Die Würde des Willkommenseins
Der Unterschied war eklatant. Während der Mann bei der Schlussveranstaltung des Wiener Grundeinkommen-Kongresses von 180 Millionen BrasilianerInnen sprach, für die das Grundeinkommen geplant sei, erzählte die Frau von ihren zwei Enkelkindern, denen sie ein gutes Leben wünscht. Und natürlich redete der Mann fünfmal so lang wie die Frau. Mindestens. Der Augustin sprach während des Kongresses mit der Schweizer Theologin und Labyrinth-Denkerin Ursula Knecht-Kaiser zum Thema Geld und erfülltes Leben.Sie werden in der Personenbeschreibung des Kongresses als Theologin und als Labyrinth-Denkerin beschrieben. Was ist das?
Das ist aus der Personenbeschreibung zum Grundeinkommenstext, den ich zusammen mit anderen verfasst habe: sinnvolles Zusammenleben im ausgehenden Patriarchat (siehe: www.gutesleben.org). Die Bezeichnung kommt daher, dass ich Mitinitiatorin und Mitbetreuerin für den Labyrinthplatz in Zürich bin. Das ist ein öffentlicher Platz, ein Labyrinth, aber nicht ein Irrgarten, sondern diese alte Form des Labyrinths, wo du – zwar mit Umwegen und Wendungen, aber sicher in die Mitte kommst und auf demselben Weg wieder raus. Du musst dich dem Weg anvertrauen, auch wenn er nicht gradlinig ins Ziel, in die Mitte führt. Die Mitte ist der Platz, wo du zu dir kommst, innehältst, deine Visionen hast, und von wo aus du dann wieder rausgehst in die Welt.
Bei Ihren Wortmeldungen ist mir aufgefallen – und das war auch der Anlass für dieses Interview-, dass Sie immer wieder darauf hingewiesen haben, dass zu einem erfüllten Leben mehr gehört als Geld.
Ja, ist das denn nicht so? Ich denke, das wissen alle, dass es zum erfüllten Leben mehr braucht als Geld. Es braucht auch Geld, o.k., und dafür wär‘ das Grundeinkommen, denke ich, eine menschliche und offenbar auch ökonomisch machbare Geschichte. Aber genauso wichtig oder wichtiger ist das In-Beziehung-Stehen zu anderen Menschen, wertgeschätzt zu werden, zu spüren, da bin ich willkommen. Um auf das Labyrinth zurückzukommen: Das ist ein Platz, wo die Menschen spüren: Da bin ich willkommen. Der Raum – es gibt ihn seit 1991 ist offen, er ist Tag und Nacht zugänglich, er wird von Frauen betreut, es finden dort auch Veranstaltungen statt. Eine wichtige Grundhaltung für uns ist: Jede und jeder soll sich dort willkommen fühlen. Der Platz befindet sich an einem sozialen Brennpunkt in Zürich, hinterm Bahnhof. Da gibt“s Prostitution, Drogen, einen hohen AusländerInnanteil. Direkt neben dem Labyrinth ist eine Wiese, wo sich eine Gruppe Randständiger Tag und Nacht aufhält, das ist ihr Außenwohnraum. Viele davon sind AlkoholikerInnen, Menschen mit Drogenerfahrung oder solche, die in einem Methadonprogramm sind.
Haben Sie mit den Leuten direkt Kontakt aufgenommen oder ist das mehr ein Nebeneinander?
Wir schickten sie nicht weg, wir versuchten, mit ihnen in eine Kommunikation zu treten. Am Anfang meinten Bekannte zu uns: „Wo seid ihr denn gelandet? Hat euch die Stadt keinen besseren Platz geben können?“ Aber uns ist das wichtig, dort zu sein. Diese Menschen gehören auch zur Stadt. Mit der Zeit ist sehr viel gegenseitiger Respekt gewachsen. Sie helfen auch mal mit und fühlen sich auch irgendwie mitverantwortlich für den Ort.
Mir ist die unterschiedliche Größe der Visionen zwischen Ihnen und dem männlichen Vortragenden aufgefallen, und in dem Zusammenhang ist mir auch die Frage nach der Umsetzung von Visionen durch den Kopf gegangen.
