Ein Film, ein Haus und kein Happy EndArtistin

Filmhaus «Annelie»: von der Absteige zum Design-Hotel

Vor zwei Jahren berichteten wir hier von einem Film, der der Münchner Wohnpolitik eine gezielte Watsche gibt: «Annelie», das Porträt einer Pension für ehemalige Wohnungslose. Anfang Dezember wird «Annelie» beim Filmfestival «This Human World» gezeigt – danach diskutieren wir mit Expert_innen der Wohnungslosigkeit aus Wien und Budapest. Frank Seibert hat sich inzwischen im Zentrum der teuersten Stadt Deutschlands herumgetrieben, um zu erfahren, was aus dem «Haus Annelie» geworden ist.

Foto: Annelie-DerFilm.de

Landwehrstraße 19, ein Gebäude, nur 500 Meter vom Münchner Hauptbahnhof entfernt. Graue Betonplatten, fünf Stockwerke hoch. Weiße Fenster, vergilbte Balkonverkleidungen. Im Erdgeschoss: ein Kiosk, ein Sex-Kino und eine Strip-Bar. Über der Einfahrt zum Hinterhof hängen Leuchtreklamen von Münchner Lokalzeitungen, dazwischen die Aufschrift «Hotel Annelie». So wie hier beschrieben, gibt es das Haus nur noch auf Google Maps zu sehen. Und zwar nur, weil die Internetfirma schon länger kein Kamera-Auto mehr vorbeigeschickt hat. Wären die Aufnahmen aktuell, würde man an derselben Adresse ein Haus entdecken, dessen Fassade noch recht frisch aussieht. Es hat große Fensterflächen, von Balkonen keine Spur. Heute ist darin ein Design-Hotel.

In den Neunzigern hatte die Stadt die alte Pension in der schäbigen Bahnhofsgegend angemietet, um dort Wohnungslosen und Hilfsbedürftigen ein Dach über dem Kopf zu geben. Schon zu diesem Zeitpunkt war das Innere der rund sechzig Apartments ziemlich abgerockt und nicht mehr als Gasthaus nutzbar. Über ein Jahrzehnt wohnten von da an ehemals Wohnungslose Tür an Tür mit Leuten, die andere Schwierigkeiten hatten: Drogenabhängigkeit, Kleinkriminalität. So lange, bis die Zustände aus baulicher Hinsicht und wegen ihrer Betriebsführung nicht mehr tragbar waren. «Katastrophal» sei das gewesen, bestätigt das Sozialreferat der Stadt. Im Klartext: Mehrere Bewohner_innen sind in dieser Zeit gestorben, das Haus war ein verwahrloster Ort. An Renovierungen hat offenbar niemand gedacht. 2009 wurde die Zusammenarbeit zwischen dem Vermieter und der Stadt schließlich beendet.

Bitte ziehen Sie aus, Ihr Viertel wird aufgewertet

Der Regisseur Antej Farac hat all das hautnah mitbekommen, er hat damals gegenüber gewohnt. «Haus Annelie» sei keine Seltenheit gewesen in München, sagt Farac. In näherer Umgebung hätten noch zwei oder drei weitere ausgediente Gästehäuser auf diese Weise als Obdach gedient. Von der Stadt hätte sich damals niemand blicken lassen. Generell schien sich für die Menschen und das Thema Armut keiner richtig zu interessieren. «In München hat man sehr lange die Realität ausgeklammert», sagt Farac. Als er Filmförderungen beantragte, um das Schicksal des Hauses in einem Film zu dokumentieren, bekam er viele Absagen. Und auch heute findet man kaum Informationen über die Geschichte von Haus Annelie, Zeitungen und Magazine haben nicht berichtet. Den Film hat Farac trotzdem – oder gerade deshalb – gedreht.

Die Räumung von Annelie sei für manche der Bewohner eine Art Todesurteil gewesen, meint der Regisseur. «Im Haus hatten sie Struktur, sie haben aufeinander aufgepasst», sagt er. All das sei weggebrochen. Zu einigen Ex-Bewohner_innen und damit auch Protagonist_innen seines Films hat Farac noch heute Kontakt. Ein paar hätten andere Apartments gefunden – und seien dort jetzt zufrieden. So wie die Transsexuelle Laura.

Wie geht eine Stadt – die als die teuerste Deutschlands gilt – mit Menschen um, die sich keinen Wohnraum leisten können? Während 2010 etwa 2400 Menschen in bereitgestellten Notquartieren oder Pensionen gelebt haben, sind es 2015 schon knapp 4700. Und diese Unterkünfte zu finden, ist wegen der knappen Wohnungssituation gar nicht so leicht. «Die Stadt ist auf Pensionsplätze angewiesen», sagt Frank Boos. Man suche gezielt, hin und wieder kämen auch Eigentümer_innen auf das Referat zu. Derzeit nutzt die Stadt rund 3600 dieser Plätze. In der Regel sind die dann angemietet. Man achte darauf, was das für Gebäude sind, sagt Boos. Es gebe aber immer auch solche, die ihre verrotteten Immobilien vergolden wollten.

Auch Alteingesessene, darunter Familien, verlieren in München immer öfter ihre Bleibe. Das liegt hauptsächlich daran, dass es nicht genügend Wohnraum gibt, um den Zuwachs an neuen Bürger_innen auszugleichen. Und weil die Nachfrage sehr viel größer ist als das Angebot, steigen die Preise ins nahezu Absurde an. Wirklich bezahlbarer Wohnraum ist in dieser Stadt nicht leicht zu finden. Denn wenn das Potenzial der Immobilie nicht ausgeschöpft wird, dann handeln die Eigentümer_innen in der Regel schnell – mit massiven Konsequenzen für die Mieter_innen. Mieter_innen, die ihr Zuhause verlassen müssen, weil das Haus kernsaniert oder gar abgerissen wird – das ist keine Seltenheit in München.

Die städtischen Wohnungsgesellschaften bauen 780 Neubauwohnungen pro Jahr – geplant waren eigentlich 1000. Die Politik im Stadtrat überbietet sich mit immer neuen, noch höheren Zielzahlen. Wie viele davon aber wirklich umgesetzt werden, ist sehr fraglich. Dazu kommt, dass viele deutsche Großstädte in den vergangenen Jahren einen Großteil ihrer Wohnungen privatisiert haben, um damit kurzfristig Geld in die Haushaltskasse zu bekommen. Was dazu führt, dass in München ohnehin nur noch zwanzig Prozent der Wohnungen in öffentlicher Hand sind.

Frank Seibert arbeitet in München als freier Journalist. Hauptsächlich ist er für den Bayerischen Rundfunk unterwegs. Er selbst wohnt verhältnismäßig günstig – allerdings in einer WG in einem unsanierten Altbau.

Augustin bei «This Human World»

Ob Dach oder keines

Filmscreening «Annelie» (Regie: Antej Farac, mit Georg Friedrich u. a.) und anschließende Diskussion über soziale Bewegungen und Wohnpolitik in Wien und Budapest, mit Susi Gollner (Augustin-Verkäuferin), zwei Aktivist_innen der Initiative «Die Stadt gehört allen» (Budapest) und Raphael Kiczka («Recht auf Stadt», Wien)

Sa., 5. 12., 18 Uhr

Brunnenpassage, Yppenplatz, 1160 Wien

Eintritt frei

www.thishumanworld.at