Durchs gefährdete KurdistanArtistin

Roman

Ein in Wien lebender Kurde entschließt sich nach vielen Jahren zu einer Reise nach Ostanatolien, an die Stätte seiner Jugend. Schon im Bus dorthin befindet sich sehr gemischtes Personal, am Zielort ändert sich daran wenig – ein Indiz dafür, dass es dem Autor nicht um Vorspiegelung von Homogenität geht, sondern um eine widersprüchliche Gesellschaft, also um die Realität. Gewissheiten, auch Selbstgewissheiten, unterläuft Richard Schuberth elegant, weil er sehr wohl um den Unterschied zwischen einem Essay und einem Roman Bescheid weiß. Die Belehrten zu belehren oder die Bekehrten zu bekehren, ist des Autors Ansinnen nicht. Begegnungen seiner Romanfigur mit den Menschen, ihm bekannten und ihm bislang unbekannten, und mit der Landschaft um sie herum zeichnet der Autor in farbigen Bildern und in blassen, mit feinem Strich und mit grobem, je nach Situation und Bedarf. Glücksgefühle und Enttäuschungen halten sich die Waage, Konflikte, Diskussionen und Erotik spielen ebenso eine Rolle wie die einstige und jetzige politische Lage der Kurd_innen in der Türkei, deren Nationalisierungsrausch durch den Staatengründer Kemal Atatürk so gut wie alle ihrer autonomen Rechte unterdrückte. Während die aktuelle Regierung die Bevölkerung unter Terrorismuspauschalverdacht stellt. Eine der brillantesten Passagen dieses brillanten Romans konfrontiert den Protagonisten – kurz vor dem bitteren Ende – mit der erfrischenden Radikalität jugendlicher Aktivist_innen. Da Richard Schuberth aber auch noch Musikologe ist, sind ihm, wie zu lesen ist, die wunderbaren Şivan Perwer, Aynur Doğan und Mikail Aslan durchaus geläufig – wie auch Mikails Cousin, ebenfalls Sänger und Sazspieler, dessen Name verblüffende Ähnlichkeit mit jenem des Protagonisten aufweist.

Richard Schuberth:
Bus nach Bingöl
Drava Verlag 2020
280 Seiten, 21 Euro