Weil Musikschaffende und Veranstalter_innen aus der freien Wiener Szene mit ihrer wirtschaftlichen Situation, mangelnder Wertschätzung ihrer Arbeit und dem eklatanten Fehlen passender Musikräume unzufrieden waren, haben sie vor drei Jahren eine Selbsthilfeorganisation gegründet. Die haben sie danach benannt, worum’s ihnen im Kern der Sache geht, damit eine Verbesserung des Status quo erreicht wird: Mit der Stadt reden
TEXT: ANDREAS FELLINGER
ILLUSTRATION: SEDA DEMIRIZ
Auslöser der musikgewerkschaftlichen Bewegung war der echoraum in Wien 15, der aus der existenzbedrohenden Malaise infolge chronischer öffentlicher Unterfinanzierung gerettet werden sollte. Daraus entwickelte sich bald eine breite Initiative, die inzwischen rund 600 Unterstützer_innen hat. Also eine (kultur-)politische Arbeit, für die alle Engagierten ihre Freizeit opferten, Diskussionen, auch Konflikte, austrugen – und dadurch wohl auch die eine oder andere Persönlichkeit zu schärfen vermochten.
Elisabeth Flunger ist selber Musikerin und von Beginn an Teil von Mit der Stadt reden. Zwar fragt sich da der Autor als alte linke Socke, die sich daran gewöhnt hat, lieber in Konfrontation als in Dialog zu treten, warum die Initiative nicht beschlossen hat, gegen die Stadt zu reden statt mit ihr. Dem entgegnet Flunger im AUGUSTIN-Gespräch trocken: «Schimpfen kann man immer», sagt sie, «aber wir Musiker_innen sind abhängig von Subventionen. Und damit diese Gelder auf die richtige Art und Weise ausgegeben werden, haben wir uns zusammengetan, um mit der Stadt zu reden, das heißt: mit den Politiker_innen, auch mit denen der Opposition, mit dem Kulturbüro, mit der Kulturstadträtin, mit der Kulturabteilung der Stadt Wien.»
Die Frage, ob sie mit dieser Vorgehensweise von Beginn an auf offene Ohren seitens der Politik und der Verwaltung gestoßen sind, kostet Flunger ein Kopfschütteln. Sie registriert aber dennoch einen stetigen Fortschritt in Sachen Akzeptanz. «Die erste harte Nuss war Dieter Boyer vom Büro der Geschäftsgruppe Kultur und Wissenschaft, der vorgeschobene Abwehrposten des damaligen Kulturstadtrats Mailath-Pokorny. Unser Glück war, dass ein halbes Jahr nach Gründung der Initiative Veronica Kaup-Hasler Kulturstadträtin wurde, im Gegensatz zu ihrem Vorgänger eine aufgeschlossene Person, die aus dem Kulturbereich kommt und deshalb Verständnis für die Probleme der freien Szene hat.»
Bedenkt man allein die wirtschaftliche Ausgangsposition für die Aktivist_innen, wird’s etwas gruselig ums Gemüt. So gingen die Fördermittel für den Musikbereich in Wien von 1998 bis 2016 um 14 % zurück, indexbereinigt sogar um 38 %. Zusätzliche Munition für die Krise lieferte die sukzessive Verlagerung der Musikfördermittel auf die großen Institutionen, während für die freie Szene immer weniger übrigblieb.
In dieser prekären Situation lassen sich unschwer die Absichten in den Verhandlungen mit der Stadt Wien erraten. Es ging und geht immer noch ums Geld und um einen guten Draht zu den Entscheidungsträger_innen, damit Bewegung in die existenzielle Sache kommt. Seit dem Bestehen der Initiative hat sich einiges getan: Als Erstes wurde die Kompositionsförderung von 15.000 Euro pro Jahr auf das Zehnfache erhöht. Zwei Beiräte für die Vergabe der Projekt- und der Kompositionsförderungen wurden eingesetzt, das Musikbudget wurde seit 2017 insgesamt um ca. 14 % erhöht, und die Kulturstadträtin hat zwei Symposien mit Vertreter_innen aller Kultursparten initiiert, in denen die Themen Fair Pay und die Raumsituation im Mittelpunkt standen. Außerdem wurden zwei neue Interessenvertretungen gegründet: die IG Freie Musikschaffende und die stimm-IG für den Bereich Musiktheater.
