 Uhr statt. Die Sonne erbarmt sich, verdampft den Frühnebel aus der noch klammen Donaustadt. Die Hof-Rückseite führt zum Kaiserwasser an der Alten Donau. Die Skyline spiegelt sich im Wasser, das zufrieren möchte. Der «goldene Oktober» im Spätherbst zeigt, was er noch drauf hat. Und gegenüber?

 

2. Station: Die UNO-City, das Vienna International Center um 1970

Das Vienna International Center wird 1979 eröffnet und für einen symbolischen Schilling (etwa sieben Cent) an die UNO auf 99 Jahre vermietet, also bis 2078. Die sechs Bürotürme bilden ein Ypsilon um ein zentrales Rundgebäude. Der Bau beschattet sich so wenig wie möglich gegenseitig. Wie damals üblich, wird auch viel Asbest verbaut – inzwischen aufwändig saniert. Die Geschoßfläche trägt eine Viertelmillion Quadratmeter und 4000 Arbeitsplätze. Der höchste Turm weist 28 Etagen auf 120 Metern auf.

Nach der Planungsphase ist der Österreicher unter den Architektur-Teams nur der viertgereihte. Dennoch entscheidet sich die SPÖ-Minderheitsregierung unter Kanzler Kreisky 1970 für genau dieses Projekt. Die ÖVP-Opposition schäumt und erzwingt einen U-Ausschuss, was an der Entscheidung aber nichts ändert.

Direkt angebaut wird von 1983 bis 1987 das Austria Center. Es ist Österreichs größtes Kongresszentrum und geht als «Kreisky-Bunker» in den spöttischen Volksmund ein. Die logische Adresse: Bruno-Kreisky-Platz 1.

Um den Bau gibt es heftige politische Auseinandersetzungen. Die ÖVP startet 1982 das erfolgreichste Volksbegehren und bekommt 1.361.562 Unterschriften. Für nix! Gebaut wird trotzdem. So viel Mut würde man sich heute, in den Zeiten von PPP, von den Genoss_innen wünschen.

Die erste Hochhausstudie legt 1991 die städtebaulichen Leitlinien für über 250 Hochhäuser mit mehr als 35 Metern Bauhöhe in Wien fest. Harry Seidler plant das 33-stöckige Wohnhaus «Neue Donau» mit weißer Aluminiumfassade und einer Höhe von 120 Metern, die aufgesetzte Betonskulptur macht noch 30 Meter dazu. Das symbolische Segel steht für den immer wehenden Wind der Veränderung hier.

 

3. Station: Donauplatte und PPP zur Jahrtausendwende

Die Nebel haben sich verzogen. Der Wind frischt auf. Es wird klarer, aber auch kälter. Weiter auf der Donauplatte. Der Andromeda-Tower wächst 1996 nach Plänen von Wilhelm Holzbauer als erstes Gebäude im neu entworfenen Stadtteil. Als Bauträger fungiert die Wiener Entwicklungsgesellschaft für den Donauraum AG (WED), die den Turm nach Fertigstellung für 57 Millionen Euro verscherbelt.

Sicherheitshalber keine Natur mehr ringsum. Nur freie Fläche, leicht zu säubern und zu verteidigen. Kein einladender öffentlicher Raum, der zum Verweilen verführt – ganz im Gegenteil: schnell durch, und eiligen Schrittes über den Platz.

Resümee bis hierher? Die Gemeindebauwohnungen waren groß und luxuriös ausgestattet, seinerzeit. Vor allem waren sie erschwinglich und leistbar. Der Mietzins betrug nur etwa vier Prozent eines Arbeits-Einkommens. Die Mieteinnahmen finanzierten nur etwa ein Zwölftel der tatsächlichen Baukosten. Die Wohnungsvergabe war ein wirksames politisches Instrument. Die kommunalen Einrichtungen wie Bibliothek, Tröpferlbad, Montessori-Kindergarten und natürlich die Parteilokale waren volksnah und modern.

Ein Viertel des Lebensaufwandes soll für Wohnkosten aufgehen. Dieser Wert wird inzwischen von beiden Seiten heftig in die Zange genommen. Ein beträchtlicher Teil zahlt die Hälfte (und mehr) seines Einkommens für Prestigebauten, der andere Teil hängt – ganz wie früher – am Sozialtropf und muss von Transferleistungen leben. Das ist gleich geblieben, aber was hat sich verändert?

Mitte der 1980er-Jahre beginnt der öffentliche Sektor sich nach privatem Kapital für kommunale Projekte umzusehen. Der 3. Weg der Sozialdemokratie (Schröder-Blair-Kurs) verleitet zum Spekulantentum und führt zielsicher ins Reich der Heuschrecken. Die öffentliche Hand erwartet von der Partnerschaft mit der privaten Wirtschaft die Entlastung des angespannten Haushalts. Eine öffentlich-private Partnerschaft firmiert als «Public-private partnership» (PPP).

Das Konzept ist simpel: Die öffentliche Hand lässt sich ihre Projekte von privater Seite bauen und betreiben, wofür sie entsprechend bezahlt. Die Nachteile sind eingeschränkte Mitsprache, fehlende Flexibilität und Erpressbarkeit durch die auf Gewinn spekulierenden Bauträger. Diese Konstruktion verteuert jedes Projekt erheblich, ein Drittel an Mehrkosten wird eingebaut, Kostenexplosion die Norm. Das pfeifen die Spatzen von den Dächern. Der Wind trägt es hinaus über die transdanubische Donaustadt bis zur gerade neu entstehenden Seestadt Aspern, wo auch der Wind immer weht, aber gerade erst angefangen hat, so richtig heftig zu blasen.

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