Du Rindvieh, blöde Kuh?Dichter Innenteil

Von Vieh & Land:Wirtschaft

Die massigen Leiber der Kühe in der Luft, die vier Hufe Gazellen gleich ausgestreckt, Schnee und Grasbüschel hoch schleudernd über die Wiese stürmend, tobend: pure Energie außer Rand und Band.

Grafik: Karl Berger

Erst viele Jahre später gestehe ich, welch freudige Ausgelassenheit hier am Werk war, damals galten meine Gedanken vor allem der Sorge, dass ich – oh welch große Schande! – von der Straße aus von einem Schulkollegen bei der Kuhjagd beobachtet werden konnte. Cool waren damals für mich und meine Freunde zwar Cowboys und ihre Herden, aber doch keine stinknormalen Kühe auf einem Bauernhof und schon gar nicht auf einem Schneefeld – auch wenn ich über die Beweglichkeit, der als plump eingeschätzten Tierart sehr staunte.

Hatte ich – gemeinsam mit der Mutter und den Geschwistern – nicht den Vater stets heftig kritisiert, wenn er mitten im Winter die Kühe ins Freie ließ? Wenn ich mich zurückerinnere, sehe ich immer dieselbe Sequenz wie einen Film ablaufen: Tobende Kühe im Hochgefühl von Freiheit, diebische Freude beim Vater; selten war er so fröhlich wie in diesen Augenblicken und selbst die Nörgeleien seiner Familie – zu gefährlich in Schnee und Eis und überhaupt einfach nicht üblich und daher nicht notwendig – konnten ihm den Spaß nicht verderben. So gut gelaunt war er sonst selten, eigentlich nur im Wirtshaus nach dem Genuss von reichlich Wein.

Erst viele Jahre später wurde mir bewusst, wie sehr der Vater mit Tieren mitfühlte. Bei der Klauenpflege der Kühe meinte er es oft allzu gut und schnitt etwas zu viel weg, was die Kühe mit Tritten und der Vater mit Flüchen quittierte. Jedenfalls erlangte er als einziger Bauer, der das Vieh im Winter ins Freie ließ, zusätzliche Bekanntheit.

Produktivitätssteigerung

Der Besuch eines Bauernpaars ist mir noch in guter Erinnerung. Deren Streben galt der Produktivitätssteigerung, einem Virus, der beinahe die gesamte Bauernschaft erfasste und sich wohl endgültig festfraß. Der Erhöhung der Milchleistung wurde alles untergeordnet. Selbst im Sommer durften die Kühe nur ganz selten ins Freie und so mussten die Bauernkinder, die schon im frühen Alter mithelfen, spätabends Grünfutter einbringen. Bald ging das Gejammer der Bauern los: So viel Unglück hätten sie jetzt im Stall, immer wieder hätten sie in letzter Zeit den Tierarzt benötigt, vor allem beim Kalben. Und was der Hof – vor allem über das Milchgeld – einbringe, müsse man dem Tierarzt wieder hinstrecken. Ich verkniff mir die Bemerkung, ob es nicht besser wäre, den Kühen Bewegung zu verschaffen, damit sie beim Kalben mehr Kraft und Energie hätten – aber ich hätte als Ratgeber nichts gegolten, da ich inzwischen in die Stadt gezogen war. Dort sah ich rund 50 Jahre nach meinem Weggang von der Couch aus auf der Mattscheibe einen «Bauern», der vor seiner Computeranlage sitzend davon schwärmte, dass er jede Kuh am «Schirm» hat, er jederzeit ihren gesundheitlichen Zustand an Hand mehrerer Daten ablesen kann, da allen Kühen ein Messgerät implantiert wurde. Außerdem hielt er ein Plädoyer für die Stallhaltung, die Weide berge viel zu viele Gefahren in sich und Bewegung hätten seine Kühe genügend im Laufstall. Ein Durchbruch zur schönen neuen Welt? Ich zweifle und beame mich zurück auf den Kleinbauernhof meiner Kindheit.

Resis Rache

Die Herbstluft kündigte bereits das ausklingende Bauernjahr an, als ich mit der Mutter zur Obsternte unterwegs war. Das Gras auf der Wiese wuchs nur mehr spärlich, es sollte von den Kühen noch vor dem Winter abgeweidet werden. Wir waren in ein Gespräch vertieft, als meine Mutter plötzlich, wie vom Blitz getroffen, auf den Boden fiel. Ich half ihr voller Sorge beim Aufstehen und sie versicherte mir, dass sie nicht verletzt sei. Der Resi, der Kuh, die sich hinter uns herangepirscht hatte und die Mutter mit einem gezielten Kopfstoß auf den Boden warf, zürnte sie aber ziemlich heftig und schimpfte drauf los, obwohl deren Rache ja eh letzten Endes dezent ausfiel, nur die günstige Gelegenheit nutzend, wohl dosiert, ohne Einsatz ihrer spitzen Hörner, die damals die Kühe noch tragen durften. Für die Mutter war die Resi das Enfant terrible in der kleinen Herde und deshalb setzte es für sie oft Hiebe: Wenn die Kühe abends von der Weide in den Stall getrieben wurden, erwartete sie der Barren voll mit Heu. Resi verschaffte sich mit einer geschickten Links-rechts-Bewegung ihres massigen Kopfes einen großen Haufen, den sie umgehend gierig in sich hineinfutterte. Ihre Nachbarinnen empfanden dies jedoch als sehr unkollegial. Im folgenden Gerangel verteidigte aber die Resi ihren Haufen sehr geschickt. Die Unruhe im Stall bemerkte die Mutter rasch, ebenso die Schuldige, die nun etliche Stockhiebe erhielt und mit Futterentzug sanktioniert wurde. Das Schauspiel wiederholte sich öfters und man konnte es Resi nicht verdenken, dass sie auf Rache sann. Immerhin hatte die Resi das Glück, genügend Milch zu geben. Denn schon damals war es durchaus üblich, Kühe mit geringer Milchleistung auszusortieren, heißt dem Fleischhauer zu übergeben. In dieser Zeit sehe ich auch bei den größeren Bauernhöfen die Plaketten mit den Milchleistungen auf den Stalltüren und ein Wettlauf begann.

