Du bist ab heute nicht mehr der Mayr…Dichter Innenteil

Aus der Niederschrift des Gefangenen Franz Schmidt (2)

Es sind meine 21. Weihnachten, die ich unverschuldet im Gefängnis und ohne Familie verbringen muss. Diese Tage sind die furchtbarsten im ganzen Jahr, denn Weihnachten ist das Fest der Familie.

Dieser Satz des Franz Schmidt erreichte uns am 11. Dezember 2005. Er hat uns gebeten, den Satz dem nächsten Auszug aus seinen Memoiren voranzustellen.

Zur Erinnerung an den Beginn dieser Serie: Der Autor wird 1931 als einjähriges Kind dem Bürgermeister einer fünf Bauernhöfe zählenden Gemeinde auf den Tisch gelegt. Seine Mutter, die wegen ihres Fehltritts die Arbeit verloren hat, kann ihn nicht mehr ernähren. Nimm das Kind wieder mit ich werde mit meinen Amtskollegen reden und wir werden für das Würmerl einen Platz finden.

Franz Schmidt erzählt die Jahre ohne größeres Aufsehen und deren Ende. Gegen den Widerstand aller fünf Bauern wird dem Ort Röth ein Gemeindekind aufgebürdet. Die Jahre 1931 und 1932 verbringt das Würmerl jeweils zwei Monate auf einem der Höfe bei unterschiedlicher Pflege und Akzeptanz.

Am Heiligen Abend des Jahres 1932 kam urplötzlich meine Mutter, die ich die letzten zwei Jahre nicht mehr gesehen hatte, (Sie hatte nachdem ich bei den verschiedenen Bauern untergebracht wurde, in der Steiermark wieder Arbeit gefunden) zu mir und sagte: Wir Zwei gehen jetzt wo hin, wo Du für immer bleiben kannst, vielleicht für immer!

Sie nahm mich kurzerhand auf den Arm und wir stapften im tiefen Schnee los zu dem Platz wo ich mein weiteres Leben verbringen sollte.

Meine Mutter hat mir nie erzählt, wie sie zu diesem Platz gekommen ist. Ich sollte Sie an diesem 24. Dezember 1932, Heiliger Abend, 23 Jahre lang zum Letzten mal zu Gesicht bekommen haben.

Ich wurde in die Ortschaft, bestehend aus 4 Häusern, alles Kleinbauern, gebracht und einem älteren Ehepaar, die von nun an meine Zieheltern und kinderlos waren, anvertraut.

Diese Übergabe hat er in recht bitterer Erinnerung.

Beim Nachbarn Spiel hatte am Vortag des Heiligen Abends eine Kuh gekalbt und die Spielkinder wollten mir das Kalberl zeigen. Wir gingen in den Stall das Kalberl anschauen und in dieser Zeit haben sie meine Mutter weggeschickt, ich sollte sie 23 Jahre nicht mehr sehen. Als wir Kinder in die Stube zurückkamen, fragte ich wo meine Mama ist? Sie logen mich an und sagten mir, Sie kommt gleich wieder! Aber sie kam nicht wieder 23 Jahre lang.

Als mich meine zukünftigen Zieheltern ins Tischlerhaus [Anm.: so heißt der Hof des Ehepaars Schmidt] zurückführten, sah ich meine Mutter noch in Richtung Gesslingen mit der Schürze vor dem Gesicht, sie weinte, laufen. Ich schrie! Mama, Mama und lief hinterher, aber sie fingen mich wieder ein und sagten mir, dass sie von nun an mein Vater und meine Mutter sind.

Ich aber sagte: Du bist nicht mein Vater und Du bist nicht meine Mutter. Doch sagten sie! Du bist ab heute nicht mehr der Mayr Franzl, sondern der Schmidt Franzl. Ich aber sagte, ich kenne keinen Schmidt Franzl ich bin der Franzl!

Ich wollte noch immer hinter Mutter herlaufen, Sie hielten mich fest und sperrten mich ein. Ich aber schrie und tobte, ich wollte zu Mama. Mich schüttelte es ich bekam Fieber und es musste der Arzt geholt werden.

Die Genesung dauert einige Zeit, aber

Wenn man ein 3-jähriges Kind ist, vergisst man schnell und so kam es, dass ich nach meiner Mutter gar nicht mehr fragte und ich gewöhnte mich an das Leben auf dem Bauernhof.

An seine Zieheltern erinnert er sich gut.

Sie, die nunmehrige Ziehmutter, war religiös sehr streng erzogen worden. Sie hatte eine wunderbare Stimme und sang den ganzen lieben Tag Kirchenlieder. Der Ziehvater ein Berg von einen Menschen war ein schwerer Alkoholiker und hielt vom Kirchengehen überhaupt nichts. Er fiel gleich beim Ersten Wirtshaus zur Tür hinein und schaffte es einfach nicht bis zur Kirchentür, obwohl er es der Mutter [gemeint ist die Ziehmutter] versprochen hat. Aber versprechen und halten, das waren bei Ihm zwei Dinge. Seine Alkoholexzesse waren sprichwörtlich und dauerten oft bis zu 3 Tage. Mutter flennte sich die Augen aus und auch ich bekam einiges ab.

