Ein Haus steht Kopfvorstadt

Es wäre verwunderlich, würde diese Hütte nicht (mehr) polarisieren (Foto: © Wenzel Müller)

Was der Eiffelturm in Paris, das ist das Haus des Slowakischen Rundfunks in Bratislava: ein ungewöhnlicher Stahlbau, der allen Anfeindungen zum Trotz 2017 in die Liste der slowakischen Kulturdenkmäler aufgenommen wurde.

 

Wir betreten den Raum, und auf einmal ist es ganz still. Unglaublich! Ein ­völlig ­ungewohntes Gefühl. Mag sein, dass es einer:m ähnlich ­ergeht mitten in der Wüste oder hoch oben auf einem Berg. Doch wir sind in einer Hauptstadt, in Bratislava, nämlich im kleinen Konzertsaal des Slowakischen Rundfunks.
Dieser Raum ist von der Außenwelt abgeschlossen. Kein Fremdgeräusch soll die Konzerte und Hörspielproduktionen stören, die hier gemacht werden. Nicht weit entfernt von diesem Saal ­befindet sich sein großer Bruder, der große Konzert- und Sendesaal. Auch da wurde ­alles unternommen, um störende Geräusche fernzuhalten. Die Wände sind aus einem besonderen Stein, dem Zipser Travertin, und der ganze Saal lagert – erschütterungsfrei – auf Stahlfedern. Dieser Saal, sagen manche, sei jener mit der besten Akustik in ganz Europa. Orchester reisen von weither an, um hier ihre Aufnahmen zu machen. Als wir durch eine Hintertür in diesen Saal treten, sitzt gerade ein Klarinettist allein auf der Bühne und übt. Er hat den ganzen Raum für sich. Es muss ein erhebendes Gefühl sein.

Pyramide

Kay Zeisberg und ­Daniela Čarná führen mich durch das ­Gebäude des Slowakischen Rundfunks. ­Beide ­arbeiten in ihm, sie als Galeriepädagogin, er als ­Redakteur und ­Moderator. Dieses Haus: ein Fest für die Ohren. Ein Ort der ­Stille, auch in den ­oberen ­Stockwerken, wo die Redaktionen und Studios ­untergebracht sind. Dabei war, wie Čarná ­erklärt, dieses Gebäude ­ursprünglich als höchst ­lebendiger Ort geplant. Es ­sollte eine ­eigene Straßenbahnhaltestation ­bekommen und über Stege nach ­allen Richtungen mit der Umgebung verbunden sein. Das Rundfunkhaus als eine Art Knotenpunkt für Regierung, Post und Universität, die sich in nächster Nähe befinden.
Zu dieser Ausführung kam es aber nicht, die Terrassen wurden zwar ­gebaut, doch ohne Anbindung an die Nachbar:innenschaft. Nichts wurde es mit dem Bau, der gleich einer Spinne seine Beine nach allen Seiten ausstreckt. War dann wohl doch etwas zu kühn, errichtet wurde gleichwohl ein spektakuläres Gebäude. Spektakulär, weil es wie eine auf dem Kopf stehende Pyramide aussieht. In der Stadt nennt man das Gebäude des heutigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks RTVS denn auch kurz «Pyramide».
Wer nach Bratislava reist, besucht, je nach Vorliebe, entweder die Burg oder Petržalka, die riesige Plattenbausiedlung. Im Vergleich zu diesen beiden so markanten wie konträren Wahrzeichen der Stadt führt die ­Pyramide ein eher unbeachtetes Dasein in der Stadt, obwohl zentral gelegen, in der Nähe des Hauptbahnhofs, und obwohl 2017 in die ­Liste der nationalen ­Kulturdenkmäler der Slowakei aufgenommen. 2022 wurde die ­äußere Stahlkonstruktion komplett renoviert.
Rund 500 Redakteur:innen arbeiten ­aktuell in dem Rundfunkhaus. Auf den Gängen sieht man kaum einen Menschen. Entweder weil alle so fleißig in ihren Zimmern arbeiten oder sie sich in dem weiten Areal verlaufen – einst wurde es für 1.000 Mitarbeiter:innen konzipiert. Immerhin leistet sich der Slowakische Rundfunk, was der ORF schon vor Jahren abgeschafft hat: einen Auslandsdienst, Rádio Slovakia ­International, wo auch Kay Zeisberg arbeitet. Dazu kommen die Redaktionen, die Sendungen speziell für die vielen anerkannten nationalen Minderheiten in der Slowakei, von den Ungar:innen über die Rom:nja bis hin zu den Deutschen, produzieren. Viel Rundfunk also für ein kleines Land, das im Übrigen heuer sein 30-jähriges Bestehen feiert.

