Durch das Wirrwarr der WörterArtistin

Mit «Rosi, Kurt und Koni» filmt Hanne Lassl sich an den Analphabetismus heran

Funktionaler Analphabetismus – das bedeutet nicht, dass man gar nicht lesen und schreiben kann. Aber zu welch geringem Ausmaß man es kann, wird von der Umgebung als unzureichend empfunden. Es entspricht nicht den «Gepflogenheiten». Eine knappe Million Österreicher_innen sind davon betroffen. Woran liegt das und was bedeutet es für ein einzelnes Leben? Hanne Lassl hat für ihren Dokumentarfilm «Rosi, Kurt und Koni» drei Leute gefunden, die mit ihr darüber reden. Veronika Krenn hat sich den Film angeschaut.

Foto: Stadtkino

Koni trällert den Refrain eines Schlagers von Nik P.: «Flieg, weißer Adler, flieg, flieg in das Land der Fantasie. Nimm mich mit auf deinen Flügeln, lass uns Wind und Sturm besiegen, flieg!» Er ist dabei ganz entspannt und in sich versunken, ganz so, als ob keine Kamera ihn beobachten würde. Hanne Lassl lächelt, als ich sie im Café Hegelhof, wo wir uns zum Gespräch über ihren Dokumentarfilm «Rosi, Kurt und Koni» treffen, auf die Szene anspreche. Der Adler, erzählt sie, ist für Koni ein Symbol für Freiheit: «Genauso wie Lesen- und Schreibenlernen für ihn Freiheit bedeutet. Weil es ihm ermöglicht, zu reisen und unabhängig zu sein.» Menschen wie Koni, Rosi und Kurt, die nur rudimentär lesen und schreiben können, nennt man «funktionale Analphabet_innen». Ihnen fällt es schwer, komplexere Texte zu verstehen.

Sich als Analphabet outen

Hanne Lassl hat bisher als Produktionsleiterin für Filmprojekte gearbeitet und 2005 das Buch für den Film «Erik(a) – Der Mann, der Weltmeisterin wurde» geschrieben. Dabei handelt es sich um die Geschichte der Ski-Abfahrts-Weltmeisterin von 1966, die seit einer Operation unter dem Namen Erik Schinegger lebt. Die Dokumentation «Rosi, Kurt und Koni» ist nun Hanne Lassls erste eigene Filmarbeit. Es war schwierig, sagt sie, Menschen zu finden, die ihre Geschichte auch vor der Kamera erzählen wollten. Meist überwogen Scham und Angst, den Job oder Freund_innen zu verlieren. Dass ein Outing allerdings auch positive Effekte haben kann, zeigt Konis Beispiel. Als seine Arbeitgeber erfuhren, dass er im Rahmen der Erwachsenenbildung seinen Schulabschluss nachholen würde, wurde er dabei unterstützt. Nun bekommt er sogar noch die Möglichkeit, eine Schlosserlehre anzuschließen. Laut einer PIAAC-Studie aus dem Jahr 2013 zählen weit mehr Menschen zu der Gruppe der funktionalen Analphabet_innen, als man glauben möchte – rund 970.000 sind es in Österreich.

Einen Dokumentarfilm wie diesen zu drehen, sei nur möglich, sagt Hanne Lassl, wenn Vertrauen aufgebaut werden kann. «Wir sind oft vor der Entscheidung gestanden: Film oder Mensch? Wir haben uns für den Menschen entschieden. Zuerst haben wir geschaut, ob wir helfen können», sagt sie. Selbst beim Filmschnitt war ihr wichtig, dass ihre Akteur_innen mit dem einverstanden waren, was von ihnen im Film zu sehen sein wird. Für Hanne ist Filmarbeit Teamarbeit. Ihr Film entstand im Kollektiv – auch Rosi, Kurt und Koni, die Held_innen ihres Dokumentarfilms, haben sich eingebracht. Kurt beispielsweise – er ist alleinerziehender Vater – war es wichtig, seine Geschichte erzählen zu können: Ihm wurde zwar trotz seiner «Schlichtheit», wie ein Amtsbescheid es ausdrückt, die Obsorge für seinen Sohn Sebastian übertragen, dennoch darf dieser nicht bei ihm wohnen. Für Kurt ist es unverständlich, warum er nicht für seinen Sohn kochen und sorgen darf, dafür aber beispielsweise Schul-Dokumente unterschreiben muss, die er nicht ausreichend verstehen kann.

Grundkurs in Behördendeutsch

Hanne Lassl erzählt, wie flexibel sie beim Dokumentarfilm-Dreh sein musste: «Es können jederzeit unvorhergesehene Dinge passieren, die die Situation verändern. In der Mitte der Dreharbeiten wurde völlig überraschend ein Antrag auf Besachwaltung für Rosi gestellt. Daraufhin hat man ihr Konto gesperrt, und sie muss seither jede Ausgabe mit ihrem Sachwalter besprechen.» Der Film begleitet Rosi zu Gerichtsterminen und zeigt ihren Kampf um Selbständigkeit – und wie sie daran wächst. Wie schwierig Behördendeutsch erst für jemanden zu verstehen ist, dessen Lesekompetenz erst aufgebaut werden muss, zeigt Rosi in einer Filmszene, in der sie zu entziffern versucht, was die Behörde von ihr wollen könnte. Eine neurologische Untersuchung wird da schnell zu einer urologischen und dass die Kosten für ihre Besachwaltung von ihrer Mindestpension erstattet werden, bleibt ihr im Wortwirrwarr unklar.

Hanne Lassl hat mit ihrem engsten künstlerischen Team, dem auch Peter Muzak und Karoline Riha angehören, nach einer besonderen Bildsprache gesucht, mit der die Protagonist_innen auch selbst ihre Geschichte erzählen können. So wurde die Idee von einem Film im Film geboren, den die Porträtierten selbst gestaltet haben: Es ist ein zauberhafter Animationsfilm, der vieles von dem erzählt, was Rosi, Kurt und Koni wichtig ist. Man sieht präzise animierte Figuren, die auf dem Weg zu einem Ziel, die in Bewegung sind und nicht stillstehen. Genauso wenig, wie Rosi, Kurt und Koni stillstehen möchten, egal was ihnen ihr Leben bisher beschert hat. Hanne Lassl: «Diese Menschen hatten nur einen schlechten Start. Für mich sind es unbehandelte Legastheniker, deren Eltern vielleicht nicht die Möglichkeiten hatten, darum zu kämpfen, dass ihre Kinder besonders gefördert werden.»

Vorläufige Spieltermine im Stadtkino: http://stadtkinowien.at

weitere Infos zum Film: www.kurtmayerfilm.com

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