Drunt in der grean (Lob)Au*Dichter Innenteil

«Es gibt fast nichts, was man nicht auch ohne Kleider tun könnte. Und nichts, das nicht tatsächlich nackt getan wird. Vom Reiten übers Radfahren bis zum Gärtnern und sogar Schneeschuhwandern.»

Freizeit-Kurier, 20. Woche 2014

Foto: H. Bogenreiter

So oft ausgemalt, aber mal ehrlich: Kann going up the country nackt generell lustvoll sein? Was ist daran so ergötzlich, nackt Rad zu fahren (um sich den Hintern wund zu scheuern) oder auf Berge zu steigen (um im Sommer dabei Gefahr zu laufen, dass sich hinter dem Rucksack ein Schweißfilm bildet und sich das Verflüssigte seinen Weg nach unten bahnt)? Und kalte Schauer stellen sich bei der Betrachtung eines Mannes ein, der nackig bei Eis und Schnee am Mount Snowdon herumturnt (googlebar).

Jedoch: Wenn der Sommer nicht mehr weit ist, steigt die Lust nach Entblätterung rapid an, vor allem wenn de Hitzn mia ins Gnack fahrt wia a Pracker. Meinrat wollte schon längst ein Loblied auf die Lobau singen, wo man nicht nur die Seele baumeln lassen kann: Wo sonst gibt es in einer Millionenstadt eine einzigartige Naturlandschaft mit Gewässern, die bei etwas Fantasie im Sommer wie Seitenarme des Amazonas oder Kongo anmuten, daher ist die «greane Au» auch ein sehr passendes Ambiente, um z. B. das Herz der Finsternis zu lesen, das einen gefangennimmt, nicht mehr loslässt, weil so viel Schreckliches (wo so vielen die Hände abgehackt wurden, weil ihre Arbeitsleistung nicht den Wünschen der Sklaventreiber entsprach) kaum zu ertragen ist, aber gleichzeitig so viele Grausamkeiten und Mechanismen der Ausbeutung aktueller denn je sind. Im Gegensatz zu tropischen Flusslandschaften hat die Lobau darüber hinaus weitere unschätzbare Vorteile: keine giftigen Schlangen, Spinnen, Skorpione, blutsaugende Egel an Land, keine Krokodile und nach Blut lechzende Piranhas im Wasser, sondern dicke, gemütliche Karpfen, keine malariaverseuchten Mosquitos in der oft durchaus tropisch-warmen Luft. Und die Gelsenplage ist auch längst Vergangenheit – wurde da etwa eine chemische Keule geschwungen? Bleiben als einzige, nicht allzu große Gefahrenquelle bissige Schwäne, die so ihre Nachkommen mit Vehemenz verteidigen.

Friedlich-neugierig

Als eines schönen Tages in der Dechantlacke ein Schwan auf Meinrat zusteuerte, machte er allerdings einen sehr friedlich-neugierigen Eindruck, und Meinrat bannte ihn in seine digitale Kamera. Der Schwan verlor rasch das Interesse, diesen am Ufer ausgebreiteten blanken und bleichen Körper länger in Augenschein zu nehmen, glitt wieder lautlos davon, und so widmete sich Meinrat seinem Buch. Du lieber Schwan, da hatte er sich getäuscht: Er entpuppte sich als kleiner Spion, der zurückkehrte, die Unaufmerksamkeit von Meinrat beinhart ausnützte und ihm exakt in die linke große Zehe biss, die damals eine Blaumeise zierte. Meinrat schreckte hoch, aber es überwog nicht der Schmerz, sondern der Respekt vor der Hinterlist dieses so majestätischen und frechen Geschöpfes. Andererseits: Wenn zu bedenken wäre, dass so eine Landschaft für einen Massenansturm nicht geeignet ist, warnt Meinrat, im wahrsten Sinne seines Namens, furchtsame Menschen vor den schwanenden Schrecken im Herzen der dunklen, unheimlichen und wilden Lobau.

