«Ein Gastarbeiter wie aus dem Bilderbuch!»Dichter Innenteil

Briefe an die Mama

Hallo Mama!

Wie geht es? Wenn du nach meinem Befinden fragst, Gott sei Dank, gut! Inschallah geht es meinem Vater und den Geschwistern auch gut! Hier ist das Wetter zurzeit schön! Jedoch gab es in den Bundesländern viele heftige Gewitter!Stell dir vor, Mama, ich bin zum ersten Mal in Paris gewesen! Das sei die Stadt der Liebe, so sagt man, aber nicht der «Nächstenliebe», vielmehr muss es in einem erotischen Sinne verstanden werden!

Eine bunte Mischung an Menschen bietet einem diese teure Stadt. Die Wohnungsmieten sind sehr hoch. Und wenn man für einen Cappuccino sechs Euro bezahlen muss, ist mir schon lieber, im Café Museum an einem großen Tisch stundenlang zu sitzen, dabei eine Melange für vier Euro fünfzig zu trinken und Tageszeitungen gratis zu lesen.

In den Pariser Kaffeehäusern herrscht auch akuter Platzmangel. Alle Gäste sitzen so dicht nebeneinander, dass man keine Luft kriegt und von Privatsphäre ganz zu schweigen. Gott sei Dank spreche ich nicht Französisch, sonst hätten viele im Café alles verstehen können.

Natürlich haben die pompösen Bauten ihre Reize! Und sehr viele Goldstatuen auf den Dächern! Aber ich möchte nicht wissen, mit welchem Blut das Gold dorthin gekommen ist!

Die Hochzeitsfeier, die mich nach Paris führte, war schön! Eine Marokkanerin ehelichte einen Schweizer. Wir hatten Paris unter unseren Füßen neben Sacré-Cur, und ich habe dort Menschen fotografiert, die die Basilika fotografiert haben. Oder viele Händler, die den Touristen die Wahrzeichen von Paris verkauften, wie den Eiffelturm, oder viele Imitationen der berühmten französischen Designertaschen!

An einem dieser Pariser Tage habe ich meinen Cousin und einen Verwandten, den ich seit meinem achten Lebensjahr nicht mehr gesehen hatte, getroffen! Mein Cousin trank Raki, ich Rotwein in einem Café, deren Gäste aus vielen verschiedenen Regionen stammen: Kurden, Afrikaner, Bosnier, Bulgaren, Türken, Marokkanern u. v. m.

Einer ist ursprünglich aus unserer Gegend. Er trug einen karierten Anzug und Hut wie in den 1970er-Jahren. Ein Gastarbeiter wie aus dem Bilderbuch! Und er kennt sogar meinen Großvater. Er ist einmal ein sehr reicher Kurde gewesen. 120 Menschen arbeiteten zur besten Zeit in seiner Schneiderwerkstatt. Jetzt hat er kaum etwas!

Dann stieß noch ein Türke, der sich Laz Mehmet nennt, mit einem Glas Cognac in der Hand zu unserem Tisch. Ich war ihnen nicht fremd, denn sie erzählten mir ihre Geschichten. Laz Mehmet ist in Istanbul ein sehr reicher Geschäftmann gewesen, doch seinen Worten nach sei er nach Paris gegangen, «um ein elendiges Leben zu führen».

Mit meinem Cousin fuhr ich dann noch per Taxi zur Champs-Élysées, um «Paris bei Nacht» sehen zu können.

Gleich nach meiner Rückkehr musste ich in der Arbeit etwas erleben. Ich gehe in den Hof, um mir eine Zigarette anzuzünden. Da hält mir ein Augustin-Verkäufer vier Passbilder vor die Nase und meint: «Heute bin ich Plasma spenden gewesen und habe mir mit dem erhaltenen Geld Passfotos machen lassen!»

Somit wusste ich, dass ich wieder in Wien war!

Bis bald!

Dein Sohn Mag.art Memo

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