Wir haben uns viel mit den philosophischen Konzepten der Italienerinnen, -den „Mailänderinnen“ und der „Diotima-Gruppe“ -auseinander gesetzt und haben dort auch das Labyrinthprojekt vorgestellt. Die sagen: partire da sé, d. h. von sich ausgehen, aber gehen. Zugleich bedeutet partire auch gebären. Sie gehen ja sehr weit, in ihren Vorstellungen und Visionen. Und so geh auch ich von mir aus. Ich überlege mir: Was möchte ich denn? Und: Was möchte ich denn für eine Welt? Da schau ich einerseits in die Weite und entwickle eine Vision, ein Begehren, und andererseits schau ich bei mir selber und in mein konkretes Umfeld. Wenn ich heute von meinen Enkelkindern gesprochen habe, so sind das einfach neue Menschen, die in die Welt gekommen sind. Das heißt jetzt nicht, dass ich nicht auch an andere Kinder denke. Ich denk auch an die Kinder, die ich während meiner Jahre in Afrika gesehen habe. Meine mittlere Tochter sagt beispielsweise: Ich hab keine eigenen Kinder, meine Kinder sind in der ganzen Welt zerstreut. Ich denke, das muss sich nicht ausschließen, die Vision und das ganz konkrete Umfeld, das dir einerseits den Anstoß gibt, überhaupt über so etwas nachzudenken, und das dir andererseits auch die Möglichkeit gibt, einen Raum zu schaffen, etwas von dem umzusetzen.
Es treten ja mittlerweile die unterschiedlichsten politischen Gruppierungen für ein Grundeinkommen ein. Was halten Sie davon?
Ich glaube, da vermischen sich sehr viele verschiedene Interessen. Von neoliberaler Seite betrachtet, sehen die es wahrscheinlich als die billigste Lösung …
Die billigste, um den Aufstand zu verhindern, langfristig?
Ja, und dem Rechtsstaat soll formal Genüge getan werden. Es soll halt niemand verhungern. Diese Herangehensweise heißt für mich aber auch, dass man sich damit abfindet, dass es Menschen gibt, die eigentlich überflüssig sind. Und da stellt sich mir schon die Frage: Was steht da für ein Menschenbild dahinter?
In Ihrem Papier haben Sie sich ja hauptsächlich mit der Frage beschäftigt, wie sich das Grundeinkommen auf das Geschlechterverhältnis auswirken würde.
Ja, wir stellen uns vor, dass alle von der Geburt an ein Grundeinkommen erhalten, und zwar eines, das verhindert, dass Familien und gerade auch Alleinerzieherinnen in die Armutsfalle tappen, wie das jetzt oft der Fall ist.
Ein weiterer Diskussionspunkt beim Kongress war die Frage: Wer soll ein Anrecht auf ein Grundeinkommen haben. Nur StaatsbürgerInnen? Oder alle, die in dem betreffenden Staat leben? Die Abwesenheit von MigrantInnenorganisationen auf dem Kongress war ja auch auffallend.
Ich denke, grundsätzlich sollte jeder Mensch ein Anrecht auf ein Grundeinkommen haben. Schließlich muss jeder Mensch von was leben, sich kleiden und ein Dach über dem Kopf haben. Uns ging es in dem Papier aber weniger um die konkrete Umsetzung, als vielmehr um grundsätzliche Fragen des Menschenbildes, des Gesellschaftsbildes.
Bei der Fortsetzung der Grundeinkommensdiskussion im Frauencafé gab’s Einwürfe, dass das eigentlich eine Luxusdebatte sei angesichts der Tatsache, dass auf der Welt immer noch Menschen verhungern. Was meinen Sie dazu?
Ich möchte das unterstützen, was Gisela Notz gesagt hat, nämlich dass es auch bei uns Arme gibt, und diese Tatsache ist gerade auch in reichen Ländern zu skandalisieren. Es gibt ja auch viel versteckte Armut. Und es muss auch thematisiert werden, dass der Reichtum hier auf der Ausbeutung von Menschen anderer Länder beruht. Diese Verbindung müssen wir sehen. Und da seh‘ ich die Grundeinkommensdebatte auch als einen Denkort, wo viele andere Themen, die unsichtbar geworden sind, wieder hochkommen und sich vernetzen, wie jene der Verbindung zwischen armen und reichen Ländern oder die Frage, wie sich Frauen und MigrantInnen im Kontext der Lohnarbeit und des Einkommens bewegen und welchen Status sie haben. Wir leben in einer Welt, wo alle aufeinander bezogen sind. Die Aufgabe einer politischen Gemeinschaft ist es, sich das anzuschauen, ohne das Ganze aus dem Blick zu verlieren.
Infos:
www.labyrinthplatz.ch
www.gutesleben.org
Erwähnte Literatur:
Wie weibliche Freiheit entsteht. Eine neue politische Praxis. Libreria delle donne di Milano. Berlin 1991
Jenseits der Gleichheit. Über Macht und die weiblichen Wurzeln der Autorität. Diotima. Königstein/Taunus 1999