Gisela Hesser ist gelernte Tischlerin, Architektin und Filmszenografin. Für die aktuelle Zauberflöte-Inszenierung an der Wiener Volksoper hat sie, unter Federführung der renommierten Figurendesignerin Rebekah Wild, einige entzückende bewegliche Tiere gebaut.
TEXT: ANDREAS FELLINGER
FOTOS: DARIA TCHAPANOVA
Backstage passieren mitunter die interessanteren Dinge als auf der Bühne. Diesen Eindruck unterstreicht die erstaunliche Fauna, die Gisela Hesser als Assistentin der renommierten Figurendesignerin Rebekah Wild für Mozarts Zauberflöte in der Inszenierung von Henry Mason kreiert hat. «Ich durfte fünf von 30 Tieren selber entwickeln», erzählt sie dem AUGUSTIN, «ein Stachelschwein, einen Wüstenfuchs, einen Gecko, eine Antilope und ein Gürteltier». Schon im Dezember 2019 begannen die Vorarbeiten. Lange Internet-Recherchen, wie das jeweilige Tier sich verhält und fortbewegt, seien dem Figurenbau vorausgegangen. Gewisse Fragen waren zu beantworten: Was macht ein Chamäleon den ganzen Tag? Mit wie wenig Wasser finden Wüstentiere das Auslangen? Denn: Es kommen vorwiegend prekäre und gefährdete Tiere vor. Darüber hinaus hat Hesser weitere Tiere bemalt: einen Blaureiher, eine Springmaus, ein Chamäleon – und nicht weniger als 20 Meter Schlangenhaut! Zuerst habe sie aus billigen Materialien Prototypen angefertigt, erst später wurden die «Stabpuppen» in hochwertigeren Materialien wie Holz, Leder oder Seide umgesetzt.
«Ich merkte bald, dass mir die Mechanismen und die dazu gestellten Aufgaben total taugen.» Die Arbeit an dreidimensionalen Räumen und Objekten kämen ihr entgegen. «Ein Vorteil meines Architekturstudiums ist, dass ich mit Fragen der Konstruktion und der Statik vertraut bin – auch wenn es sich hier um kinetische, also bewegliche Objekte handelt. Außerdem ist es lustig, wenn das Ding, das du machst, beginnt, dich auch anzuschauen.» Hessers vorläufiges Fazit: «Nie zuvor hat mir die Arbeit so viel Vergnügen gemacht!»
Ihre Mentorin Rebekah Wild kann auf mittlerweile 30 Jahre Puppenbau zurückblicken. «Rebekah folgt einer angelsächsischen Figurenspiel-Tradition», erzählt Gisela Hesser, in der es darum gehe, «dass Puppen das Theater erweitern können, indem man sie nicht wie Schauspieler_innen einsetzt». Der Schwerpunkt liege nicht, oder wenigstens nicht immer, auf der Sprache, sondern auf allem, wozu menschliche Darsteller_innen nicht imstande sind. Und das führe beispielsweise dazu, «dass Tiere nicht quatschen, sondern sich eher wie Tiere verhalten dürfen». Während hierzulande sprechende Handpuppen dominieren, vom Kasperl über sogenannte Bauchredner bis zu hochsubventionierten Burgtheater-Produktionen.
Tragwein, Graz, Havanna, Berlin, Wien.
Ihre biografische Vorgeschichte kommt Gisela Hesser dabei nicht nur in einem Punkt zugute: Geboren und aufgewachsen im oö. Mühlviertel, absolviert sie nach der Matura und einer lehrreichen Episode als Kulturarbeiterin im subversiven Kulturzentrum Kanal Schwertberg eine AMS-geförderte Lehre als Tischlerin in einer Frauenwerkstatt, legt die Lehrabschlussprüfung ab und tischlert eine Zeitlang, u. a. in der Lebenshilfe. 1992 übersiedelt Hesser nach Graz, wo sie an der TU Architektur studiert. «Zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich tun, was ich wirklich wollte, und bekam dafür auch noch ein Stipendium.» Ihr Studium spielte sich großteils in den Zeichensälen ab. In diesen speziellen Freiräumen, einem Relikt der 70er Jahre, als sie von Studierenden besetzt wurden, erlebt sie einerseits Teamwork und offenes Klima, andererseits auch Kontrolle, «ob man sich diesen privilegierten Räumen würdig erweist». Mit ihren sieben Jahren Studiendauer habe sie sich noch unterm Durchschnitt befunden. «Das wäre heutzutage völlig undenkbar.» Als Ort für die Arbeit am Diplom war eigentlich ein Architekturwettbewerb in Washington DC geplant, daraus wurde relativ spontan Havanna. «Meine Ambitionen wurden aber gar nicht benötigt», weil die kubanische Metropole «von westlichen Stararchitekten verseucht» gewesen sei. Also macht sie ihr Architekturdiplom bei Joost Meuwissen im Jahr 2000 lediglich mit einer digitalen Panoramafahrt durch Havanna als Fotomontage. Danach habe sie ein Jahr lang für diverse Architekten gewerkt, gipfelnd in einem «Einfamilienhaus für Neureiche». Dann machte sie endgültig Schluss damit. «Dafür hab ich nicht studiert, dass ich meine Zeit mit Schnöseln verschwende!» Deshalb wechselt sie ins soziale und digitale Fach und unterrichtet EDV-Kurse für Frauen: abzwien.women@web. Eine ausgesprochen befriedigende Arbeit, bilanziert sie. Später wurde ihr die Projektleitung übertragen, allerdings verbunden mit «zu viel Verwaltung und zu wenig Basisarbeit».
