Ehemaliger Oberst kaufte sich seinen früheren Arbeitsplatz
Museen sind Andreas Scherer lieber als Friedhöfe. Aus diesem Grund hat er eine aufgelassene Sperrstellung des österreichischen Bundesheeres in ein Museum verwandelt: in das Bunkermuseum am Wurzenpass. Chris Haderer (Text & Fotos) hat sich dort umgesehen.
Was macht ein Polizist, wenn er im Lotto gewinnt? «Er kauft sich eine Ampel und macht sich selbständig», umschreibt Andreas Scherer seinen eigenen Lebensweg. Als Oberst des höheren militärfachlichen Dienstes beim österreichischen Bundesheer kaufte er sich eine aufgelassene Bunkeranlage – und machte ein Museum daraus. «Sein» Bunkermuseum liegt gut versteckt im Wald am Wurzenpass an der B109 im Dreiländereck Kärnten-Slowenien-Italien. Es ist ein Platz, von dem man richtig gut «ins Land einischaun» kann, und nicht nur in eines. Errichtet wurde die größte Bunkeranlage der Zweiten Republik ab 1962 im «Kalten Krieg» zwischen Ost und West, um drei Steck- und zwei Sprengsperren zu schützen, die im Ernstfall den Durchmarsch von Truppen der NATO oder des Warschauer Paktes durch das neutrale Österreich verhindern sollten. Gemäß der «Spannocchi-Doktrin» sollten Angreifer entlang der wichtigsten Bewegungslinien durch Sperren zum Stehen gebracht und ein Durchmarsch durch Österreich wegen des Zeitaufwandes uninteressant gemacht werden. «Am Wurzenpass sollten vor allem Vorstöße aus Jugoslawien blockiert werden», erzählt Andreas Scherer, der bis zur Schließung der Anlage im Jahr 2004 der letzte Bataillonskommandant der «Alpenfestung» war. «Es war eine Anlage, die gebaut wurde, um nie eingesetzt zu werden. Sie diente hauptsächlich dazu, um zu zeigen, dass Österreich gerüstet ist und uns ein potenzieller Angreifer deshalb in Frieden lässt.» Scharf geschossen wurde am Wurzenpass nie, aber 1968 beim Prager Frühling und zuletzt 1991 beim slowenischen Freiheitskampf waren die Geschütze mit scharfer Munition bestückt. «Kampfhandlungen sind uns am Wurzenpass zum Glück erspart geblieben», sagt Andreas Scherer – sie wären auch das Todesurteil für viele der 250 Reservisten der «Sperrkompanie WURZEN/73» gewesen. Am Mündungsfeuer hätte ein Aggressor die unbeweglichen Geschütze ausmachen und «neutralisieren» können, wie das im Militärjargon heißt. «Man glaubt immer, dass man in einem Bunker sicher ist. Bei einer solchen Kampfanlage ist aber das einzig Sichere, dass man es nicht überleben wird. Das war für mich mit ein Grund, aus der Anlage ein Museum zu machen. Man soll nicht vergessen, dass wir uns das Gott sei Dank erspart haben, denn im Ernstfall wären unsere Kreuze sprichwörtlich schon geschnitzt gewesen.» Um einen Durchzug von Panzern zu verhindern, «hätten wir außerdem die Wurzenpass-Bundesstraße gesprengt – und wir wären nicht mehr nach Hause gekommen.»
«Von Freunden umzingelt.»
Letztlich ist keines der im Raumverteidigungsplan der Republik an die Wand gemalten Ereignisse wahr geworden. Im Jahr 2004, seit «wir von Freunden umzingelt sind», wie der Museumsbetreiber es ausdrückt, wurde die Anlage stillgelegt. Im Laufe eines anstrengenden Abends im Offizierskasino erfuhr er mehr oder weniger zufällig, dass sie zum Verkauf stünde. Schon mit einem ersten Plan im Hinterkopf schlug er zu und eröffnete 2005 das Museum. «Als Mahnmal am europaweit einmaligen Dreiländereck soll unser Bunkermuseum am Schnittpunkt dreier Kulturen eindrucksvoll und authentisch zeigen, was in unserem friedlich vereinten Europa erfreulicherweise überflüssig geworden ist», sagt Andreas, übrigens der Bruder des Pianisten Uli Scherer, der unter anderem als Gründungsmitglied des Vienna Art Orchestra bekannt ist. Und weiter: «Mir sind Museen lieber als Friedhöfe. Unsere Besucher sollen einen Eindruck davon bekommen, dass Krieg nicht so lustig ist, wie es in Battlefield oder World of Tanks aussieht. Dort gibt es einen Reset-Knopf. In der Realität gibt es den nicht, und dann sterben Menschen.»
Darum ist das Bunkermuseum auch keine Militär-Schau, obwohl am Gelände jede Menge Kriegsgerät zu sehen ist, von Panzern bis zu Geschützstellungen. Eines der Spezialprogramme, die regelmäßig angeboten werden, schließt eine Rundfahrt in einem Schützenpanzer ein, die einen recht hautnahen Eindruck vermittelt, was für ein Luxusauto ein Mini im Vergleich dazu ist. Wer so eine Rundfahrt unbeschädigt überlebt, darf sich zur Belohnung an einem «Kanonengulasch» stärken – aus der Gulaschkanone und zubereitet vom ehemaligen Koch der Bunker-Kompanie und jetzigem Küchenchef beim Kärntner Roten Kreuz.
Josef Ka im Nervennetz der Anlage.
