«Durch LobauBleibt habe ich zu schweißen gelernt»vorstadt

Mit LobauBleibt ist die Wiener Klimagerechtigkeitsbewegung in eine direkte Konfrontation mit Staat und Wirtschaftsinteressen eingestiegen. Geblieben ist das Bündnis Mobilitätswende jetzt!
und eine Selbstermächtigung, ohne die es einen Systemwechsel nie geben kann.

ESSAY: CHRISTIAN BUNKE

Zwischen den U2-Stationen Hausfeldstraße und Aspernstraße erstreckt sich eine Gegend, die laut Chefredakteur des Falter ­Florian Klenk «nichts» sei. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig erkennt in den Feldern und Landschaften ­ringsum ein «­Nirvana». In dieses «Nichts» ­hinein baut ein Konsortium aus Strabag und Porr die Wiener Stadtstraße und vertreibt damit zahlreiche Tiere, zerstört fruchtbares Land, fördert ganz allgemein den motorisierten Individualverkehr, ohne den in der angeblichen Klimamusterstadt Wien scheinbar nichts geht.
Nichts Wichtigeres. Wenn Klenk eine ganze Landschaft, einen ganzen Lebensraum, als «nichts» bezeichnet, dann steht er damit in einer über Jahrhunderte gewachsenen liberalen Tradition, nach der die Natur erst ihren Wert für die mächtigen, reichen und Eigentum besitzenden Teile der Menschheit beweisen muss, um überhaupt ein Existenzrecht zu haben. Es gebe doch wichtigere Themen, mit denen sich die Klimabewegung befassen solle, so Klenk auf Twitter und in Talkshows.
Wenn es also die ganze Zeit um nichts ging, warum dann der Anschlag, mit dem zum Jahreswechsel der Unterschlupf auf der besetzten Baustelle Grätzl 1 komplett niedergebrannt wurde? Warum die Androhung von Millionenklagen gegen Aktivist:innen? Die sexualisierte Gewalt gegen Festgenommene in Polizeigewahrsam? Anders gefragt: Kann es «nichts» sein, was junge Aktivist:innen ein ganzes Jahr hindurch motiviert, Baustellen zu besetzen, sich Baggern in den Weg zu stellen, ihre körperliche Gesundheit und seelische Traumatisierung zu riskieren, mit keiner anderen Bewaffnung als ihren eigenen Körpern?
Viele vor allem im sozialdemokratisch-roten Lager der Stadt begegnen dieser Frage bis heute mit einem Unverständnis, welches entweder geheuchelt ist oder aber auf hart erarbeiteter Unwissenheit beruht. «Lobau bleibt doch eh» war das politische Niveau der Stadtstraßen-Befürworter:innen in der Regierungspartei. Die Lobau sei doch von der Stadtstraße kilometerweit weg, hieß es.
Letzteres stimmt, und doch auch wieder nicht. Denn der größte realpolitische Erfolg von LobauBleibt war die Absage der Lobau-Autobahn durch Klimaschutzministerin Eleonore Gewessler. Ohne den Druck der Bewegung wäre das sicher nicht passiert. Es ist auch dieser Erfolg, der den aktiven Klimaschützer:innen dieser Stadt den ewigen Hass der Wiener Landesregierung zuzog. Einer Landesregierung ­übrigens, die weiter eifrig an der Umsetzung der abgesagten Lobau-Autobahn ­arbeitet. Denn es geht um viel. Wien steht im Wettbewerb mit anderen Metropolen, und die Wien umschließende österreichische Ostregion tut dies ebenfalls. Dieser Wettbewerb, so die alle Politikfelder der Bundeshauptstadt ­durchziehende Ideologie, ist nur über den Ausbau von Flughafen, Wasserstraßen, ­Raffinerien, Umschlagterminals, Logistikzentren und eben auch Autobahnen gewinnbar.

Klimaschutz ist Handarbeit.

