«Traversing the Balkans» - Stummfilme, experimentell vertont
Die Österreich-Premiere fand bei «Crossing Europe» in Linz statt, doch vorgelagert war eine Reise quer durch den Balkan: wie es sich für ein Roadmovie gehört. Und von solch einem sprechen Maja Osojnik, Matija Schellander und Karl Wratschko, wenn sie «Traversing the Balkans» erklären.Eine Stunde dauert der Film – oder besser, die dreizehn Filme. So viele sind es, die Karl Wratschko vom Filmarchiv Austria aus den Tiefen diverser Archive geschöpft hat, um eine Reise von Norden nach Süden, von Wien nach Ljubljana, von Maribor nach Zagreb, nach Vukovar und Belgrad filmisch zu erfassen. Zeitraum: die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Digital und 35 Millimeter, in Kinos, auf Filmfestivals und in Museen vorgeführt, mit ungeschnittenem Dokumentar-, Werbe- und Amateurmaterial aus den Filmarchiven der Städte «along the road». Vertont wurde nicht klassisch am Klavier, sondern ganz unklassisch experimentell vom Duo Rde?a Raketa, bestehend aus Maja Osojnik und Matija Schellander. Das Publikum dankte es nicht immer mit Verständnis, aber das, so Osojnik «ist schon ok».
Erzählt doch mal, wie es dem Publikum mit euch ergangen ist.
Maja Osojnik: In Vukovar kam ein achtzigjähriger Mann mit vielen wirklich alten Freunden zur Vorführung. Vor dem Saal hat er sehr stolz erzählt, dass sein Großvater ein Stummfilmpianist war, und alle haben sich irrsinnig auf den Event gefreut. Dann kommt Rde?a Raketa! Der Mann war total verzweifelt. Einmal hat er laut dazwischengerufen: He, können Sie nicht kurz aufhören, und wir hören wieder unser altes Klavier, so wie es sich gehört?
Und wie reagiert ihr darauf?
Maja Osojnik: Ich finde es ok, dass jemand damit auch mal nichts anfangen kann; und ich finde es ok, dass jemand verstört ist. In Belgrad hat zum Beispiel ein Musikreporter gesagt: «Das ist schrecklich, aber für diese Filme passt es wunderbar.»
Karl Wratschko: Er hat gesagt: «Ich hoffe, ihr könnt davon leben. Musik ist es aber keine.»
Fangen wir vorne an: Wie seid ihr auf Idee gekommen, Stummfilme quer durch Europa zu zeigen und dann noch mit experimenteller Musik zu vertonen?
Karl Wratschko: Wir haben vorher schon zusammengearbeitet, haben sehr viele Aufführungen in Wien und in den Bundesländern gemacht, und wir wollten mal raus aus Österreich, wir wollten auf den Balkan. So sind wir auf die Idee gekommen, ein historisches Roadmovie zu machen – und es hat sich gezeigt, dass wir hauptsächlich Filme aus Österreich haben und die Filme von vor Ort fehlen. Wir haben also begonnen, Archive an den diversen Orten anzuschreiben, um gemeinsam Filmprogramme zu kuratieren und an lokalen Veranstaltungsorten aufzuführen.
Maja Osojnik: Das Spannende bei der ganzen Sache ist, dass Wien auch so eine Stätte geworden ist – kurzes Lob an Karl, er hat damit begonnen -, wo experimentelle Musiker_innen Stummfilme vertonen. Auf unserer Reise haben wir noch einmal gemerkt, dass das absolut keine Selbstverständlichkeit ist. Es war spannend, ein Publikum zu konfrontieren, das eigentlich gewohnt ist, solcher Art Filme immer mit einem Klavier als Begleitung zu sehen.
Wie hat sich diese Reise abgespielt?
Matija Schellander: Wir haben uns in ein Auto gesetzt, sind von Wien zum Zentralfilmarchiv in Laxenburg gefahren, haben die Filmrollen abgeholt und sind nach Maribor gefahren. Und dann immer weiter.
Und in jeder Stadt kamen Filme dazu?
Karl Wratschko: Wir haben eine Kiste gehabt, da waren dreizehn Filme drin, und dann haben wir zum Beispiel in Ljubljana vom Filmarchiv zwei Filme dazubekommen. Uns war bei dem Projekt wichtig, dass wir nicht einfach aus Österreich daherkommen und von außen sagen, was Kultur ist, sondern dass man Kultur gemeinsam entwickelt.