Fehlendes Feingefühl

Wir betreten das Büro von Daniela Čarná. Ein großzügiger Raum mit breiter Glasfront, von hier oben hat man einen herrlichen Ausblick, die Stadt liegt einem:r zu Füßen. 80 Meter hoch ist das Rundfunkhaus, damit stach es lange Zeit aus seiner Umgebung heraus. Bis 2002 gleich daneben ein noch höheres Gebäude errichtet wurde: das der Slowakischen Nationalbank. Die Stadtplaner:innen haben da nicht ­gerade Feingefühl an den Tag gelegt. Oder anders ausgedrückt: Das Geld regiert eben auch in dieser Stadt.
Die Pyramide war in der Bevölkerung immer umstritten. Für die einen ein wunderschöner Bau, für andere ein potthässlicher. Schon der Umstand, dass dieses Haus derart unterschiedliche Reaktionen provoziert, kann als ein Qualitätsmerkmal dieser Architektur gewertet werden. Nicht anders war es im Übrigen beim Eiffelturm. Nach dessen Fertigstellung hoffte ein Großteil der Pariser Bevölkerung, dass dieses «Stahlungeheuer» bald wieder abgerissen werde. Nur wenn ein Bau außergewöhnlich ist, kann er die Menschen emotional stark berühren.
Das Außergewöhnliche am Slowakischen Rundfunkhaus ist eben diese besondere Bauform: Das Haus steht gleichsam auf seiner Spitze. In seiner Mitte ein fester Mauerkern (mit Liften), an dem die auseinanderstrebenden Metallstränge befestigt sind, die wiederum den einzelnen Stockwerken Halt ­geben. Nach oben hin gewinnt das Gebäude immer mehr an Volumen, das Dach weist die größte Fläche auf. Im Sommer hält dieses Dach die Strahlung der im Zenit stehenden Sonne ab, damit die Innenräume angenehm kühl bleiben. Im Winter dringt die flacher einfallende Sonnenstrahlung durch die seitlichen Fensterflächen ein, so ist passive Solarnutzung möglich. Ein Gebäude, das eigentlich ganz auf der Höhe der Zeit ist, ­insofern es die aktuellen Energieeinspargebote erfüllt. Dabei wurde es schon vor gut einem halben Jahrhundert errichtet. Im Sozialismus, und das ist die nächste Überraschung. Den realen Sozialismus im «Ostblock» verbinden wir eher mit Einheitsbau und Gehorsam. Wie geht das an, dass just in dieser Zeit der Auftrag zum Bau dieser umgedrehten Pyramide erteilt wurde? Antwort: Damals, in den 1960er-Jahren, gab es in der Tschechoslowakei (Tschechien und die Slowakei waren noch vereint) eine P­hase des Aufbruchs, man wollte einen «Sozialismus mit menschlichem Antlitz» schaffen. Man war offen für Neues, und so ­konnte Štefan Svetko mit seinen beiden Kollegen Štefan Ďurkovič und Barnabáš Kissling ­seine Architekturvision verwirklichen.

Fünfjahrespläne

Die Bauarbeiten begannen 1967 und endeten 1983. Eine ungewöhnlich lange Zeit, 15 Jahre. (Zum Vergleich: Der Bau des Wiener Rathauses dauerte 11 Jahre.) Warum zogen sich die Arbeiten so lange hin? Kay Zeisberg sieht dafür vor allem zwei Gründe. Erstens die Arbeitsweise im Sozialismus, man ließ es eher locker angehen, machte sich nicht so viel Stress. «Für die Wirtschaft wurden Fünfjahrespläne ausgegeben. Wenn das Geld vorzeitig aufgebraucht war, ruhte halt die Arbeit, bis es den nächsten Plan gab. Und gerade auch die Materialbeschaffung war ja von Diskontinuitäten geprägt.» Zweitens die Neuartigkeit des Baus. Für viele Teile waren Spezialanfertigungen nötig.
Dann, als das Rundfunkhaus endlich fertig war, fand sich Štefan Svetko nicht auf der ­Liste der zur Einweihung geladenen ­Gäste. Sein Vergehen: Er hatte gegen den Einmarsch der sowjetischen Truppen ­protestiert, die 1968 Schluss gemacht hatten mit dem «Prager Frühling» und das ­einläuteten, was im Land als «Normalisierung» bezeichnet ­wurde. Damit gehörte Svetko fortan zu den unliebsamen Personen, er sollte auch ­keine größeren Bauaufträge mehr erhalten. Ein ­hoher Preis, den er für seinen Mut bezahlen musste. Inzwischen ist er, 2009 83-jährig, gestorben, freilich rehabilitiert, die Geschichte ist bekanntlich nicht stehen geblieben.
Seine Idee der umgedrehten Pyramide wurde in der Zwischenzeit in manch anderen Ländern kopiert, in Kanada etwa. Das Original in Bratislava weist eine Besonderheit auf, die es einzigartig macht: In seinem Inneren befindet sich noch einmal eine ­umgedrehte Pyramide.

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