Eine im Februar 2019 im Auftrag der Stadt Wien erstellte Studie mit dem Titel Rekommunalisierung in Europa spricht in diesem Zusammenhang von indirekten Wohlfahrtseffekten über langfristiges Wachstum: «So bringt z. B. eine neu ­errichtete regionale Straßenverbindung ­kürzere Transportwege und kürzere Transportzeiten und kann sich auf den Maßstab von Logistikzentren, u. a. die Größe von Lagerhäusern, auswirken.» Wie es der Zufall will, würde eine zu bauende ­Lobau-Autobahn für die wachsende Zahl der entlang des Wiener Flughafens entstehenden Logistikparks einen ­direkten Autobahnanschluss an das ­europäische Fernstraßennetz ­ermöglichen. Und über eine Zufahrt zur Autobahn via Stadt­straße würde sich auch der ­Strabag-Anteilseigner Haselsteiner freuen, der stolzer Besitzer eines Logistikzentrums mitten im Hausfeld ist. Schön auch, dass Haselsteiners ­Firma die Stadtstraße maßgeblich mitbaut. Zufälle, die das Leben schreibt.
Zufälle, die Ausdruck des relativen Charakters der politischen Erfolge der LobauBleibt-Bewegung sind. Den für die auch nur ansatzweise Bewältigung der Klimakrise nötigen Systemwechsel konnte LobauBleibt nicht herbeiführen, hatte auch nie diesen Anspruch. Wohl aber hat die Bewegung zahlreichen Menschen zu einer Selbstermächtigung verholfen, ohne welche es diesen Systemwechsel erst recht nie geben kann. «Klimaschutz bleibt Handarbeit», so der Slogan auf einem prominenten Transparent der Bewegung. Und Handarbeit war LobauBleibt allemal. Die monatelangen Besetzungen und die Aufrechterhaltung des Camps wären ohne nicht möglich gewesen. Handarbeit bedeutet konkret: Geschirr spülen, Bänke schleppen, Zelte errichten, kochen, Wasserleitungen verlegen, Stromleitungen ziehen und vieles mehr.
«Durch LobauBleibt habe ich zu schweißen gelernt», so das stolze Fazit einer jungen Aktivistin an jenem Tag, an dem die Bewegung ihr genau ein Jahr gehaltenes Camp in der ­Anfanggasse mit ­einem demonstrativen Umzug verließ. Ein Umzug, der von hunderten Polizist:innen und mit Kameras ausgestatteten Überwachungsfahrzeugen begleitet wurde, die panisch und völlig ironiebefreit jede Autobahnauffahrt besetzten, die auch nur ansatzweise in der Nähe des kleinen, aus 200 Leuten bestehenden Demonstrationszuges lag. Das war ein Ausdruck des Respekts und des Angstgefühls, den die Bewegung sich in den Augen des Staatsapparats erarbeitet hatte.

Gekommen, um zu bleiben.

Ein Respekt, erkämpft von einer Bewegung, die stets sagte, was sie tun will, und tat, was sie angekündigt hatte. Angekündigt ist schon längst weiterer Protest. Mit dem Bündnis Mobilitätswende jetzt! hat sich der Widerstand gegen klimaschädliche Straßenbauprojekte landesweit vernetzt.
Es ist eine Errungenschaft von LobauBleibt, das rückwärtsgewandte ­Potenzial in der Wiener Stadtpolitik für alle, die hinschauen wollen, sichtbar gemacht zu haben. In einer SPÖ-nahen ­Chatgruppe wurde «ein Orden für den Täter» gefordert, dessen Brandanschlag fast das Leben junger Aktivist:innen gefordert hätte. Die auf dem SPÖ-Parteitag gehaltene «Häusl»-Rede des Donaustädter Bezirksvorstehers Ernst Nevrivy ­wurde bereits ausführlich kommentiert. Viel spannender als der «Häusl»-Sager ­Nevrivys war jedoch die Aussage, dass Stadtstraße und Lobau-Tunnel lange «außer ein paar Kommunisten» keinen interessiert hätten.
Und dann ist da noch die bis ­heute durch nichts bewiesene Behauptung von Klimastadtrat Czernohorszky, die Klimaschützer:innen hätten durch ihr Camp eine «Rattenplage» verursacht. Rechtspopulistische Fans der SPÖ ­zogen in Online-Foren Wiener Boulevardblätter (zu denen nicht der Augustin gehört) den Schluss: LobauBleibt-Aktivist:innen förderten nicht nur Ratten, sie seien auch selbst welche. Dies ist das geistige Milieu einer SPÖ, die schon lange von oben auf marginalisierte Gruppen hinuntertritt, etwa indem sie im öffentlichen Raum obdachlosenfeindliche Architektur bauen lässt oder indem Ulli Sima Duftsprays in der U6 verteilen ließ.
LobauBleibt, das ist der rote Sonnenaufgang über dem Hausfeld, während Aktivist:innen über fünf Stunden ­Gleise besetzen, die für den Bau der ­Stadtstraße aus ihrem Bett gehoben werden sollen. Ein Sonnenaufgang wie ein V­ersprechen: Was hier in der Donaustadt entstand, wird im Sinne einer sozial-ökologischen Wende aktionsfähig bleiben – müssen.

Bildbeschreibung: Klimaaktivist:innen blockierten mehrmals die Baustelle der Stadtautobahn bei der Hausfeldstraße. Sie forderten einen sofortigen Baustopp und den Ausbau von Radwegen und Öffis in der Donaustadt. Doch die Stadtregierung entschied sich für Betonpolitik, Foto: Christopher Glanzl für System Change, not Climate Change

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