Es soll jedoch kein Geheimnis bleiben, dass es dort genügend Räume gibt, wo sich Menschen auf ganz und gar natürliche Weise näherkommen können. Und dann breit ich mich einfach aus in ihr – das Meinrat beim erstmaligen Hören etwas irreführend verstand, aber später umso passender für zwei Liebende, wenn der Wunsch hochsteigt, sich sehr nahe zu kommen, was Konstantin so wunderbar beschreibt. Komm, mein Lieb, wir lassen uns den Fluss hinuntertreiben, legen alles ab, was uns beengt. Dem Erstarkten konnte das kühle Bad nichts anhaben. Raus aus dem Wasser, war die Lust jedoch augenblicklich vergangen, abgehangen, gleichzeitig stieg der Ärger hoch, als Meinrat gewahr wurde, dass sich in der Nähe des auserkorenen Liegeplatzes ein Paar mit einem Kind niedergelassen hatte. Warum passiert ausgerechnet ihm so was? Unerbittlich drangen sie an sein Ohr, röchelnde Grunzlaute, wiederkehrend, offensichtlich einem exakten Zeitplan folgend. Ein Blick auf den großen, so stark gehandicapten Burschen genügte, und Meinrat fühlte, wie die Scham über seine hedonistischen, egozentrischen und lustvollen Erwartungen hochschoss. Hatte er sich nicht echauffiert, das endlose, seitenlange Lamento der portugiesischen Kolonialherrin Henrigueta so erbärmlich empfunden, die so sehr mit ihrem Schicksal, das ihr ein unbarmherziger Gott auferlegte, haderte, das sie in die brasilianischen Tropen verschlug, um dort alle nur möglichen Unbilden ertragen zu müssen, wobei der Gipfel der schier unerträglichen Belastung von ungeschickten und undankbaren Sklavinnen gebildet wurde.

Wenige Sekunden

Wer führt Regie im Weltenlauf, in den Stunden der Geburt eines Menschenlebens, wie oft hängt der weitere Lebensweg eines solchen Wesens von wenigen Sekunden ab, in denen entschieden wird, ob es gesund oder eben schwer beeinträchtigt sein Dasein auf dieser Welt fristet? Im besten Fall wird es allzu oft als Selbstverständlichkeit gesehen, im anderen Fall bedeutet es für die Eltern eine lebenslange Bürde. Schlussendlich erinnert sich Meinrat auch daran, wie schwer die Geburt seines Sohnes vonstattenging, Stunde um Stunde verrann, bevor er herausschlüpfte, seinen Kopf hob und neugierig rundum blickte. In einem pränatalen Traum Meinrats krabbelte er gleich flink davon. Real setzte er jedenfalls zeitgerecht all die Entwicklungsschritte, die Eltern erwarten. Demütig musste er sich eingestehen, dass es absolut im Bereich des Möglichen lag, wenn der Sohn wenige Minuten oder sogar einige Sekunden später gehandicapt ins Leben getreten wäre.

*«Drunt in der greana Au» ist ein bekanntes Volkslied, das unverfänglich mit «steht a Birnbam, sche blau» beginnt, aber in den letzten Strophen eindeutig in erotische Gefilde abdriftet «Wer liegt in dem Betterl? / A wunderschens Maderl. / Wer liegt bei dem Maderl? / A wunderschenes Buaberl»: Diesbezüglich darf angenommen werden, dass solche Traditionen dort bis dato gepflegt werden.

Musikalisches und literarisches Zubehör (im Text kursiv, in chronologischer Reihenfolge):

«Going up the country» von Canned Heat, empfehlenswert das Cover von Kitty, Daisy & Lewis / «Wenn der Sommer nicht mehr weit ist», zeitlos schönes Erwartungslied von Konstantin Wecker / Aus «A Zigeina mecht I sein» von André Heller / «Das Herz der Finsternis», Roman von Joseph Conrad / «Du kleiner Spion» von Minisex / aus «Liebeslied» von Konstantin Wecker / aus «Liebeslied im alten Stil» von Konstantin Wecker / Figur aus dem Roman «Brasilien, Brasilien» von João Ubaldo Ribeiro