Dem Ziehvater, der sich, wenn er nüchtern ist, eifersüchtig um die Gunst des Buben bemüht, geht er aus dem Weg.

Ich aber hatte eine Aversion gegen diesen Menschen ohne zu wissen warum.

Immerhin bringt er diese Abneigung mit einer Beobachtung in Verbindung.

Ich sah, dass er immer aus einer Flasche trank es war Schnaps wie ich später feststellte.

Der nunmehrige Schmidt Franzl verbringt einige Kindheitsjahre wie sie in Zeit und Milieu üblich sind.

Im 3. und 4. Lebensjahr gab es außer einigen Kleinigkeiten einige Male vom Vater über das Knie gelegt und den Hintern versalzen oder strafweise Scheitelknien keine nennenswerten Ereignisse. In meiner Kinderzeit war die häusliche Züchtigung nicht strafbar.

Sie muss aber doch recht einprägsam gewesen sein, wenn sie der 75-jährige noch als nicht strafbar bezeichnet.

Das Scheitelknien wurde so gehandhabt dass man auf einem 3-kantigen Holzscheit mit dem Gesicht zur Wand knien musste, bis es der bestrafenden Person als angemessene Strafe genügte. Anschließend wurde einem noch eine Belehrung erteilt, weshalb ich Scheitelknien musste.

Mit 6 Jahren kommt der Franzl in die Schule, eine einklassige Volksschule mit einer einzigen Lehrkraft, wie es damals in kleineren Gemeinden üblich war.

So mussten die 6 10 Jährigen am Vormittag zur Schule gehen, am Nachmittag die von der 4. bis zur 8. Klasse.

Bis zum Wechsel in die Klasse der älteren Schüler verläuft die Kindheit ohne größeres Aufsehen. Die Zieheltern sorgen sich um ihn, die zwei Dienstboten des Hofes sind ihm zugetan und in der Schule macht er überdurchschnittlich gute Fortschritte. Dann aber wird ihm ein Fehler des Ziehvaters zum Verhängnis. Dieser hat im Suff den Hof dem Kind eines fernen Verwandten versprochen. Durch Franzls Adoption sehen diese sich um das zu erwartende Erbe betrogen und das 9jährige Kind hat plötzlich Feinde.

Die Eltern hetzten ihre Söhne auf! Mich zu beschimpfen und beleidigen. Aber es kommt immer anders als man denkt. Ich konfrontierte meinen Vater mit dieser Situation und bekam den Rat von ihm, lass dir nix gefallen hau einfach zurück. Reiß einfach von der Schultasche die Kraxen ab und hau zua! Zuerst waren es nur Schimpfworte, die mir zugeflogen waren dann wurden es Steine und eines Tages kam ich mit einen Loch im Schädl wo mich ein Stein getroffen hat heim. Am nächsten Tag ging mein Vater mit mir zur Schule und beschwerte sich beim Lehrer wegen der Vorkommnisse in seiner Schule. Der Lehrer stellte die Verantwortlichen und bestrafte sie auch. Es gab damals auch noch Züchtigungen in der Schule. Auf das hin war einige Tage Ruhe, aber ich wurde geschnitten und war immer allein. Eine Woche später war wieder alles wie gehabt. Wieder flogen Steine. Diesesmal auch von mir. Nun gab es blutige Schädl auf der anderen Seite. Jetzt beschwerten sich die Eltern derer die sich von mir einen blutigen Schädl geholt haben. Ich bekam vom Lehrer einige saftige Ohrfeigen und musste ein Monat lang eine Stunde nachsitzen, bis halt die anderen Kinder zu Hause waren.

Der Lehrer sperrte mich im Klassenzimmer ein, damit ich nicht vorzeitig weglaufen konnte wie er meinte. Als er mich von der Strafe für diesen Tag entbinden wollte, war ich nicht mehr da. Ich bin aus dem ersten Stock aus dem Fenster genau in seine Gurkenkultur gesprungen und hab ihm dort alles zertreten. Anderntags gab es wie üblich dieselbe Prozedur wie am Vortag, nur das er mich nicht mehr ins Klassenzimmer sperrte, sondern auf das Bubenklo. Ich stieg auf die Klomuschel und schaute beim Klofenster hinaus und da sah ich, dass neben dem Fenster der Blitzableiter vorbei lief. Ich zwängte mich durch das Klofenster und hantelte mich den Blitzableiter hinunter und weg war ich. Der Lehrer hat einen Tobsuchtsanfall bekommen, weil er nicht mehr wusste, wie er mich festhalten soll! Am 3. Tag sperrte er mich deshalb auf den Dachboden. Das war kein Problem für mich! Ich öffnete das Dachfenster schwang mich auf das Dach und hantelte mich wieder dem Blitzableiter hinunter. Nun hatte ich aber genug von den Einfällen des Herrn Lehrer.

Franzl schwänzt die Schule. Warum dies zu seiner ersten schweren Straftat führt, mit der die Jahre ohne größeres Aufsehen endgültig vorbei sind, wird das nächste Kapitel seiner Niederschrift enthüllen.

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