Drinking Club with a Running Problemvorstadt

Kleiderschrank ausgemistet, einen Stapel Leiberl wiederentdeckt. Bunt und fröhlich bedruckt, manche mit zweideutigem Inhalt: meine alten Hash-Leiberl! Fotoalbum geholt und im selben Moment versunken in eine andere Welt. Text: Christa Neubauer, Fotos: Nina Thiel

Es war im Sommer 1992, als ich meinen Cousin auf Java, Indonesien, besuchte, wohin er beruflich entsandt worden war. Eines Tages holte er seine Sportsachen hervor – mit einem knallbunten Leiberl, das ich ihm gar nicht zugetraut hätte – und verkündete: Heute gehen wir laufen.
Ich hatte keine Sportsachen mit, wozu auch, und kriegte von ihm bunte Kleidung. Laufschuhe besaß ich damals wie heute nicht und zog meine Espadrillos an. Eine der mitmachenden Damen hatte mir sowieso versichert: It’s just a short and comfortable walk.
Kurze Spaziergänge sind es vielleicht sonst, aber der Central Java Run, veranstaltet von den Cilacap Hash House Harriers (HHH), an dem ich da unvermutet teilnahm, war schon eine größere Veranstaltung. Hunderte Indonesier_innen und Expats trafen sich an einem Sonntagmorgen am Rand des Regenwalds, alle bunt gekleidet wie wir. Einige waren bereits kräftig am Vorglühen. Es wurden Lieder gesungen, die ich nicht verstand, Bier, Cola und Eisblöcke begutachtet und Kontakte geknüpft.
In der Folge – OnOn! – rannten einige und spazierten viele durch den Regenwald, über ein Sumpfstück (wo ich meine Espandrillos zwanglos der Natur übergab und barfuß weitermachen musste), über einen schwarzen Sandstrand mit Millionen von kleinen Krabben und zum Abschluss über gefühlt hundert hohe Steinstufen hinauf zurück zum Ausgangspunkt. Wo waren wir eigentlich bergab gelaufen?
Am Ende bildeten wir einen großen Kreis, der Hergang des Laufs wurde vom Präsident der Cilacap HHH zusammengefasst, und einige kriegten für ein Fehlverhalten ein Down-Down: unter dem Motto «It‘s either in you or on you» (= entweder in dir oder an dir) bekamen die Betreffenden eine Flasche Bier in die Hand gedrückt und mussten damit zurechtkommen. Für gröbere Vergehen gab es die Verschärfung «on ice»: Der oder die Hasher saß während des Trinkens beziehungsweise Verschüttens auf einem Eisblock. Menschen, die den Fehler begangen hatten, mit neuen Schuhen zu kommen, tranken das Bier aus ihrem Schuh. Derweil wurde jeweils ein Hash-Song gesungen. Meist ein unanständiger, wie ich mittlerweile heraushörte. Geahndet wurden unter anderem «Short Cut, «Pissing in the Woodside», «New Shoes» und, erstmals in Cilacap, «Lost her Shoes». Aber wenigstens durfte ich statt des Biers die Limonade wählen, auch der Eisblock blieb mir erspart.
Ich stand wörtlich wie metaphorisch daneben und war ordentlich grantig auf meinen Cousin: mich in meinem Urlaub solcher Unbill auszusetzen! Auf der Heimfahrt erklärte er mir das Prinzip.

Eine Art Orientierungslauf.

Jemand legt, mit Papierschnitzel, Mehl oder Kalk, eine Strecke aus und bekommt mehr oder weniger Vorsprung; die anderen versuchen, ihn oder sie zu erwischen. Um Zeit zu gewinnen, werden zwischendurch bei Wegkreuzungen falsche Fährten gelegt, so dass sich die Gruppe teilen muss, um den richtigen Weg zu suchen. Der Schlachtruf OnOn! zeigt akustisch an, wo es weitergeht. Verlorengegangene Teile der Gruppe werden – im Normalfall – gesucht. Nach dem Lauf lässt der Chef der Truppe den Lauf Revue passieren … ja, eh.
Hash House Harriers gibt es in etlichen Städten. Die wöchentlichen Runs werden penibel dokumentiert. Bei runden Zahlen gibt es größere Veranstaltungen, zu denen die gesamte Community eingeladen wird. Wer zufällig vor Ort ist, macht mit. Viele reisen zu solchen Special Events auch extra an. Während es auf anderen Kontinenten immer wieder Sponsoren gibt (meist aus der Bier- und Textilindustrie), finanzieren die Hasher in Europa ihre Runs samt den anschließenden geselligen Runden – On-After – meist selbst.
In den folgenden Jahren habe ich an etlichen Runs teilgenommen und war auf Bali (Panindonesia Run, Bali 1000) und später in Wien unterwegs, aber auch in Bratislava (Inauguration Run, also Gründungslauf) und München (weiß der Kuckuck, warum).
Ich rannte an Reisfeldern vorbei und durch Innenstädte, fuhr mit der U-Bahn, hantelte mich durch einen hüfthohen Bach und kletterte den Kahlenberg hinunter, pflügte über Wiesen und durch Weingärten. Nachher schüttete ich mich mit Bier voll und sang die Hash-Songs mit. Fast hätte ich sogar einen Hash-Name bekommen – der von der Gruppe immer liebevoll und passend ausgewählt wird, wie z. B. Gillette oder Ice Queen, aber auch Mother Trucker oder Marie Tamponette, aber dann ging es gesundheitlich bergab und ich hörte zu laufen auf.