2004 nimmt sich Hesser eine Auszeit und geht für ein halbes Jahr in die USA, davon die Hälfte in den Mittleren Westen nach Minneapolis. Zurück nach Oberösterreich, zurück zum Experiment: Zum Programm Die Ordnung der Dinge beim Festival der Regionen, das in Oö. alternativ zu den Landesausstellungen stattfindet, reicht sie ein Projekt mit dem Drehbuchautor und Filmarbeiter Gregor Stadlober ein. Thema: Gewohnte Verhältnisse. Sie beschäftigen sich mit dem Wohnbau im ländlichen Raum, einer Wohnform, in der Gisela Hesser, Kind einer Arbeiterfamilie – der Vater Vöest-Hackler, die Mutter Hausbesorgerin – selber aufgewachsen ist. Sie drehen den Dokumentarfilm Wir Lawog-Frauen haben’s schön, mit dem sie beim Filmfestival Crossing Europe einen Local Artist Award einheimsen werden. Kamermann dabei ist Marco Antoniazzi, zu dessen erstem Spielfilm Kleine Fische sie ein paar Jahre später das Szenenbildassistenz leisten wird. Ihr erster bezahlter Filmjob.
Der filmische Raum.
Darauf folgen zwei Jahre Arbeit in einer Werkstatt für arbeitslose Jugendliche (h|k|e – Handwerk, Kunst, Event), mit Schwerpunkten auf Arbeitsanleitung und Produktdesign. Und um ihr Interesse am Film mit ihrer Architekturausbildung zu verbinden, beginnt Gisela Hesser ein Szenografiestudium. Zu diesem Zweck geht sie nach Berlin an die Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf. Ihr Abschluss hat mit Wagners Rheingold zu tun und ist so betitelt: Der Glanz des Rheingolds und der filmische Raum. Zwar ist das Leben und Wohnen in Berlin vergleichsweise erschwinglich. Dennoch geht sie, aufgrund besserer Vernetzung und mehr Arbeitsmöglichkeiten, zurück nach Wien. Szenenbildassistenz, Art Direction und Grafik sind hier ihre Aufgaben. Dazu kommen historische Recherchen und Spezialrequisiten, wie etwa gefakte Kunstwerke, Fotomontagen etc. «Da hab ich oft umsonst gearbeitet, weil einige Objekte nie oder nur kurz im Bild zu sehen waren.» Einige Jahre Mitwirkung an, wie sie sagt, «TV-Meterware» folgen, viele Staffeln der bekannten Vorstadtweiber gehören dazu. Der branchenübliche Stress am Set beschert ihr 60 Wochenstunden Normalarbeitszeit plus Überstunden, bis zu 17-Stunden-Tage im Hamsterrad einer Filmproduktion. Arbeit unter diesen Bedingungen bleibt nicht ohne Folgen. Körperliche Beschwerden stellen sich ein, an ein Weiterwurschteln as usual ist nicht zu denken. Was tun?
«In dieser problematischen Phase hab ich glücklicherweise Rebekah kennengelernt», sagt Gisela Hesser. Rebekah Wild, eine neuseeländische Figurendesignerin, lebt und arbeitet seit Jahren in Wien. In ihrer Werkstatt in Ottakring wollte Hesser unbedingt mittun, also hat sie sie um ein Praktikum angefragt. Mit Erfolg. Daneben hat sie auch in ihrer eigenen Werkstatt im Kombinat West nahe des Schwendermarkts konstruiert und gebaut. So habe sich infolge einer Arbeitsüberlastung ganz zufällig eine völlig neue Perspektive ergeben. Was daraus resultiert hat, kann man jetzt mit einiger Verblüffung an der Volksoper nachvollziehen. Die Zukunft zeichnet sich für Gisela Hesser dementsprechend ab: «Ich will nur mehr Figuren bauen!» Obwohl sich eigentlich schon wieder etwas Neues ergeben hat. Aber das ist eine andere Geschichte …