Gleichzeitig ging von den Städten eine «Zurück zur Natur»-Bewegung aus, die auch die Tierhaltung mit kritischen Augen sah. Die Fleisch- und Milchindustrie begegnete dem mit aufwendigen Kampagnen von glücklichen Tieren, die zufrieden auf der Weide gesundes Futter fressen und dann freiwillig ihre Milch geben und ihr Bio-Fleisch zu Markte tragen. Eine Nichte machte ihre Gastronomieausbildung u. a. in einem idyllischen Landgasthof in Salzburg, wo Bio-Gerichte vom Fleisch der Almochsen aus der unmittelbaren Umgebung angeboten wurden. Eine Win-win-Situation für nachhaltigen Ökö-Tourismus, beworben in farbenprächtigen Foldern. Möglicherweise sahen die Gäste noch weidende Ochsen vom Speisesaal aus oder begegneten ihnen zumindest bei Spaziergängen. Eines Tages schickte der Wirt die Nichte zum Fleischholen in den Kühlraum. Da fiel ihr ein interessantes Etikett auf: «Carne de Argentina». Offensichtlich hatte der Wirt – so wie manche Fastfoodkette – keine Bedenken, Fleisch aus der Pampa anzubieten. Weiß der Kuckuck, welche Ökonomieakrobaten sich solche Konstellationen ausdenken, die sich dank Förderungen und Handelsabkommen auch noch rechnen.

Maschinenkühe

Im 2. Jahrzehnt des neuen Jahrtausends nahm auch ich die Vollgas- bzw. Maschinenkühe, die ihre prallen Euter kaum zwischen ihren Beinen hin und her wuchten konnten, wahr. Zwei, drei Jahre stehen diese Tiere zur Milchproduktion zur Verfügung, dann werden sie aussortiert, also geschlachtet. Um einen Liter Milch zu geben, müssen hochgezüchtete Rassen fast 400 Liter Blut durch ihre Euter pumpen. «Es ist eine unglaubliche körperliche Leistung, die eine Milchkuh erbringt. Das ist permanenter Hochleistungssport», so der steirische Rinderexperte Walter Obritzhauser. Wie feinfühlig diese Tiere jedoch sind, erfuhr ich als Aushilfsmelker am heimatlichen Hof. Die Milchausbeute war erbärmlich und auch mit ihrem ungestümen Verhalten ließen mich die Kühe spüren, dass ich hier fehl am Platz war. Der Schweizer Bauer Martin Ott weitet in seinem Buch «Kühe verstehen – eine neue Partnerschaft beginnt» den Blick für einen artgerechten Umgang mit Tieren, die individuelle Lebewesen sind und eben keine Milch- oder Fleischmaschinen. Eine Biobäuerin brachte es in der TV-Sendung «Reiseckers Reisen» ganz einfach auf den Punkt: «Dieses verzwirnte Spritzen», schimpfte sie über den Chemieeinsatz und gab eine Erfahrung preis: «Kühe sind sehr neugierig, ein Zeichen, dass sie gesund sind.»

In der weltweit vorherrschenden Landwirtschaft hat jedoch das Wohl der Tiere keine Priorität. Regenwälder werden für Rinderweiden geopfert (was Jeremy Rifkin so drastisch im Buch «Das Imperium der Rinder» beschreibt) und in den Großstallungen wird hurtig weiter mit Hormonen und Futtermitteln, die eine Kuh normalerweise nicht fressen würde, an der Optimierung der Leistung für Milch und Fleisch experimentiert.

Schlussendlich meldet sich eine innere Stimme: «Wie kannst du das Los der Menschen, die ein Leben lang für wenig Brot hart arbeiten und die auch das Wohl der Tiere im Auge haben, ignorieren?» Ja, ja, das kommt in einem anderen Artikel, es gibt schon einen Titel.

Von Vieh & Google-Earth

Im Herbst meines Lebens erinnere ich mich, nun bereits über vier Jahrzehnte in der Hauptstadt lebend, immer wieder minutiös an meine Jugendzeit auf einem kleinen Bauernhof im Mostviertel. Gerade so, als hätte sich dies in einem anderen, zweiten Leben, zugetragen. Im Vordergrund stehen dabei tierische Erfahrungen – von Art zu Art – und der so rasante Umbruch in der Landwirtschaft, der in dem halben Jahrhundert, indem ich in der Stadt lebe, größere Veränderungen hervorbrachte als zuvor in einem Jahrtausend.

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