Ein Guglhupf für die Gassetun & lassen

«Permanent Breakfast» als Methode, das Gesprächsklima zu entdramatisieren

Wie ticken die Menschen, zu denen wir nur schwer Zugang haben?  Das können wir nur wissen, wenn wir uns den Zugang verschaffen. Empfehlenswert ist, einen reich gedeckten Frühstückstisch auf den Gehsteig einer x-beliebigen Straße zu stellen und die Vorbeigehenden zu Kaffee und Guglhupf einzuladen – nach der Methode «Permanent Breakfast» (© Friedemann Derschmidt). Drei Begegnungen beim Frühstücken vor dem Perinetkeller, notiert von Robert Sommer.

Der Irokese aus der Perinetgasse

Er ist in der Gasse aufgewachsen. Sein obligatorischer Sonntagsspaziergang führt ihn in die Gasse seiner Kindheit – und damit zum öffentlichen Gehsteigsfrühstück des Instituts ohne direkte Eigenschaften. Wenn ihr in den 50er Jahren hier die Sesseln und Tische auf die Straße gestellt hättet, wären die Fenster der gegenüberliegenden Häuser voller Kontrolleure gewesen, und die Frau L., die direkt über eurem Keller wohnte, wäre die Erste gewesen, die die Polizei gerufen hätte, meinte er. Sein Vater war traditioneller Mohawk-Indianer aus dem Grenzgebiet Kanada-USA. Er selber sei Hippie gewesen und habe in London und in vielen anderen Städten gelebt, überall dort, wo es Woodstock-Musik und gute Drogen gab. Er schreibe an seinen Erinnerungen, ein Indianer in Wien, und freue sich, wenn er diese im Keller vorstellen dürfe. Aber er sei völlig schüchtern, sodass nur folgende Vorgangsweise möglich sei: Ein Schauspieler liest eine Auswahl aus seinen Texten; er sitzt mitten im Publikum und beobachtet die Reaktionen der Leute. Weil er ein Feind der Smartphones ist, kann man sich aber mit ihm schlecht etwas ausmachen. Manitou hat mich zu euch geführt, sagt er. Und Manitou wird auch bestimmen, wann es zur Lesung kommt. Das meint er eher ironisch, denn wir wissen inzwischen, dass er in der Kirche am Gaußplatz getauft wurde und sehr an die Maria, Mutter Gottes, glaubt.

Die alte Belgraderin

Die Gehsteigmusik spielt auf – Claudia und ihr Klezmer-Trio. Schwer atmend, an einem Beatmungsapparat hängend, kommt eine ältere Frau näher. Sie strebt ihrer Wohnung in der Brigittenauer Lände zu. Sie nimmt die Musik wahr und fängt, mit erhobenen Armen, zu tanzen an. «Das ist ja m e i n e Musik», ruft sie, «das ist Musik aus Belgrad.» Als die Gruppe wirklich ein Lied spielt, dessen serbischen Text sie kennt, überschreitet sie ihre Grenzen. Fast geht ihr der Atem aus, schwer schnaufend muss sie sich setzen. «Ihr seid liebe Leute», strahlt sie dann, «so liebe Leute.» Sie kann es kaum glauben, auf österreichische Musiker_innen zu treffen, die ihre «Belgrader» Musik spielen.

Der titoistische Schachspieler

Man muss Revolutionär sein, man muss für etwas kämpfen, lautet das Credo von Niko M., der über den Flyer zum Frühstück gekommen ist. Auch er ist Belgrader. Wie e r denn kämpfe, wird er gefragt. Ich kämpfe mit d e m, sagt er, und zieht ein russisches Schachbrett aus seiner Tasche, auf der eine Schachfigur zu sehen ist. So kämpfe ich, mit Schachspiel, sagt er. «Schach ist meine Sprache.» Einwände, Schach sei eine höchst hierarchische Angelegenheit, revolutionäres Schach müsse König und Dame abwerten zugunsten der Bauern, bedauert er mit mildem Lächeln. Für ihn ist das linker Ultrapopulismus. Er schlägt einen wöchentlichen Schachabend im Perinetkeller vor, kann aber nicht begründen, was das speziell Künstlerische an diesem Vorschlag sei. Er outet sich als einer der übriggebliebenen Titoisten in Wien. Als ein Fan des gemeinsamen Jugoslawiens. Übrigens hasst er Tauben, und nicht nur, weil eine der Tauben vom Mauervorsprung der Perinetgasse 1 aus auf seine Tasche, eine andere auf die Schultern eines der Veranstalter geschissen hat. In den Debatten am Gehsteig fällt er mit dem Kommentar «Das ist unglaublich interessant» auf. Es gibt kaum etwas, was ihn nicht unglaublich interessiert.

Conclusio

Die Perinetgasse ist eine der kürzesten Gassen Wiens. Sie ist nur zwei Gründerzeithäuser lang. Dreimal umfallen, und du hast sie hinter dich gebracht, sagt ein Bewohner. An einem Vormittag laufen nicht mehr als insgesamt ein Dutzend Menschen in beiden Richtungen durch die Gasse. Wie viele Begegnungen, wie viele Gespräche sind möglich, wenn die Gehsteig-Guerilleros sich auf bedeutendere Straßen einlassen. Der Permanent-Breakfast-Standort in der Perinetgasse 1 ist aber aus einem speziellen Grund von Bedeutung. Vom Perinetkeller, der hier seinen Eingang hat, ging in den 60er Jahren «Gefahr» aus, es war eine gefühlte Bedrohung der «anständigen» Anrainer_innen durch eine radikal andere Kunst, die aus ihrer Sicht schockierend und anstandsverletzend war, aus der Sicht der Wiener Aktionisten jedoch eine notwendige Befreiung von einem Kunstbegriff, der immer noch, wie im eben abgesagten «1000-jährigem Reich», für die Ausscheidung des Andersartigen und des «Unreinen» eintrat. Happenings wie die «Blutorgel»-Aktion brachten damals die Anrainer_innen wütend auf die kurze Gasse. Die Herren Künstler (Muehl, Nitsch, Frohner u. a.) hatten andere Ansprüche, als ihre Kunst den «Normalbürgern» zu vermitteln. Die heutigen Betreiber_innen des Kellers handeln – ohne hinter der radikalen Gesellschaftskritik der Nachkriegsavantgarde zurückzubleiben – integrativ. Mit den Nachbar_innen ins Gespräch zu kommen, und sei es zum Thema Taubenscheiße, ist ihnen wichtiger, als mit einer Ironie, die nur Eingeweihte verstehen, größtmögliche Schockwirkungen zu erzielen. Sesseln und Tische auf die Straße stellen, ohne wen um Erlaubnis zu fragen, ist doppelte Demokratiearbeit. Demokratisch ist das Schenken von Kuchen und Zeit. Demokratisch ist die Idee, gar nicht erst nachzufragen, ob man den öffentlichen Raum überhaupt so selbstbestimmt benützen darf.

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