Alte Schuhe und Stirnlampe.

Was die wohl heute machen, die Hasher, frage ich mich, mitten in Leiberln und Fotos. Ich erzähle Nina von der Sache. Der nächste Run ist der Full Moon Hash #233, der noch dazu an einem Freitag, dem Dreizehnten stattfindet. Was soll also schiefgehen? Nina überwindet ihre Skepsis, und eines Abends marschieren wir zum Treffpunkt, den mir die Website der örtlichen Hash House Harriers verraten hat. Nina hat sicherheitshalber ihre alten Schuhe angezogen und außer ihrer Kamera auch eine Stirnlampe mit.
Weil die Hasher immer noch die bunten Leiberl tragen, sind sie für Eingeweihte leicht zu erkennen. Die Gruppe ist klein, aber fein; etwa zur Hälfte Österreicher_innen und Expats – die aber zum Teil schon viele Jahre in Wien leben.
Begeistert sind die Hasher nicht, dass sie in die Presse kommen sollen. Fotografiert werden wollen einige schon überhaupt nicht. Sie wollen noch drüber nachdenken und diskutieren. Persönlich sind sie uns gegenüber äußerst wohlwollend, nachdem ich mich durch Schilderungen aus meiner Hash-Vergangenheit qualifiziert habe. Kurz darauf übersteht Nina – OnOn! – ihren ersten, also ihren Virgin Hash, samt Down-Down (Verschärfung «stiff arm») und On-After in Simmering.
Was sich in den letzten zwanzig Jahren verändert hat, frage ich noch. Zwei Hasher lachen: Früher hatten die Leute keine Mobiltelefone! Sonst ist ziemlich alles beim Alten.
Weil die Down-Downs manchmal in durchaus belebten Gegenden stattfinden und es dabei hoch hergehen kann, ist in der Vergangenheit, selten aber doch, auch die Polizei aufgetaucht. Vom Kopfschütteln und den rüden Bemerkungen der Passant_innen einmal ganz abgesehen.
Deshalb und überhaupt bleiben die Ha­sher lieber unter sich. Neugierige Menschen mit einer Portion Sensationsgier sind nicht gerne gesehen. Mehr hält man von persönlichen Empfehlungen. 

 

Die Geschichte des Hash

Der Hash in seiner heutigen Form wurde aus den traditionellen Fuchsjagden entwickelt: Menschen ersetzten Jäger und Gejagte. Als «Fährte» wurden Papierschnitzel verwendet. Diese Sportart gab es lange vor dem Hash.
Im Jahr 1938 versammelte der im heutigen Malaysia lebende Engländer Albert Gispert eine Gruppe von «Expats», also im Ausland lebenden Menschen der westlichen Welt, und führte seine ersten Runs durch. Hash House Harriers nannte sich die Gruppe nach einem Club mit glanzlosem Essen, dem sie den Spitznamen «The Hash House» verpasst hatten (hash = Faschiertes).
Langsam und nach Rückschlägen durch den 2. Weltkrieg verbreitete sich die Idee über den Globus. In den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts waren es einige hundert Hashes, heute gibt es über 1.300 aktive Gruppen in kleineren und größeren Städten. Der Wiener Hash wurde 1982 gegründet und ist damit zumindest einer der ältesten in Europa.
Der Hare oder die Hares legen die Strecke aus und setzen die Markierungen, die Harriers «jagen» ihnen nach. Während einige Hashes die Jagd hochhalten und den Hares nur wenige Minuten Vorsprung geben, haben andere einen eher sozialen Schwerpunkt.