«Ein Betriebsrat ist wie ein Sieb»tun & lassen

Eva Eberhart, Betriebsatsvorsitzende (Foto: Jana Madzigon)

Eva Eberhart verhandelt die Gehälter für Hotel- und Gastgewerbe.
Im Gespräch berichtet sie von den vielen Baustellen der Gastronomie und von ihren Wünschen für die diesjährigen Kollektivvertragsverhandlungen, die soeben begonnen haben.

Sie sind ja als Betriebsratsvorsitzende freigestellt. Wie sieht ihr Arbeitsalltag aus?

Eva Eberhart: Heute habe ich Mails kontrolliert und Dienstpläne bearbeitet. Wenn zu viele Personen in einer Filiale krank werden, schaue ich, in welchen Filialen es Personen gibt, die aushelfen können, damit niemand Überstunden machen muss. Das ist der Vorteil, wenn man viele Standorte hat. Ich springe auch gerne selbst ein. Da kann man den Leuten näher kommen und reden. Oft trauen sich die Personen nicht, Probleme zu kommunizieren, aus Scheu, dass sie dadurch in Ungnade fallen.
Ein immer größer werdendes Thema ist Belästigung am Arbeitsplatz. Viele Frauen denken, sich das gefallen lassen zu müssen. Ukrainische Zimmermädchen auf einer Alm in Kitzbühel haben sich an mich gewandt, weil ihr Chef sie nach Dienstschluss regelmäßig in den Zimmern auf ihren Betten erwartete, um zu trinken. Ich habe ihnen geraten zu kündigen und die Sache zu melden.
Es ist auch wichtig, Leute über die Gesetzeslage und ihre Möglichkeiten zu informieren. Die Zimmermädchen können innerhalb eines Tages einen besseren Job finden.

Wenn im Hotel- und Gastgewerbe ein solcher Arbeitskräftemangel herrscht, warum ist der kollektivvertragliche Mindestlohn so gering?

Nicht alle, die am Verhandlungstisch sitzen, haben einen Zugang zum Thema. Ich bin im Verhandlungsteam für den Kollektivvertrag und weiß leider, wie das funktioniert. Oder besser gesagt: nicht funktioniert. Ich persönlich würde ungern unter 2.300 Euro brutto abschließen. In der Vergangenheit haben wir immer nur 30 oder 40 Euro mehr bekommen. 2021 während COVID haben wir gar nichts abgeschlossen, weil wir uns nicht einigen konnten. Die letzte Einigung war 1.800 Euro brutto, geltend seit Mai 2023. Das deckt noch keine Lebenshaltungskosten. Was wir uns auch wünschen, ist ein fixes Wochenende frei im Monat.
Es wird manchmal mit dem guten Trinkgeld im Dienstleistungssektor argumentiert. Aber was bringt das, wenn man in den Krankenstand oder Pension geht? Jetzt beginnen die Verhandlungen wieder und sind hoffentlich im Mai abgeschlossen.

Häufig wird in der Gastronomie gegen den bestehenden Kollektivvertrag und das Arbeitsrecht verstoßen. Wie kann es sein, dass die Betriebe damit durchkommen?

Meiner Meinung nach braucht es höhere Geldstrafen bei Lohn- und Sozialdumping. Über eine 1.000-Euro-Strafe lachen die Betriebe. Es ist rentabler, eine Strafe zu riskieren, als fair zu entlohnen. Am liebsten wäre es mir, bei Verstößen gegen das Arbeitsrecht am Eingang ein Plakat anbringen zu müssen, das aussagt: Ich behandle meine Mitarbeiter schlecht. (Lacht.) Das wäre effektiv. Die Verantwortung liegt auch bei den Kundinnen und Kunden. So bewusst wie sie im Supermarkt einkaufen, sollten sie auch entscheiden, in welchen Restaurants sie ihr Geld lassen.

In kaum einem Arbeitssektor werden so wenige Betriebsräte gegründet wie in der Gastronomie. Woran liegt das?

Ganz einfach: Viele wissen nicht, dass es möglich ist. Die Hälfte aller Beschäftigten in der Gastronomie sind Migrant:innen. Es gibt Unwissen und Unsicherheiten, was die österreichische Gesetzeslage angeht. Die Fluktuation in Betrieben ist in dem Sektor außerdem sehr hoch, was ein Problem darstellt, denn ich wähle einen Betriebsrat für fünf Jahre. Der Betriebsrat kann Betriebsvereinbarungen abschließen, sodass viele in solchen Unternehmen mehr verdienen als im Kollektivvertrag festgelegt. Es werden Prämien ausverhandelt. Dadurch wird wiederum die Fluktuation verringert.
Jetzt gibt es mit dem Burger-Restaurant Swing Kitchen eine neue Kette. Die Gewerkschaft hat den Filialen ein paar Mal einen Besuch abgestattet, mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geredet und ein paar Broschüren dagelassen. Und ziemlich bald haben sie einen Betriebsrat gegründet.
Ich rate jedem, einen Betriebsrat zu wählen. Es ist eine Brücke zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Wie ein Sieb: Das meiste bleibt bei mir und runter kommt wirklich das, was kommen muss. Die Essenz des Ganzen.

