Drin is a ned bessa ois wia drausdArtistin

"Gangster Girls" - ein Kinofilm hilft, eine versiegte Debatte wiederzubeleben

Gangstergirls2.jpgFilmpräsentation im Kino am Spittelberg. Das graue Haus in der Schwarzau ist bunt maskiert, und die Masken tun ihr Werk. Sie verhüllen und enthüllen zugleich, verbergen Gesichter, entlarven unsinnige Zwänge zur angeblichen Besserung, machen Personen unkenntlich und Schicksale sichtbar. Siebzig Minuten lang, Szene auf Szene, spielen die Gefängnisfrauen sich selbst in der Glitzerschminke außerirdischer Feen. Tragik im Prunkkleid wirkt unbeschwert und das Publikum lacht. Wir lachen. Wir lassen uns vom Film demaskieren, und das ist wahrscheinlich eines der größten Komplimente, die sich ein dramaturgisches Konstrukt verdienen kann.

Das Licht geht an, man drängt aus dem Saal, entflieht dem verklungenen eigenen Lachen, das man jetzt hinterfragen muss. Jeder für sich. Oder man entflieht der Frage, jedenfalls fürs erste, füllt die Pause vor der Diskussion mit Buffetbesuch und Zigarette. Und dann zurück in den Saal, und diesmal geht das Licht nicht aus, und man bleibt füreinander sichtbar und konzentriert sich auf das Podium, wo eine der bunt maskierten Frauen von der Leinwand gerutscht ist und leibhaftig vor einem sitzt. Und es ist genau die Person, bei deren Filmauftritten wir gelacht haben, die Darstellerin Sammy Kovac. Dieselbe Maskierung, dasselbe entwaffnend natürliche Auftreten wie auf der Leinwand, nur auf Menschengröße geschrumpft. Warum haben wir bei ihren Auftritten gelacht? Warum lachen wir jetzt wieder? Wenn sie über die Gefängnistragik spricht, klingt es fast wie: Im G’fängnis is a ned bessa ois wia herausd, was sollst d‘ mach’n? Sie arrangiert sich mit einer Realität, die wir anscheinend in hilfloser Vergeblichkeit zu verändern suchen, und macht uns über diese, unsere Hilflosigkeit lachen. Wir, das sind die Gefängnis wahrnehmenden Leute im Saal und die mutigen AkteurInnen auf dem Podium,

Ich kann mir eine gefängnisfreie Gesellschaft vorstellen! Matthias Geist, der Linksaußen auf dem 7 Frau/Mann starken Podium, Gefängnisseelsorger und unermüdlicher Kämpfer für eine Humanisierung des Strafvollzugs, bringt ein Kernproblem auf den Punkt. Wir alle hier im Saal haben den Wunsch nach der gefängnisfreien Gesellschaft. Die konkrete Vision ihrer Verwirklichung ist Mangelware. Der Fernseher spuckt das täglich aus. Frauenknast und ähnliche Serien bedienen sadistisches Mitleid und nackten Sadismus. Das muss irgendwie schön sein, viel schöner als eine Welt, in der wir alle miteinander füreinander verantwortlich sind. Jedenfalls kann ich mich nicht erinnern, irgendwann schon einen Streifen über eine funktionierende gefängnisfreie Gesellschaft gesehen zu haben. Niemand fragt danach. Was ist los mit uns? Haben wir solche Furcht davor, unser Wunsch nach Gefängnisfreiheit könnte Realität werden, dass wir sie nicht einmal als Utopie entwerfen wollen?

Gefängnisse werden also noch viele Generationen hindurch Realität bleiben. Aber machen wir wenigstens ganz kleine Schritte in die gewünschte Richtung? Ich will es an einem Beispiel erfahren, über das ich in gekürzter Form im Saal berichte, um eine daran geknüpfte Frage an den anwesenden Vertreter von Neustart zu richten.

Böse Überraschungen nach der Haftentlassung

Das Erlebnis ist zehn Jahre alt. Eine junge, allein erziehende Mutter kommt ins Gefängnis, weil sie den Straftäter liebt und ihn deckt, lieber die Schuld der Mitwisser- und Mittäterschaft auf sich nimmt, als ihn zu belasten. Ihre beiden kleinen Kinder kommen in ein Heim. Im Gefängnis gibt es nur ab und zu Arbeit. Wenn es welche gibt, bekommt sie dafür 14 Schilling, 7 davon darf sie ausgeben, 7 werden angespart für die Entlassung. Sie hat Glück und ihre Zähne bleiben so weit gesund, dass sie keinen Zahnersatz braucht, den müsste sie nämlich von dieser angesparten Rücklage zum Privattarif (!) bezahlen. Die Rücklage am Ende der Haftzeit reicht für die Vorauszahlung der Untermiete für ein halbes Zimmer, einen Lebensraum zwischen einem Holzschrank und einem Stück Wand. Die erste Post, die ihr ins Haus flattert, ist die Alimentationsforderung des Jugendamts. Vier Jahre Heimaufenthalt für zwei Kinder, all inclusive, werden in Rechnung gestellt. Die Kinder darf sie nur stundenweise sehen. Um sie wiederzubekommen, muss sie eine entsprechend große, solide Wohnung erwerben und einen gut bezahlten, sicheren Job nachweisen. Wie sie dazu kommen soll, sagt man ihr nicht. Bis sie das geschafft hat, wachsen die Alimentationsforderungen an sie täglich weiter an. Ich habe diese Unglücksrabin aus den Augen verloren, weiß nicht, ob sie ihr Problem lösen konnte, und wenn, fürchtet sich alles in mir davor zu wissen, wie.

Meine Frage an Thomas Neuwirt: Sind die Voraussetzungen für solche Fälle heute noch genau so? Die Antwort des Neustart-Vertreters ist ja. Und: Der Gesetzgeber schützt damit die Kinder, was er dann in finanziellen Termini ein bisschen ausführt. Im Übrigen hätte er sagen müssen, dass sich die Voraussetzungen sogar verschlechtert haben. Der Stundensatz für die Rücklage beträgt jetzt ca 50 Cent. Das entspricht der halben Kaufkraft der damaligen 7 Schilling. Ich kann nichts mehr darauf sagen, den weiteren Gesprächen kaum noch folgen. Was treibt der Gesetzgeber da? Schützt er brave Bürger davor, zu Zuhältern zu werden, indem er stellvertretend eine Art Zuhälterei betreibt? Diesen Gedanken nicht weiter auszuführen, ist vielleicht mehr Denkanstoß als umgekehrt. Deshalb: nichts mehr! Nur noch: Danke, Tina, dir und deinen Mitschaffenden, für diesen Film, für euren Mut und euer Talent, Steinchen aus den unendlich dicken grauen Verständigungsmauern zu brechen, Diskussionen in Gang zu setzen, Argumente zu liefern, die Chance des kurzen Tauwetterchens unter der Justizministerin Berger für diese Doku genutzt zu haben, …, …., … Danke!

Info:

Augustin-Empfehlung: Wer Tina Leischs Film, der seit 27. März im Stadtkino am Schwarzenbergpatz läuft, sehen will, ist mit dem Termin 10. April (Karfreitag) gut bedient: Am 19.30 Uhr beginnt die Filmvorführung, ab ca. 21 Uhr stellt der Augustin unter dem Titel Kasfrei nicht nur am Kasfreitag! sein Anti-Häfn-Manifest vor, und der Einbrecherkönig W. Stummer erzählt Anekdoten, die auch nicht gerade eine Werbung für das Gefängnis darstellen.