Das Bunkermuseum liegt auf knapp 1000 Meter Höhe. Etwa drei Kilometer vor der slowenischen Grenze tauchen auf der rechten Seite der Wurzenpass-Bundesstraße (Hinweis für Radfahrer_innen: 18 Prozent Steigung) ein Parkplatz und gegenüber ein Waldweg auf. Über den geht es etwa dreihundert Meter zu Fuß weiter bis zum Eingang. Auf den ersten Blick sieht man jede Menge Militärmaterial, vom Panzer bis zum Geschützturm, darunter «CENTURION Panzertürme mit 10,5cm Panzerkanonen» oder «12,7mm Maschinengewehre», wie ich dem Begleitheft entnehme. Einige Geschütztürme waren «scharf» und konnten über das Bunkernetz erreicht werden. Andere wiederum dienten nur zur Ablenkung und um eine höhere Feuerkraft vorzutäuschen. Jetzt kann man Attrappen und Originalwaffen mit zugeschweißten Läufen besichtigen. «Zusätzlich gibt es Themeninseln, wie etwa verschiedene Arten von Panzersperren.» An letztere erinnert auch die am Gelände ausgestellte Skulptur «Kaltes Feld (Denkmal des Kalten Krieges am Kärntner Wurzenpass)» von Michael Kos. Einem Werk des Kärntner Künstlers begegnet man übrigens schon bei der Anfahrt zum Bunkermuseum: «Lexikon der Berührung» heißt die mehrsprachige Arbeit am Beginn der B109, kurz vor Riegersdorf. Der Krieg, den keiner will. «In herkömmlichen Kriegen Traumwaffen einsetzen», forderte der russische Futurist Welimir Chlebnikov in seinen Vorschlägen an die Vorsitzenden des Erdballs. «Den Todeswind der Kriege in einen Traumwind umschmieden.» Greifbar wird diese Idee, als sich eine bleiche junge Frau über Panzersperren und Gitter rollt: die russische Performance-Künstlerin Josef Ka. Eindrucksvoll visualisiert sie für ein Fotoshooting im Nervennetz der Anlage den Albtraum vergangener und zukünftiger Kriege.
Das ist aber nur der überirdische Teil. Insgesamt 11.400 Quadratmeter ist das «Kernareal» des Bunkermuseums groß, und es «besteht aus sieben miteinander verbundenen Bunkern», erklärt Andreas Scherer. «Dabei handelt es sich um verschiedene Typen, wie Panzerabwehr, Infanterieabwehr, Kommando, Versorgung und Wohnanlagen. Alle sind mit kompletter Infrastruktur ausgestattet, wie Strom und Telefon.» Verbunden sind die einzelnen Bunker durch unterirdische oder durch Tarnnetze versteckte Gänge. Alles ist eng, man geht geduckt durch die Schleichwege, zwischen Felsen, Erde, Drahtgittern und Netzen. Wie Krampfadern durchziehen die Gänge den Waldboden, führen zu den schmalen, in ein Betonkorsett gegossenen Eingangstüren der einzelnen Bunker. In einem Seitengang versteckt sich ein Plumpsklo, gut belüftet und im Winter sicher eine aufregende Erfahrung. In den Bunkern gibt es keine Ausschmückungen: kahle, niedere Wände, da und dort ein Ofen, Tische, Betten, Regale; schlicht, aber scheußlich. Die Räume befinden sich in dem Zustand, in dem sie bei der Stilllegung der Anlage hinterlassen wurden. Auf den Punkt gebracht: ein Ferienressort für Masochisten.
Keine militärische Leistungsschau.
«Unsere Besucher reagieren einerseits ziemlich überrascht, weil sie nicht mit dem gerechnet haben, was sie bei uns sehen, und andererseits auch betroffen. Durch die Gänge in die Bunker hineinzugehen, hat etwas sehr Beklemmendes, und das hinterlässt einen bleibenden Eindruck.» Bleibende Eindrücke sind auch im Gästebuch des Bunkermuseums zu finden: «Vor zwei Jahren hatten wir gleichzeitig eine amerikanische und eine russische Familie hier», erinnert sich Andreas Scherer. Beide trugen sich auf der gleichen Seite im Gästebuch ein – und «genau dazwischen hat sich eine weitere Familie verewigt: Wir waren auch da. Deutschland, vormals DDR. Da habe ich Gänsehaut bekommen. Wenn man merkt, dass da etwas an Eindrücken mitgegeben worden ist, dann ist das eine große Genugtuung und Anerkennung.» Mit dem Bunkermuseum will Andreas Scherer letztlich «Zeitgeschichte zum Anfassen» bieten: «Es geht nicht um die Römer oder die Punischen Kriege, sondern um unsere Zeitgeschichte. Es hätte uns betreffen können.» Wer sich im Bunkermuseum trotz schwerem Kriegsgerät eine militärische Leistungsschau erwartet, sollte auf der Wurzenpass-Bundesstraße allerdings gar nicht stehenbleiben, sondern einfach weiterfahren. Drei Kurven weiter ist Österreich zu Ende und Slowenien beginnt. Bis vor kurzem war es eine offene Grenze, jetzt kontrollieren die Österreicher_innen wieder – auch Kärntner_innen, die nur preiswert Zigaretten im «Kompas Shop» gleich neben der Staatsgrenze einkaufen wollen. Nach einem Besuch im Bunkermuseum fühlt sich das durchaus so an, als hätte man gerade eine Zeitreise gemacht.
Bunkermuseum Wurzenpass
9587 Riegersdorf, Krainberg 73
www.bunkermuseum.at
Radio Augustin bringt dazu am 11. Dezember um 15 Uhr eine Reportage.