E-Hof statt Erbhofvorstadt

Laptop und Lederhose in ein Spiel gepackt: Der Landwirtschaftssimulator begeistert Technik- und Wirtschafts-Nerds am Land und auch in der Stadt. Text: Hannes Gaisberger

Aufgrund der aktuellen globalen Situation – ich nehme an, Sie haben davon gehört – passiert im Sport gerade nicht viel. Zuschauermassen und Körperkontakt kann man sich nicht vorstellen. In manchen Ländern ist sogar das Training von Individualsportarten verboten. Eine einsame Runde im leeren Stadion – ist nicht drinnen. Und damit könnte man auch nur fit bleiben, davon leben kann man nicht. Die hauptberuflichen Athletinnen und Athleten wollen aber trotzdem gesehen werden, im Wettbewerb bleiben, Preis- und Sponsorengelder verdienen.
Denkt man das Home-Office in diesem Bereich weiter, geht man eben online. Der österreichische Radsportverband hat etwa die eCycling-Radliga ins Leben gerufen. Radprofis messen sich über die Online-Plattform Zwift mit Amateur_innen, alle sitzen zu Hause am Rollentrainer und fahren dieselbe virtuelle Strecke. Die Liga war binnen einer Woche am Start, das Interesse bei den Radsportbegeisterten enorm. Selbst wenn wieder Rennen in freier Natur erlaubt sind, sollen die Wettbewerbe im Netz weitergehen. Viele Sportarten werden hier nachziehen, je nachdem, wie gut sich das Geschehen online verlagern lässt. Turmspringen oder Polo dürfte umständlicher werden.
Will man die eCycling-Radliga mit dem Nerd-Vokabular des ­E-Sports einordnen, würde man wohl von «Exergaming» sprechen. Damit sich am Bildschirm etwas bewegt, muss sich auch in der Realität jemand bewegen. Bewegungssensoren, Augmented und Virtual Reality haben vor allem unzähligen Fitness-Spielen zum Durchbruch verholfen. Und nicht nur Exergaming ist ein Erfolg. Fast zwei Drittel der hiesigen Bevölkerung spielen regelmäßig Video- oder Computerspiele jeglicher Art, also zumindest mehrmals im Monat, wie eine Studie der Agentur GfK 2019 ermittelt hat.

Digitale Dreifaltigkeit.

Beim «klassischen» E-Sport geht es weniger um Bewegung, hier wird die Action simuliert. Neben unzähligen Schieß- und Strategiespielen sind vor allem Sportsimulationen beliebt. Blickt man sich die Liste jener E-Sports durch, die eine Liga betreiben, stößt man immer wieder auf die digitale Dreifaltigkeit: Shooter, Strategie, Rennen. Lediglich die Klassiker Tetris und Pokémon brechen aus dem öden Schema aus. Und der Landwirtschaftssimulator (LS).
Ich bin selbst auf einem Bauernhof aufgewachsen. Damals, in den Steinzeiten von Tele- und Computerspiel, habe ich etwas neidisch auf Pong spielende Wohnzimmersportler_innen geblickt, während ich am Hof regelmäßig mithelfen musste. Nun wird der Spieß also umgedreht, und man träumt sich vorm Computer auf den Bauernhof? Diesen Traum haben scheinbar viele Menschen, wie der unerwartete Erfolg dieses Simulators bezeugt. 2008 in der Schweiz entwickelt, hat sich der Farming Simulator vor allem durch Mitteleuropa und Großbritannien gepflügt und wird mit jeder neuen Ausgabe millionenfach verkauft. Laut der Entwicklerfirma Giants Software kommen die Digital-Bauern und -Bäuerinnen zu gleichen Teilen aus dem ländlichen wie aus dem städtischen Raum. Um ihre Aufgabe grob zu erklären: Man kriegt einen Bauernhof und ein kleines Budget, und kann durch Land- oder Forstwirtschaft, durch Viehzucht oder Auftragsarbeiten das Gut und den Maschinenpark nach Lust und Laune aufbauen. Oder in den Sand setzen.

Unterschiedliche Perspektiven.

