«Ein Gespenst quält Europa, das Gespenst des Populismus»Artistin

Theater und Realpolitik

Der Theatermacher Árpád Schilling gilt der Regierung Ungarns als Staatsfeind. Das Stück Tag des Zorns, dessen Co-Autor er ist und das sich mit der Situation von Pflegerinnen beschäftigt, wird derzeit im Theater Drachengasse gespielt.

Veronika Krenn (Text) über das Stück und darüber, was Schilling zur aktuellen Politik sagt.

Foto: Andreas Friess (Suse Lichtenberger – vorne – und Simone Leski im Stück Tag des Zorns im Theater Drachengasse)

Mitte Jänner feierte Tag des Zorns, geschrieben von dem bekannten ungarischen Theatermacher ­Árpád Schilling gemeinsam mit der Film- und Theaterautorin Éva Zabezsinskij, im Theater Drachengasse im Wiener ersten Bezirk Premiere. Inspiriert ist es von einer Krankenpflegerin, die 2015 auf die miserablen Arbeitsbedingungen an ungarischen Krankenhäusern aufmerksam machte.

Das Thema «Pflegenotstand» ist auch in Österreich Dauerbrenner. So klagen etwa überforderte pflegende Angehörige über staatliche Strukturen, die Menschen in den Burnout treiben müssen. Die Regierung plant hingegen, mehr auf häusliche Pflege zu setzen. Gleichzeitig verunglimpft die Regierungsspitze nicht oder wenig erwerbstätige Menschen – worunter etwa pflegende Angehörige fallen können – pauschal gerne als arbeitsunwillige Langschläfer_innen. Damit – so könnte das interpretiert werden – soll die Gesellschaft in «wertvolle» und nicht «wertvolle» Mitglieder_innen gespalten werden und die Solidarität der «Erfolgreichen» gegenüber den «Abgehängten» untergraben werden.

Vermeintliche Volksnähe.

Anhand des Schicksals einer Krankenschwester, Erzsi, die sich gegen unmenschliche Bedingungen in Pflegeanstalten einsetzt und dabei unter die Räder kommt, wird in Tag des Zorns von ebensolchen systemimmanenten Tendenzen erzählt: Ausbeutung, Überforderung und eine populistische Politik, die eine Entsolidarisierung der Menschen befördert. Der Ministerpräsident schiebt die Verantwortung für die Missstände den «Anderen» zu, auch in Österreich ist die EU ein beliebter Sündenbock. Der Präsident sagt: «Wir unternehmen alles, um nach der Gleichgültigkeit Europas (…) das Volk als Partner und nicht als Diener zu behandeln.» Vermeintliche Volksnähe zu beschwören ist ein beliebtes Mittel des Populismus. Ihre Mutter rät Erzsi: «Ich sag dir was, mein Kind, die Menschen lieben Schreihälse nicht, weil sie sie daran erinnern, dass sie alle schweigen.»

Erzsis Mitstreiterin ist im vierten Monat schwanger, und das Politisieren ist ihr schnell vergangen, als ihr privates Glück wiederhergestellt ist. Sie will nichts anderes mehr als Ruhe, Frieden und eine Familie. Der Kampf für die Gesellschaft lockt weniger als zumindest kurzzeitiges privates Glück. Schauspielerin Suse Lichtenberger glänzt als Erzsi in allen Facetten – von hoffnungsfrohem Optimismus bis tiefer Verzweiflung.

Erzsis Geschichte spiegelt ein nicht unübliches Frauenschicksal wider: Sie ist Alleinerzieherin, zerrissen zwischen der alles fordernden Berufswelt und ihrer Familie. Ihre jugendliche Tochter versorgt sie fast gänzlich ohne väterliche Unterstützung, auch die Pflege der Mutter lastet auf ihren Schultern. Als sie ihren Job verliert, weil die Politik als Antwort auf die aufgezeigte Problematik die Gelder für das Krankenhaus kürzt, ist sie auf jede Arbeit angewiesen. Die diplomierte Krankenschwester muss nun als Reinigungskraft arbeiten. Mercedes Echerers Regiedebüt setzt in der Inszenierung auf schrille Figuren, Humor und Musical-Songs, was der Geschichte allerdings nicht ganz gerecht wird.

