Ein austropersisches UnternehmenArtistin

Von Theatermachern, die lebendige Bühnenmenschen in Comicfiguren verwandeln

Zwei reale Polit-Thriller – einen iranischen und einen mexikanischen – bringt der Theatermacher Gin Müller unter dem Titel «Fantomas Monster» auf die brut-Bühne. Die erste Hälfte, die iranische, ist im Dezember angelaufen und vom 27. bis 31. Jänner ein letztes Mal zu sehen. Die Augustin-Frage, ob er eher ein politischer Aktivist sei, der mit Mitteln der Kunst Politik mache, oder ein Künstler, der mit Mitteln der Politik Theater produziere, beantwortete er mit einem «Beides!» Sie war vielleicht gar nicht so intelligent, diese Frage. Robert Sommer besuchte einen Probedurchgang.

Foto: Jan Machacek

Wien ist eine Zuwanderungsstadt. Migrant_innen aus allen Ecken der Welt bestimmen das Straßenbild. Verlässt man die Straßen, um ein Theater zu besuchen – einerlei, ob hochdotiertes oder kaum subventioniertes –, ist es mit dieser Buntheit schlagartig vorbei. «Weißes» Bildungsbürgertum in den Sesselreihen, «weißes» Ensemble auf der Bühne. Und wenn ausnahmsweise die Hälfte des Ensembles, oder noch mehr, aus Migrant_innen und/oder Flüchtlingen besteht, wenn also das Ensemble die Zusammensetzung der Gesamtgesellschaft widerspiegelt, was eine Selbstverständlichkeit sein sollte, ist die österreichische Kunstrezeptions-Nomenklatura schnell da mit Schubkasteln wie «postmigrantisches» Theater, oder – um einen begrifflichen Dauerbrenner zu nennen – Multikulti-Theater. Derart stigmatisiert, erfahren die Beteiligten bald, dass sie sich außerhalb des Kunstdiskurses befinden. Manche Journalist_innen arbeiten daran, die Betreffenden nicht in erster Linie als (wenn auch integrationswillige) Fremde, sondern als Regisseur_innen und Schauspieler_innen wahrzunehmen. Manche andere scheinen das Problem nie zu kapieren.

Vor diesem Hintergrund tut es wohl, ein theatermachendes Kollektiv am Werk zu sehen, das wenig Aufhebens macht um seine menschliche Zusammensetzung, umso mehr aber um die Vielfalt an Medien, die hier zusammenwirken: Comics bzw. Graphic Novels, Theater, Performance, Video-Animation, Foto, Musik, Film. Nicht zufällig stehen Comics an der Spitze dieser Aufstellung, denn die Comic-Figur Fantomas steht im Zentrum des neuen Projekts des Wiener experimentellen und politischen Theatermachers Gin Müller, der den austropersischen Intellektuellen Gorji Marzban und den Wiener Medienkünstler Jan Machacek mit ins Dramaturgenboot genommen und mit Edwarda Gurrola, Kaveh Parmas, Stefanie Sourial und anderen eine wirklich vielsprachige Darsteller_innen-Crew versammelt hat. Das Geschehen auf der Bühne verwandelt sich auf einer großen Fläche im Theaterraum des brut unmittelbar in die Handlung von Comicfiguren; und wenn im kommenden Jahr, wie geplant, eine Graphic Novel in den Comic-Handel kommt, um auch eine Print-Form dieser Erzählung ins Spiel zu bringen, wird es wohl vielen schwer fallen, in den Figuren dieser Comicstrips die grafisch verfremdeten Fotos real existierender Schauspieler_innen zu erkennen.

Inhaltlich geht es in Gin Müllers Stück «Fantomas Monster» um die Erlebnisse der iranischen Künstlerin und Aktivistin Parastour Forouhar, deren Eltern – diese zählten zu den führenden Oppositionellen des Iran – 1998 vom Geheimdienst ermordet wurden. Forouhar lebt seit 1991 in Deutschland und reist regelmäßig zum Todestag ihrer Eltern nach Teheran, wo sie versucht, Gedenkveranstaltungen und Trauerfeiern für sie zu initiieren oder an solchen teilzunehmen. Immer ist sie deswegen Repressalien ausgesetzt, auch verhaftet wurde sie einmal. Im Begleitprogramm des «Fantomas Monster»-Projekts im brut wird Parastour Forouhar Fragen über ihre Erfahrungen mit den iranischen Behörden beantworten (Samstag, 28. Jänner, 16 Uhr), außerdem wird Thomas Giefers Film «Tod in Teheran» gezeigt (Sonntag, 29. Jänner, 18 Uhr). Der deutsche Filmemacher hatte das Ehepaar Forouhar kurz vor seiner Ermordung getroffen und das letzte Interview mit den beiden aufgenommen.

Mit Gorji Marzban steht Gin Müller ein außerordentlich kompetenter Berater in allen persischen Angelegenheiten zur Verfügung. Marzban ist eine schillernde Persönlicheit, im besten Sinn des Wortes: ein persischer Intellektueller, der in den verschiedensten Welten zuhause ist. Im Iran studierte er Ernährungswissenschaften, in Wien arbeitet er als Professor für Biotechnologie an der Uni für Bodenkultur. In seiner Wahlheimatstadt Wien schuf er eine soziale Anlaufstelle namens ORQOA. Mit diesem Verein will Marzban Menschen, die wegen ihrer sexuellen Neigung aus ihrer Heimat vertrieben werden, durch eine Patenschaft Hilfe leisten. Vor rund sieben Jahren gründete er außerdem die einzigartige Sammlung persischer Literatur namens «Dem Wort die Freiheit», ein Angebot aus Belletristik, Prosa, Lyrik und Literaturwissenschaft. Es umfasst hunderte Bücher, die von der persischen Zensurbehörde (die nicht den politischen, sondern den religiösen Führern untersteht) verboten wurden. Auch Marzbans Bücher sind davon betroffen. Allerdings – «wenn man dem Buchhändler vertraut, kann man ihn fragen, ob er meine Bücher quasi unterm Tisch führe», lächelt der Austroperser im Augustin-Gespräch. Für die rund 9000 Iraner_innen Wiens ist seine Büchersammlung, in der Hauptbibliothek am Gürtel situiert, ein an die Donau verpflanztes Stückerl von Teheran, das das Leben im Exil ein bisschen leichter macht.

Für Gin Müller ist Gorji Marzban kein bisher Unbekannter. Als bekennende Intersex-Person hatte er schon 2014 bei einem anderen Müller-Projekt mitgewirkt: bei «Trans Gender Moves», ebenfalls im brut am Karlsplatz.

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