Die Wiener Gaming-Szene ist das Milieu von Claudia Bayerl von der wienXtra-spielbox in der Albertgasse. Dort wird aktuell nicht sehr viel LS gezockt. «Ich habe mich durchgefragt, und leider hat niemand von unserem Team genug Erfahrung mit dem Landwirtschaftssimulator.» Sollte Wien kein fruchtbarer Boden für digitale Landwirtschaft sein? «Ich habe das Spiel bis vor etwa zwei Jahren genauer verfolgt. Es wird viel von Erwachsenen und vor allem am PC gespielt, weniger an Konsolen, die bei uns im Fokus stehen. Ich denke, dass es hier am Land und in der Stadt ähnlich große Spielergruppen gibt.» Belächeln möchte Frau Bayerl das Spiel auf keinen Fall: «Im Genre der Wirtschaftssimulatoren genießt es einen ausgezeichneten Ruf.» Doch auch die Simulation der Technik, mit mittlerweile detailgetreuer Darstellung der modernen Maschinen, übe für viele einen Reiz aus.
Gehen wir von der Stadt aufs Land, von der Theorie in die Praxis. Der 16-jährige Lorenz aus Oberösterreich ist – so etwas gibt es auch heute noch – ein Jungbauer mit Leib und Seele. Er hilft auf dem elterlichen Hof begeistert mit, er sieht die Arbeit, wie man sagt. Sein Profilbild auf WhatsApp, über das wir ein Video-Interview führen, sind wechselnde Motive einer US-amerikanischen Traktorenmarke. Wenn neben der Schule und der Arbeit zuhause Zeit bleibt, zockt er gern LS. Mal mehr, mal weniger, aber das seit Jahren, er hat alle Versionen gespielt. «Obwohl die Grafik immer besser geworden ist und die Maschinen immer realistischer: Die tägliche Arbeit in der echten Landwirtschaft schaut natürlich schon anders aus.» Wo man sich im Spiel einfach eine neue Maschine besorgt, werden im echten Leben eher kleine Reparaturen selbst durchgeführt. Es gibt keine Jahreszeiten, und auch die körperliche Anstrengung echter Arbeit lässt sich nicht simulieren. Dass über die Jahre der Faktor Wirtschaft stärker gewichtet wurde, entspricht hingegen den Tatsachen.

Das Spiel der Szene.

Einen Bauernhof in Schuss zu halten ist bekanntlich viel Arbeit. Wie viel Zeit braucht man für den simulierten Hof? «Man könnte den ganzen Tag spielen. Bei mir geht es sich nur am Abend aus, und das reicht auch. Aber manchmal sitze ich schon Stunden am Computer.» Der Schüler einer landwirtschaftlichen Berufs- und Fachschule hat so immer ein Gesprächsthema. «In meiner Klasse spielen sicher 75 Prozent den Landwirtschaftssimulator. In der Mittelschule war es auch schon knapp die Hälfte.» Seit 2015 sind viele der originalen Marken in das Spiel integriert. Man kann seinen Lieblingstraktor von der Lackierung über die Reifen hin zur Motorausführung nach eigenen Vorlieben konfigurieren. Wenn man genug Geld auf der digitalen Bank hat. Das taugt der technikbegeisterten Landjugend, das gefällt natürlich auch den Firmen.
«Bei großen landwirtschaftlichen Messen wie der agritechnica in Hannover oder der Welser Messe haben viele Aussteller Spielkojen eingerichtet, wo man den Simulator zocken kann», sieht der sechzehnjährige Lorenz sein Lieblingsspiel voll in der Szene angekommen. Dass Firmen wie John Deere, Claas oder Lindner Werksmannschaften haben und es eine eigene E-Sports-Liga gibt, in der man gegeneinander Heuballen auf ein Förderband stapelt, hört er hingegen zum ersten Mal. Da spielt er schon lieber andere Spiele wie Minecraft oder sieht sich an, wie «Youtuber» ihren Hof führen.
Das mache ich zum Schluss auch, nachdem erste Gehversuche mit dem Simulator stets mit ineinander verkeilten Traktoren enden. Aus der Sicht des konsumkritischen Städters liegt der Fokus zu sehr auf immer größeren Maschinen und Gebäuden. Ich sage nur Bodenversiegelung und Biodiversität. Wer will, kann seinen Hof jedoch auch anders bewirtschaften. Die Unkrautspritze im Schuppen lassen und mit dem Striegler drübergehen. Seinen eigenen Biosprit herstellen. Das ist aber vermutlich noch mehr Arbeit. So weit, so realistisch.