Theatermacher im Exil.

Árpád Schilling, 1974 in Ungarn geboren, ist ein Theatermacher, der sich mit seinen Arbeiten für eine freie Gesellschaft einsetzt. Als Regisseur arbeitet er international, in Österreich hat er unter anderem am Burgtheater und bei den Wiener Festwochen inszeniert. Im Jahr 2017 erregte sein Fall Aufsehen: Als «potenziellen Vorbereiter staatsfeindlicher Aktivitäten» hatte ihn im ungarischen Parlament der Ausschuss für Nationale Sicherheit bezeichnet. Ebenso den Mitbegründer seiner Theatergruppe Krétakör Márton

Gulyás. Sein Verbrechen – das entgegnete Schilling im Nachrichtenportal 444.hu – hätte darin bestanden, ein Referendum gegen Korruption zu beantragen und in Viktor Orbáns Heimatort Felcsút mit einer Demo die Ruhe gestört zu haben.

Ich habe Árpád Schilling, der mittlerweile im Westen Europas lebt, gefragt, wie er die aktuelle Situation in Österreich bewertet. Wo eine türkis-schwarze Mitte-Rechts-Regierung der ungarischen Politik, die eine illiberale Demokratie propagiert und Zäune in Europa forciert hat, deutlich positiv entgegentritt.

Schilling fragt, was hier denn positiv zu bewerten sei. «Dass EU-Gelder gestohlen würden, um Orbans Oligarchen zu unterstützen? Dass Gelder der ungarischen Steuerzahler für diesen Zweck missbraucht würden? Dass freier Wettbewerb beschränkt und manipuliert würde? Das alle staatlichen Organisationen zu parteipolitischen Spielwiesen wurden? Dass international gesuchte Kriminelle versteckt werden? Dass rassistische Kampagnen durchgeführt werden, mithilfe öffentlicher Medien? Dass gelogen wird, dass die Grenzzäune die Migrationsbewegung gestoppt hätten, obwohl die Türkei das zustande gebracht habe? Dass sie, mit Drohungen, die Wähler beeinflussen? (…) Dass Obdachlosigkeit kriminalisiert wurde und Bewohner gegeneinander aufgebracht wurden? (…)»

Auf die Frage, wie es ihm als ungarischen Künstler ergehe, der seine Heimat verlassen musste, wenn er sehe, was sich in Europa abzeichne: nämlich, dass sich mitteleuropäische Länder wie Österreich nach rechts bewegen und diese Tendenzen in Europa befördert würden, antwortet er: «Das Problem (…) ist der Mangel an Ideologie, der schiere Populismus, (…) wenn ein Land regiert wird, als wäre es eine Firma, und Politik als deren Produkt verkauft. Das ist das Problem. Wenn Menschen der westlichen Länder (z. B. der USA) das Gefühl haben, dass das eine gute Lösung darstellt, dann werden viele von uns ein schreckliches Leben dort haben. Das wichtigste Element von Populismus ist, dass (…) Menschen als eine Vielzahl von Konsumenten betrachtet werden. Er gibt ihnen nichts, sondern gebraucht diese. Das ist ein furchtbarer Bedeutungsschwenk für die Demokratie, und der wirkt. Je mehr wir in Verbindung zu den Massenmedien stehen, desto einfacher wird es sein. Ein Gespenst quält Europa, das Gespenst des Populismus. Und, natürlich, dieser hässliche Geist könnte nicht walten, wenn die traditionellen Parteien nicht so viel Distanz zu ihren Wählern hätten. Der einzige seriöse Gegenspieler für Populismus wäre die partizipatorische Demokratie. Man wird sehen. Ich bin beunruhigt.»

Tag des Zorns

von Árpád Schilling und Éva Zabezsinszkij

Deutsch von György Buda

Bis 9. Februar, Di–Sa, 20 Uhr

Theater Drachengasse

1., Fleischmarkt 22

www.drachengasse.at