Sie haben höhere Strafen vorgeschlagen. Selten aber melden die betroffenen Personen Verstöße, weil sie Angst haben, ihre Jobs zu verlieren. Was fehlt?

Die mediale Aufmerksamkeit. Die Leute müssen sehen, dass es die Arbeiterkammer gibt, die Gesetze, die Gewerkschaft. Wie oft wird in den Nachrichten über Kollektivverhandlungen in der Industrie geredet und über Streiks der Branche? Verstöße im Gastronomiesektor werden eher unter den Tisch gekehrt. Von Martin Ho, dem Inhaber von DOTS und der Pratersauna, der seine Mitarbeiter oft zu spät oder gar nicht ausbezahlt hat, hört man beispielsweise nichts mehr. Medien sollten auch mehr zeigen, dass Klagen Erfolg haben können.

Fehlende Jobalternativen für Migrant:innen und hohe Hürden für den Aufenthalt Drittstaatsangehöriger schaffen ein Abhängigkeitsverhältnis, das Betriebe ausnutzen. Von welchen rechtlichen Fällen können Sie da berichten?

Vor allem von nicht ausbezahlten Überstunden, falschen Anmeldungen und nicht eingehaltenen Wochenruhen. Menschen zeigen uns, wie viele Stunden sie sich aufgeschrieben haben. Und ihre Lohnzettel und wie viel weniger Stunden ihnen der Arbeitgeber ausbezahlt hat. Lehrlinge werden wie Tellerwäscher behandelt. Ich kenne einen Betrieb, in dem der 17-jährige Lehrling bis ein Uhr nachts arbeiten muss, was eigentlich verboten ist. Dafür muss es auch höhere Strafen geben.

Die Gewerkschaft vida kritisiert seit Jahren, das AMS verhängt zu selten Vermittlungssperren an Betriebe, die systematisch Arbeitsrecht verletzen oder Anzeigen beim Arbeitsinspektorat anhängig haben. Wie kann das sein?

Wenn es in meiner Verantwortung läge, würde ich das vor allem publik machen. Und wenn Personen nach Jobs suchen, dann sollte online in den Annoncen vermerkt sein, wo es gute Betriebsvereinbarungen gibt und welche Betriebe mehr als den kollektivvertraglichen Mindestlohn bezahlen. Es sollte eine öffentlich zugängliche Liste geben, auf der diese Betriebe gelistet sind. Das AMS lebt von unseren Steuergeldern. So etwas sollte nicht passieren.
Das AMS sollte über die Verstöße Bescheid wissen, denn sie arbeiten ja mit den Krankenkassen zusammen. Aber es ist auch viel automatisiert und auch das AMS ist mit zu wenig Angestellten überfordert. Ich bezweifle, dass die Bearbeiter eines Falles immer genau wissen, wen sie vermitteln. Dafür ist zu viel Bürokratie im Spiel. Betriebe müssen also wirklich auf eine Blacklist gesetzt werden, sodass sie gar erst nicht vermittelt werden können.

Einer rezenten FORBA-Studie zufolge kann die Hälfte aller Beschäftigten in der Gastronomie sich nicht vorstellen, ihre Arbeit bis zur Pension ­auszuüben. Was wären mögliche Optionen, dem entgegenzuwirken?

Auch für die Gastronomie gibt es gewisse Altersteilzeitmodelle. Aber das wird zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausgehandelt. Wenn der Arbeitgeber ablehnt, kann der Arbeitnehmer nicht in Altersteilzeit gehen. Und viele gehen dann entweder ganz, oder runter auf 20 Wochenstunden, was sie später in der Pen­sion spüren.
Man kann in anderen Bereichen der Gastronomie arbeiten und muss nicht mit 50 Jahren in der heißen Küche ständig schwere Töpfe tragen. Tätigkeiten wie Arbeitsplanung und Bestellungen kann man im Büro machen. Dafür sind betriebliche Umschulungen und Weiterbildungen nötig.

Und wenn sich Betriebe das aber nicht leisten können?

Das ist schwieriger. Dann sollte die Regierung Weiterbildungen finanzieren. Und zwar präzise auf Person und Betrieb zugeschnitten. Ein Englischkurs ist zwar schön und gut, hilft im Alter aber wenig, in dem Sektor einen Job zu finden. Bildung ist Macht. Man kann dir alles wegnehmen, aber das bleibt.

 

Eva Eberhart hat die Hotelfachschule in der Slowakei absolviert, wo sie geboren und aufgewachsen ist. Dort begann sie Jus zu studieren, kam nach Österreich um das Studium fortzuführen, wurde aber schwanger, brach das Studium ab und hatte danach immer Teilzeitjobs – meist in der Gastronomie. Seit 2004 arbeitet die 52-jährige bei Nordsee im ersten Bezirk in Vollzeit. Als erste Frau und Migrantin wurde sie im selben Jahr zur Nordsee-Betriebsratsvorsitzenden gewählt und anschließend dreimal wiedergewählt.