Maja Osojnik: Dieser Satz ist wichtig: dass die Filme, ich zitiere den Karl, zurück an ihre Orte kommen. Dorthin, wo sie gedreht wurden und wohin sie gehören. Es war uns ein Anliegen, die Örtlichkeit von Filmen zu zelebrieren.
Es gab also Abend für Abend ein neues Filmprogramm mit neuer Vertonung?
Karl Wratschko: Es war jeweils sehr schön, das Programm für den Abend zusammenzustellen. Wir hatten auch täglich lange Diskussionen darüber, warum wir was zeigen. Der Umgang mit historischen Konflikten und mit einer gemeinsamen Vergangenheit ist gerade in der Region sehr interessant, und mit diesen Fragen waren wir ständig konfrontiert – was schließlich Sinn der Sache war. Nimm das Attentat von Princip her, es wird überall anders interpretiert. Damit mussten sich Matija und Maja auch musikalisch auseinandersetzen. Ich habe das Programm während der Tournee sechsmal gesehen, und es war jedes Mal vollkommen anders. Maja und Matija müssen spontan reagieren, was zur Gruppe gut passt, weil sie viel improvisieren.
Maja Osojnik: Und wir waren mit ganz unterschiedlichen Räumen konfrontiert, was die Akustik betrifft und die Soundsysteme, und auch dadurch hat sich unsere Musik von einem Tag zum anderen total geändert. Einmal war’s sehr akustische, eher zeitgenössische, neue Musik – ein andermal extrem noisy und brutal.
Wie geht ihr so eine Stummfilmvertonung an?
Matija Schellander: Es können verschiedene Sachen sein, auf die wir reagieren: eine Bewegung, ein Bild, ein Tempo … es ist schwierig, wirklich zu erklären, was da passiert. Teils ist das intuitiv; aber wir haben natürlich in unserer Arbeit so eine Art Klangvorstellung. Wir haben die Filme bekommen und dazu improvisiert und dann immer wieder Material festgelegt für gewisse Szenen, und das kommt dann immer ein bisschen anders vor, das ist sehr flexibel.
Maja Osojnik: Was wir auf keinen Fall wollten, ist direkt zu vertonen. Wir wollten keine Cuts zwischen den Filmen machen, Sondern auch damit spielen, gewisse Atmosphären vorauszunehmen, die kommende Szene vorzubereiten oder etwas im nächsten Film noch nachklingen zu lassen. Keine Vertonung im Sinne einer Geschichte – wenn es um Liebe geht, kommen die Streicher und alles ist schön und süß. Wir wollten einen größeren Bogen schaffen, und trotzdem entsprechen wir musikalisch der Band: Man erfindet nichts neu, sondern verbindet die eigene musikalische Ästhetik mit dem Bild.
Nach welchen inhaltlichen Kriterien habt Ihr euch für Filme entschieden?
Karl Wratschko: Es sollte ein Roadmovie sein, die Reise von Norden nach Süden, also stand am Anfang eine geographische Auswahl. Dann gibt es immer wieder Entscheidungen zu treffen: wie viel Krieg, wie viel Militär, wie viel K.-u.-k.-Nostalgie zeigst du – mir war es wichtig, gegen diese Nostalgie zu arbeiten. Und dann gibt es technische Kriterien. Wenn du auf Film projizieren willst, musst du eine projizierbare Kopie haben.
Maja Osojnik: Dazu kommt eine Auswahl von Bildern, die jemanden kurz bewegen, wo man sagt, das ist eine total schöne Szene, wie zum Beispiel die Affen auf der Insel in Kombination mit dem kaputten Filmmaterial – das war schon eine sehr emotionale Auswahl.
Ihr möchtet noch eine zweite Reise machen, über Albanien bis Istanbul.
Matija Schellander: Das ist geplant, aber es ist vor allem wegen der Finanzierung offen, wann das passiert.
Karl Wratschko: Im Herbst werden wir auch noch eine Aufführung in Wien haben. Aber die Reise durch den Balkan war auch wichtig, weil die ganze Region immer noch kulturell unterschätzt wird. Es gibt wenige österreichische Künstler, die dort Tourneen machen; jeder spielt in Berlin oder London, es ist eher die Ausnahme, dass man mal nach Belgrad geht oder nach Vukovar und versucht, dort Kooperationen aufzumachen; ich glaube, unser Roadmovie war auch ein Startpunkt, aus dem sich neue Dinge ergeben.
Fotos: Carolina Frank