Aber: «Eigentlich geht alles viel zu langsam», sagt Elisabeth Flunger mit etwas gedämpftem Optimismus. «Neue Räume für die Musik, Stärkung der vorhandenen
Infrastruktur und ein Haus für Neue Musik: Die Bedürfnisse wurden formuliert, die Botschaft ist angekommen, und wir hoffen, dass sich diese Vorhaben schneller verwirklichen lassen als die Mindesthonorare. Honorarrichtlinien für den Musikbereich sind schon seit über einem Jahr definiert, aber noch lange nicht umgesetzt. Kulturarbeiter_innen aller Sparten haben sich an Honorare gewöhnt, die meistens deutlich unter 10 Euro brutto pro Stunde liegen. Um anständige Honorare zu zahlen, reichen keine 14 % Budgeterhöhung. Ein Umdenken ist nötig bei Veranstalter_innen und Unterstützer_innen, aber auch bei den Musiker_innen selbst. Das Wichtigste ist: Das Kulturbudget muss signifikant erhöht werden! Wir brauchen die Kulturmilliarde, wir brauchen 1 Prozent des Bundesbudgets.» Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sieht sie für derlei Ambitionen wenig Licht. «Alle sind mit Corona beschäftigt, und wenn Corona vorbei ist, werden alle damit beschäftigt sein, die wirtschaftlichen Schäden der Coronakrise zu beklagen.»
«Es wäre auch dringend nötig, die Künstlersozialversicherung zu reformieren», sagt Elisabeth Flunger, «und es wäre nötig, nicht nur mit der Stadt, sondern auch mit dem Bund, mit der Künstlersozialversicherung und mit der AKM zu reden. Aber wer soll das machen? Niemand hat die Zeit, sich dafür zu engagieren. Im Moment ist die Luft draußen.»
Was ist aus der positiven Dynamik der Initiative geworden? Konnte man vom echoraum aus ganz Wien in seinen unterschiedlichsten Facetten für die Bewegung mobilisieren? Oder ist man, mangels frei verfügbarer Zeit, in erster Linie mit der Existenzsicherung beschäftigt? «Dass Leute aus unterschiedlichen Musikszenen gemeinsam agieren, ist eigentlich mehr ein frommer Wunsch als Realität. Die aktiven Personen kommen mehrheitlich aus dem Bereich experimentelle Musik/Improvisation, plus Jazzmusiker_innen, Komponist_innen und zuletzt auch ein paar klassische Musiker_innen. Es gibt kaum Popmusiker_innen oder Musiker_innen aus anderen Kulturkreisen. Golnar Shahyar war ein paar Mal da, sie setzt sich für die Sichtbarmachung migrantischer Musik ein und für Diversität in der Musikpädagogik. Sie erinnert uns immer wieder daran, dass wir Nicht-EU-Bürger_innen in unsere Überlegungen miteinbeziehen. Und dass es nicht klassische Musik heißt, sondern europäische klassische Musik, wenn wir von der europäischen Tradition reden. Die «genreübergreifende Solidarität», von der auf unserer Website die Rede ist, wäre der Idealzustand. Es geht nicht um die experimentelle Musik, sondern um die freie Musikszene als Ganzes. Dass es Musiker_innen anderer Genres genauso schlecht geht und dass wir nur eine Chance haben, wenn wir möglichst breit agieren, kann man nicht oft genug betonen. Wenn besonders viele experimentelle Musiker_innen in der Initiative tätig sind, dann liegt das vor allem daran, dass es für diese Musiker_innen am schwierigsten ist, ihre Musik kommerziell zu verwerten. Das ist nun einmal keine Gebrauchsmusik, die man sich zum Feiern holt und zu der man gut tanzen oder saufen kann. Die Massen gehen nicht in Konzerte mit experimenteller Musik, die Tonträgerverkäufe halten sich in Grenzen, von Streaming müssen wir gar nicht reden. Deshalb hat es diese Szene besonders notwendig zum Überleben, dass sie finanziell unterstützt wird.»
Personen, die sich in der Initiative Mit der Stadt reden bislang engagiert haben, sind u. a.: Elisabeth Flunger, Reinhard Fuchs, Bernhard Günther, Arnold Haberl, Dietmar Hellmich, Agnes Hvizdalek, Nik Hummer, Philip Kienberger, Werner Korn, Dieter Kovacic, Matthias Kranebitter, Alexander Kukelka, Pia Palme, Sabine Reiter, Daniel Riegler, Elisabeth Schimana, Ingrid Schmoliner, Christine Schörkhuber, Thomas Stempkowski, Phil Yaeger, Sara Zlanabitnig.
Organisationen, die mit Mit der Stadt reden zusammenarbeiten: echoraum, IGFM, IG Freie Theater, IG Kultur Wien, IGNM, klingt.org, mica, Musikergilde, PHACE, ACOM (ehem. ÖKB), stimm-IG, WE:Shape, Wien Modern.